Es ist als würde das Publikum den Atem anhalten, um mit der Künstlerin den Ton bis in seine letzte Schwingung austanzen zu lassen. Lynne Arriale wagt die Königsdisziplin der Jazz-Pianisten, einen Solo-Abend. Sie genießt ihn im Bonner Kammermusiksaal am Beethoven-Haus merklich, und meistert ihn bravourös. Selbst eine Legende wie Bill Evans soll eine Heidenangst vor Solo-Abenden gehabt haben.
Bei der aus Milwaukee stammenden Pianistin scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein. Sie beginnt den Abend sehr selbstbewusst mit zwei leisen Nummern. „Beautiful Love“ gehörte auch zu Evans Standard-Repertoire. Der ließ das Stück allerdings sehr viel mehr swingen. Arriale bedient sich auf ihre sehr eigene Art der Grundmelodie, gibt dem Stück zwar eine romantische Note, bricht die Strukturen aber noch rechtzeitig durch leichte rhythmische Verschiebungen so weit auf, dass sie nicht zu nah an die Klippen des Easy Listening gerät.
Arriale kreuzt Genres, sei es ein altes schottisches Volkslied oder eine Billy Joel-Komposition, verpasst der Harmonik eine Frischzellenkur, wo sie es nötig hat, vermeidet artifizielle Verspieltheiten. Das Ganze gespielt mit einer ausdrucksvollen Passion. Eigenkompositionen kommen ebenfalls zu Gehör, der „Flamenco“ aus der CD „Come Together“, das von indianischer Folklore inspirierte Stück „The Dove“ („A Long Road home“) oder „Arise“ aus dem jüngsten gleichnamigen Album, das unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September entstanden ist, eine ans Herz gehende Ballade, die man ihr einfach abnimmt. Ein grandioser Klavierabend, den ihr das Publikum mit lang anhaltendem Applaus dankt.
(Cem Akalin)