Ich hasse das Wort, weil es so überstrapaziert wird. Aber diesmal passt es tatsächlich. Grandios. Was Michael Wollny mit Christian Weber (Bass) und Eric Schaefer (Schlagzeug) am Samstagabend in der Aula der Bonner Universität da auf der Bühne präsentierte, war tatsächlich brillant. Es gibt absolut nichts auszusetzen, weder am Sound (die neue Auladecke hat sich bewährt), noch an der konzeptionellen Idee der drei Künstler, noch an ihrem fulminanten Spiel. Punkt.
Von Cem Akalin
Vor einem Jahr (siehe auch Jazzfest 2014 und 2011) hatte ich noch kritisiert, dass Wollny der Mut am Verweilen in den Pausen fehlte, dass Schaefer mir manchmal etwas zu ungestüm war. Alles Vergangenheit. Mit seinem Album „nachtfahrten“ hat Wollny eh die Langsamkeit für sich entdeckt. Und so startet das Trio auch am Samstagabend beim sechsten Jazzfest-Doppelkonzert: „questions in a world of blue“ ist ein Stück, das von der Spannung zwischen den Tönen lebt.
Man hätte im Saal die Temperatur fallen hören, um mit diesem Bild einmal den großartigen Raymond Chandler zu bemühen. Dieses Kraftgefühl im Nichtgespielten, dieser gemächliche Beat, den Schaefer kaum aushaltbar ausspielt, das zurückhaltende Bassspiel gleich zu Beginn des Konzertes zeigen, wie sehr dieses Trio zusammengewachsen ist. Die Drei müssen längst nicht beim ersten Takt loslaufen auf die Spielweise des Jazz, und so halten sie diesen lustvollen Druck fast fünf Minuten aufrecht, um dann ins plötzlich Atonale zu kippen, Anlauf mit einer von Trommelwirbeln begleiteten kammermusikalischen Melodie zu nehmen, Bass und Piano spielen gemeinsam das Thema, die Becken kratzen dagegen, Wollny haut ein paar Blockakkorde in die Tasten, und schon schießt das Trio wie ein Pfeil in eine fließende, dahingleitende Einheit los auf ihrem imaginären, magischen fliegenden Teppich.
Es ist gut, dass das Trio die Stücke, größtenteils aus dem aktuellen Album „nachtfahrten“, in drei größeren Blöcken spielt. Unterbrechungen hätten diesen einmaligen Fluss des Interagierens, dieser seriellen Explosionen von musikalischen Ideen nur gestört. Da rockt der Bass, das Piano bricht wie rollende Wellen in der Brandung, das Schlagzeug ist immer auf der Höhe: Schaefer hat genau das richtige Gefühl, sein Spiel bei den Detonationen Wollnys auch mal zurückzuhalten, was die Spannung im Zusammenspiel nur noch viel eindringlicher macht. Weber lässt seinen Bass mal wie ein gestrichenes Cello harmonisch dahingleiten oder knarzend und quietschend Disharmonien schaffen. Seine solistische Vielfalt, sein Sinn für spontane Melodienbildung, sind ergreifend, vor allem, wenn er Wollny in leisen Passagen begleitet.
Wollny, in der klassischen Musikliteratur ja bekanntlich bewandert, lässt gegen Schluss des Konzertes Eric Satie herbeizitieren, während Schaefer sensibel mit Klöppeln die Trommeln und Becken bespielt. Und dann geschieht etwas Aufregendes: Er legt zwei Weingläser auf die hohen Pianosaiten. Das ergibt zusätzliche Sounds, die wie von einem Sequenzer zu kommen schienen.
Das Publikum spendet euphorischen Applaus und lässt das Trio nicht ohne zwei Zugaben, darunter das Titelstück seines aktuellen Albums, von der Bühne.
fatsO hat es nach einem solchen Auftritt natürlich nicht ganz einfach. Dabei ist die kolumbianische Truppe um den Bassisten und Sänger Daniel Restrepo ein toller Act. Mit vier Bläsern (leider ohne Gitarrist Santiago Jumenez) wissen die sechs Musiker in den schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen durchaus zu unterhalten. Und virtuos sind sie auch. Daniel Linero glänzt sowohl an der Klarinette als auch am Altsaxophon, und auch Daniel Bahamón ist ein ausgefuchster Saxophonist. Die Truppe treibt zwischen aufgepepptem Cotton Club, Soul und verjazztem Blues-Brothers-Rock, sie jammen wie swingende Katzen zwischen Klezmerattitüden und lateinamerikanisch angefeuertem Spaßjazz.
Und Daniel Restrepo mit der sofort einnehmenden rauen Stimme haut einen sowieso um. Die Liebe zu Sting und Police, zu Tom Waits und sicher auch zu Cab Calloway ist ihm anzuhören. „Oye Pelao“ ist eines der wenigen Stücke von fatsO auf Spanisch, das auf Einflüssen der traditionellen Musikrichtung Bunde basiert, wie der Bandleader bemerkt. Dieser Stil sei an der pazifischen Küste verbreitet und begleitet dort Kinderbegräbnisse. Die Trauernden, die den Zug bis zum Grab begleiten, werfen kleine Steinchen auf den Sarg und schütteln ihn so stark, bis der Leichnam sich geräuschvoll bewegt — ein Brauch, der dem Kind beim Abschied von seinen Angehörigen helfen soll.
In der Band FatsO, was sowas wie „Fettwanst“ bedeutet und eine liebevolle Anspielung auf seinen Bass sein soll, hat der in den USA aufgewachsene Kolumbianer Daniel Restrepo führende Musiker der kolumbianischen Hauptstadtszene zusammengeführt: Klarinettist und Saxophonist Daniel Linero kennt sich in der Melange aus Jazz, Funk, Rock, Rap und afrokubanischen Rhythmen aus, was seine Band La Mojarra Eléctrica gekonnt ausspielt. Zur Bläsersektion gehören neben Daniel Bahamón außerdem noch der Tenor-Saxophonist Pablo Beltrán und Julio Panadero (Klarinette und Flöte). Und die stilistische Bandbreite des Schlagzeugers Cesar Morales aus El Salvador ist enorm.
Von der Truppe wird sicherlich noch zu hören sein.