Von Cem Akalin
Da ist ein ständiger Grundswing in seinem Gang, in seinen Bewegungen. Wie er in der WDR-Kantine seinen Kaffeebecher zur Kasse balanciert, wie er durch die Gänge bis zum Studio läuft, wo er von den Musikern wie ein alter Freund begrüßt wird. Als würde er auf einer imaginären Wolkenschicht laufen. Ein leichtes Federn im Gang. Den Mann mit den grauen, lockigen Haaren und dem freundlichen Blick kann man sich gut in einem Woody-Allen-Film vorstellen. Oder in einem Film à la Louis Malles „Mein Essen mit André“. Denn dieser Mann hat viel erlebt und viel zu erzählen.
Michael Abene, 1942 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren, ist seit acht Jahren Chefdirigent der WDR Big Band. Sein Vertrag sollte zum Ende dieses Jahres auslaufen, doch Abene wurde für zwei weitere Jahre verpflichtet. Und das zu Recht. Die WDR Big Band hatte auch schon vor Abene zweifelsohne einen hervorragenden Ruf in der Jazzszene, aber Abene hat das Orchester zu Weltruhm geführt. Der erste Grammy-Erfolg kam 2007 für die CD „Some Skunk Funk“. 2008 wurden in Los Angeles zwei weitere CD-Produktionen ausgezeichnet, an denen die Kölner Big Band beteiligt war („Avant Gershwin“, 2006, und „Brown Street“, 2005). Zudem feierte sie einen weiteren Erfolg mit der Auszeichnung des German Jazz-Award für die CD-Produktion „Roots & Grooves“ mit dem Saxofonisten und Sänger Maceo Parker.
Michael Abene, schwarze Hose, schwarzer Rolli, dunkles Sakko, steht am Tisch neben seinem Dirigentenpult im Studio 4 des Kölner WDR-Funkhauses und ist in die Noten vertieft. Kurz vor der Probe herrscht noch Unruhe. Karolina Strassmayer packt ihr Saxofon aus dem Koffer, Marshall Allan Gilkes hinter ihr seine Posaune, Paul Shigihara stimmt seine Gitarre, John Goldsby zupft an den Saiten seines Kontrabass und unterhält sich mit dem Pianisten Frank Chastenier, hinter dem Schlagzeug rückt Hans Dekker die Becken zurecht. Lucas Schmid, Manager und Produzent der Big Band, kniet mit einem Techniker neben Abene auf dem Boden und arbeitet am Mischpult.
Heute ist eine Probe mit dem Gesangsquartett New York Voices angesetzt, das für seinen virtuosen und hin und wieder irrwitzigen Scatgesang bekannt ist. Es geht los mit „Snow Samba“, das das Quartett im Original mit Paquito D’Rivera aufgenommen hatte. Abene hat es neu arrangiert. Nach dem Sologesang von Lauren Kinhan setzt die Trompete ein und Shigihara spielt das Gitarrensolo. Abene sitzt lässig auf seinem Dirigentenschemel und hält zwei Finger hoch, dann schiebt er beide Hände runter, signalisiert den Posaunen ihren Einsatz. Es gibt eine laute Rückkopplung durch die Gesangsanlage, die Band spielt ungerührt weiter, auch Kim Nazarian, Lauren Kinhan, Darmon Meader und Peter Eldridge lassen sich nicht von den Störungen am Mischpult aus der Ruhe bringen. Schmid und sein Techniker stecken Kabel um. Endlich läuft die Gesangsanlage.
Abene stoppt das Spiel der Band und dreht sich zu den Sängern um. „Wie ist die Stelle?“, fragt er. „It’s fun there“, ruft Kim Nazarian und lacht. „Hier auf 17 geht es so“, sagt Abene zu den Trompetern. „Bang Bayne dababidabidooo! Und bei 58 bitte mehr Raum für Crescendo.“ Es geht weiter.
„Die Trompete etwas softer!“
„Soll die Trompete den Ton bei 124 halten bis 127?“
„Ja, und zwar bis die Holzbläser einsetzen.“ Er dreht sich wieder zu den „Voices“ um. „Oder wollt Ihr hier mehr Gas?“
„Ich hätte es gerne eine Spur schneller“, sagt Kim, und die anderen nicken. „Ok.“
Später in Abenes Arbeitszimmer im zweiten Stock des WDR-Funkhauses. Ein mittelgroßer Raum. Rechts steht der schwarze Flügel, links ein Schreibtisch auf dem ein Stapel mit Partituren liegt. Zwei Stühle, kein einziges Bild an der Wand. „Ich brauche diese nüchterne Arbeitsatmosphäre“, sagt Abene, der ganz begeistert ist von seiner WDR Big Band: „Sie spielen auf einem extrem hohen Level. Es ist fantastisch, mit diesen Musikern zu arbeiten.“ Worauf achtet er bei ihnen? „Es kommt nicht nur drauf an, die Noten vom Blatt richtig abzuspielen, sondern auf die Phrasierung, den Ausdruck, das Zusammenwirken des Ganzen.“
Und nach welchen Kriterien entscheidet er, wer wann ein Solo spielen darf? „Du musst als Bandleader deine Musiker und ihre Persönlichkeiten kennen. Da gibt es welche, die sehr schüchtern wirken, aber wenn sie ihr Instrument spielen, oh, Mann, dann explodieren die. Andere wirken extrovertiert, sind aber die feinfühligsten Balladenspezialisten. Ja, du musst eigentlich ein guter Menschenkenner sein.“
Das muss Abene tatsächlich sein, denn er hat in seiner Karriere schon mit und für unterschiedlichste Persönlichkeiten gearbeitet: Liza Minnelli, Frank Sinatra und Sammy Davis jr., Nnenna Freelon, Charles Aznavour, Billy Cobham, B. B. King, Buddy Rich und Gary Burton, das Mel Lewis Orchestra und für Dizzy Gillespies United Nation Orchestra, Dave Grusin, Bireli Lagrene, Roy Hargrove. Er könnte ein Jazz-Lexikon schreiben. „Ich habe von allen gelernt, und ich lerne immer noch“, sagt Michael Abene.
Die Musik spielte in seinem Leben schon immer eine große Rolle. „Das habe ich von meiner Familie“, sagt er und erzählt von seinem Vater, der selbst in Brooklyn eine Big Band leitete. „Er spielte bis morgens 3 Uhr in der italienischen Community oder in den großen Hotels in Brooklyn und New York City. Er kam um 4 Uhr nach Hause, und um 6 Uhr machte er seinen Frisörladen auf.“ Sein Großvater war aus Sizilien nach New Orleans ausgewandert und hatte einen Barbershop eröffnet. „Wir hatten eine kleine Familienband, mein Großvater spielte Geige und Akkordeon, mein Vater war ein exzellenter Gitarrist, und ich spielte später in der Band Klavier.“ Der Vater besaß eine großartige Plattensammlung: Count Basie und alle Goodman-Alben ebenso wie Louis Armstrong und Earl Hines. „Wir hatten ein Klavier zu Hause, und ich versuchte schon als Kind, diese ganzen wunderbaren Stücke nachzuspielen.“ Die erste Musik, die Michael komponierte, war für die Farmingdale High School Band in Long Island unter der Leitung von Marshall Brown – „ein Pionier der Jazz-Ausbildung“. „Wir waren wirklich richtig innovativ und populär. Doch das machte einige von der Highschool wohl etwas nervös, denn Jazz war damals immer noch etwas verrucht.“ Und so kam es, dass Brown gefeuert wurde. Vielleicht ein Glücksfall für Abene. Denn Brown erhielt die Leitung der renommierten Newport Youth Band, und er holte Michael als Pianisten. Zur Besetzung gehörten etliche spätere Superstars des Jazz: Eddie Gomez am Bass, Larry Rosen an den Drums, Eddie Daniels und Ronnie Cuber am Saxofon, Jimmy Owens, Alan Rubin und Nat Pavone an den Trompeten.
Auf dem Newport Jazz Festival begeisterten sie das Publikum. An der Manhattan School of Music, an der er heute selbst lehrt, hielt er es nur ein Jahr aus, und so begann er, für viele Musiker und Bands in der New Yorker Szene zu schreiben. Als Pianist spielte er in der Band von Clark Terry und dem Don Ellis Quartett.
Eines Tages hörte ihn Jaki Byard, damals Pianist bei Maynard Ferguson, und fragte Abene, ob er nicht die Arrangements für Ferguson übernehmen wolle. Mit 19 Jahren wurde Abene zum Arrangeur des damals schon berühmten High-Note-Trompeters. 1963 wechselte er in Buddy Richs Sextett. „Wir spielten in Las Vegas die 2-bis-6-Uhr-Schicht – morgens! Ich dachte, wer zum Henker will uns um diese Zeit hören?“ Aber sie kamen alle, um diese Truppe zu sehen: Frank Sinatra, Count Basie, Duke Ellington und viele andere.
In den 60er Jahren kamen die Jingles für die Radiostationen auf, und Abene verdiente sich gutes Geld nebenbei, indem er kleine Musikarrangements fürs Radio schrieb. „In dieser Szene tummelten sich viele junge Musiker, unter anderem lernte ich da Steve Gadd, Will Lee, Lew Soloff und Randy Brecker kennen.“
Es waren die dynamischen und fantasievollen Kompositionen und originellen, schöpferischen Arrangements, die ungewöhnlichen Klangwelten, die Abene weltberühmt gemacht haben, angefangen bei Neuarrangements von „Green Dolphin Street“ und „Cherokee“ bis hin zu den mit dem Grammy ausgezeichneten Platten „Digital Duke“ (1987) und „All Blues“ mit der GRP-All-Star-Big-Band. Zu seinen erfolgreichsten Plattenproduktionen für das bekannte GRP-Label gehören die CDs „The GRP Christmas Collection“ und „Happy Anniversary, Charlie Brown“.
„Ich bin offen für Veränderungen, und das ist das, was du als Arrangeur brauchst. Wenn du merkst, etwas funktioniert nicht so, wie du es dir vorgestellt hast, dann musst du schnell reagieren können“, meint er. Abene hat zwei Ratschläge für junge Musiker: „Gehe nicht auf Sicherheit, sondern riskier auch mal was. Maceo Parker is one of the cats! Es gibt doch nichts Frustrierenderes als Musiker, die nicht mehr auf Risiko gehen. James Moody, Joe Faddis, die haben’s drauf!“ Und das andere Geheimnis seines Erfolgs? „Lass die hohen Instrumente auch mal die Grundlage spielen und die tiefen Instrumente in den hohen Registern. Das gibt viel Dynamik. Musik für eine Big Band zu schreiben, ist wie ein Puzzle zu einem großartigen Bild zusammenzustecken.“