Mitch Ryder in Bonn: Ein Rock-’n’-Roll-Veteran voller Kraft und Haltung

Mitch Ryder 2025 in der Harmonie Bonn FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Mit fast 80 Jahren beweist Mitch Ryder in der Bonner Harmonie, dass er nichts von seiner Energie und Leidenschaft eingebüßt hat. Mit neuer Band, Klassikern und politischen Statements liefert er ein elektrisierendes Konzert, erinnert an legendäre Rockpalast-Momente und beweist, dass echter Rock ’n‘ Roll kein Alter kennt.

Von Dylan C. Akalin

Was war das für ein Auftritt beim Rockpalast in der Grugahalle? Fast ein halbes Jahrhundert ist das her. Da stand dieser vor Kraft strotzende Kerl in dem engen Hemd auf der Bühne und sang sich die Seele buchstäblich aus dem Leib. Mitch Ryders Auftritt in der Grugahalle Essen während der 5. Rockpalast-Nacht im Oktober 1979 gilt als legendär und zugleich kontrovers. Vor seinem Auftritt hatte Ryder eine erhebliche Menge Alkohol konsumiert, was zu einem denkwürdigen, teils chaotischen Interview mit Moderator Alan Bangs führte. Trotz seines Zustands lieferte er eine beeindruckende Performance ab, eine Mischung aus roher Energie, tiefer Verletzbarkeit, Provokation und intensiver Bühnenpräsenz. Seine Stimme war kraftvoll und durchdringend, und er zeigte eine unbändige Leidenschaft, die das Publikum gleichermaßen faszinierte und polarisierte. Dieser Auftritt gilt als einer der besten Aufzeichnungen in der Geschichte des Rockpalasts.

Sonntagabend in der Harmonie in Bonn

An jenen Auftritt erinnert Mitch Ryder an diesem Sonntagabend in der Harmonie in Bonn immer wieder. Vielleicht ist es die Setlist, auf der einige Songs stehen, die er damals auch gesungen hat, aber es wird wohl eher der bevorstehende 80. Geburtstag sein, den er an diesem Mittwoch begehen wird, weshalb der Blick immer wieder retrospektiv zurückgeht.

Mitch Ryder 2025 mit neuer Band in der Harmonie Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Natürlich hat dieser Mitch Ryder kaum noch etwas mit diesem Wirbelwind von 1979 zu tun, der damals getrieben war von jugendlicher Wildheit und einem nahezu ungezügelten Drang, den Saal in Schutt und Asche zu legen. Mitch kommt gewohnt ganz in Schwarz auf die Bühne, vorsichtig tastend bewegt er den hageren Körper zum Stuhl. Seine Bühnenpräsenz ist heute selbstredend ruhiger, aber nicht minder intensiv. Wenn er da sitzt, während die Band um ihn tobt und er wie in Zeitlupe nach der Wasserflasche greift, dann aber die Stimme kraftvoll erklingen lässt, dann spürt man diese Ausstrahlung eines Mannes, der alles gesehen, vieles erlebt und doch nicht die Neugier auf das Leben verloren hat. Seine Stimme mag über die Jahre an rauer Tiefe gewonnen haben, doch seine Fähigkeit, das Publikum zu packen, ist ungebrochen.

„My Name is Mitch Ryder and I’m from Detroit.“

„My Name is Mitch Ryder and I’m from Detroit.“ So fangen seine Konzerte immer an. Auch heute mit neuer Band an seiner Seite. So mancher Fan hat ihm offenbar krummgenommen, dass er nicht mehr mit Engerling tourt. Aber nach dem Konzert waren sich viele einig, dass es seiner Musik doch ganz gutgetan hat, dass er nach gut 30 Jahren frischen Wind in seine Songs gebracht hat. Und die Truppe ist ganz hervorragend aufeinander abgespielt. Das gilt sowohl für die wunderbare Rhythmsection Denis Palatin (Drums) und Tom Germann (Bass), sondern auch für Keyboarderin Léa Worms sowie die beiden Gitarrist*innen Sean Athens und Laura Chavez mit recht unterschiedlichen Ansätzen.

Mitch Ryder jedenfalls kann mit seiner Stimme nach wie vor elektrisieren. Es ist ein Abend voller roher Energie, tief verwurzelter Soul-Power und einer beeindruckenden musikalischen Bandbreite.

„Lilli May“

Aus seinem aktuellen Album hören wir fünf Songs, darunter den Opener „Lilli May“, mit dem Ryder hat zeigt, dass er nichts von seiner leidenschaftlichen Intensität eingebüßt hat. Seine Stimme, rau und voller Lebenserfahrung, durchdringt den kompakten, druckvollen Sound der Band, die ihm mit bemerkenswerter Präzision und Spielfreude zur Seite steht. Besonders auffällig war die Chemie zwischen Ryder und den Musikern, die den Songs nicht nur eine moderne Frische verliehen, sondern auch das Erbe des Detroit Rock ’n‘ Roll mit Respekt und neuer Energie interpretierten. Schon mit ihrem ersten kurzen Solo lässt Chavez aufhorchen und bekommt Applaus vom Publikum.

An der Fender: Laura Chavez FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Chavez‘ Anschlag ist direkt, der Sound ist für eine Fender stahlhart, er sprüht Funken wie beim Schweißen auf der Werft. Das Programm ist eine Mischung aus Ryder-Klassikern, darunter fünf Songs von der legendären Rockpalast-Setlist, neuen Stücken und Hommagen an die musikalischen Wurzeln. „Ain’t Nobody White“ leitet Athens mit einer wunderschönen Slidegitarre ein – es ist ein Song, der in typischer Manier kritische Themen mit wunderschönen Melodien verknüpft. Das erleben wir später wieder, etwa bei „Wrong Hands“ aus seinem neuen Album, in dem es um die irren Waffengesetze in den USA geht, die seit 300 Jahren nicht an die heutige Zeit angepasst wurden, wie Ryder zuvor anprangert: „Früher brauchten die Menschen Waffen, um sich zu verteidigen und um Nahrung für sich zu schießen. Heute haben wir es mit Irren und Eltern zu tun, die zulassen, dass unschuldige Kinder erschossen werden.“

„Ain’t Nobody White Can Sing the Blues“

„Ain’t Nobody White Can Sing the Blues“ setzt sich kritisch und ironisch mit kultureller Aneignung, sozialer Ungleichheit und der Authentizität von Musik – speziell dem Blues – auseinander, ein Thema, das heute immer noch virulent ist. Ryder spielt darauf an, dass der Blues als Musikgenre untrennbar mit der Erfahrung von schwarzem Leid und Unterdrückung in den USA verbunden ist. Weiße Musiker könnten diese Musik zwar spielen, aber niemals authentisch nachempfinden, da ihnen die historische und emotionale Grundlage fehlt. Aber Ryder spielt da auch mit Ironie und Sarkasmus, wenn er provokant singt, dass weiße Menschen nicht die existenzielle Not und das Leid durchlebt haben, aus denen der Blues entstanden ist. Und das kommt von einem Mann, der selbst schon ganz tief unten war… Aber er meint es ganz offensichtlich als überspitzte Kritik an der historischen und sozialen Privilegierung weißer Menschen. Diese Ironie verstärkt die Kritik daran, dass weiße Künstler oft von afroamerikanischer Kultur profitieren, ohne die zugrundeliegenden Erfahrungen geteilt zu haben.

Allerdings deuten die Zeilen über die „funky world“ und dass „man zahlen muss, wenn man tanzt“, auf eine Welt hin, in der soziale Gerechtigkeit nicht garantiert ist. „Some folks got and some have not“, heißt es da – eine klare Anspielung auf die Kluft zwischen Reichen und Armen, sowie den Zufallscharakter sozialer Privilegien. Hier spielt Chavez wieder diese entschlossene, angriffslustige Gitarre, das Piano von Léa Worms nicht weniger entschieden, sie streut aber noch einige jazzige Phrasen in ihr Spiel ein.

„Tough Kid“

„Yeah, You Right“ kam mit einer groovenden Nonchalance daher und zeigte Ryders ironischen Blick auf alltägliche Lebenslügen, während „Tough Kid“ die kämpferische Seite des Sängers unterstrich – ein Song über das Durchhalten in einer oft rauen Welt.

Die neue Band agiert wie ein gut geöltes Getriebe. Besonders bei „The Thrill of It All“ entfaltet sie ein weites klangliches Spektrum, das von bluesigen Balladen bis zu treibendem Rock reicht. Beim Chuck-Berry-Cover „It Wasn’t Me“ lebt Ryder seine tiefe Verbundenheit zu den Rock-’n‘-Roll-Wurzeln aus. Ein Höhepunkt sicher wieder die Interpretation von „Soul Kitchen“ der Doors. Allerdings brach der Song der musikalischen Seelenverwandten am Ende ziemlich abrupt ab, weil die Batterien von irgendeinem elektronischen Gerät auf der Bühne den Geist aufgaben.

„Devil With a Blue Dress On/Good Golly Miss Molly“

„All the Fools It Sees“ kommt fast so leichtfüßig wie ein Walzer daher. „Do You Feel Alright“ ist eine Mischung aus Melancholie und Schönheit, ein Song, den er an seine vor Jahren an einer Überdosis verstorbene Ex-Frau geschrieben hatte. Natürlich darf der Song nicht fehlen, der Mitch Ryder unsterblich machte: „Devil With a Blue Dress On/Good Golly Miss Molly“ wird mit ungebrochener Wucht zelebriert und beendet das Konzert nach gut anderthalb Stunden.

Zur Zugabe gibt es „War“

Doch das Publikum will mehr und bewegt sich einfach nicht zum Ausgang. Also kommt die Band zurück und spielt als abschließendes Statement „War“, eine kämpferische Hymne gegen Ungerechtigkeit – ein Thema, das Ryder schon seit Jahrzehnten bewegt. In diesem Song, ursprünglich von Edwin Starr bekannt gemacht, legt Ryder den Finger in die Wunde politischer Konflikte.

Mitch Ryder 2025 – das ist kein Abgesang auf eine längst vergangene Zeit, sondern der Beweis, dass echter Rock ’n‘ Roll zeitlos ist. In der Harmonie Bonn ist dies an diesem Abend mehr als spürbar: Ein Stück Musikgeschichte, das immer noch lebt und atmet, getragen von einem Künstler, der sich weigert, nur ein Relikt der Vergangenheit zu sein. Fantastisch.

Mitch Ryder 2025 in der Harmonie Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Setlist Mitch Ryder, 23.02.2025, Harmonie Bonn

Lilli May
Ain’t Nobody White
All the Fools It Sees
Yeah, You Right
Tough Kid
Do You Feel Alright?
Oh What a Night
The Thrill of It All
Fly
It Wasn’t Me (Chuck Berry cover)
Wrong Hands
Soul Kitchen (The Doors cover)
The Artist
Devil With a Blue Dress On / Good Golly Miss Molly

Encore:

War

Sean Athens FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Tom Germann (Bass) FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
An der Fender: Laura Chavez FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Denis Palatin am Schlagzeug FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Toller Auftritt: Mitch Ryder 2025 in der Harmonie Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Begeistert immer noch: Mitch Ryder 2025 in der Harmonie Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Mitch Ryder 2025 in der Harmonie Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski