Humorvolle Zitate, introvertierte Klangcollagen: Anke Helfrich und Ulrike Haage in Bonn

Ulrike Haage (links) und Anke Helfrich im Kammermusiksaal Bonn. FOTOS: PROMO

Zwei Pianistinnen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, präsentierten sich  in der Reihe „Jazz-Piano II“ im Beethoven-Haus. Anke Helfrich huldigte dem Übervater des Bebop-Pianos Thelonious Monk und überhaupt der Postbebop-Szene New Yorks, Ulrike Haage gibt sich introvertierten Klangcollagen hin.

Von Cem Akalin

Den ersten Teil des Abends im ausverkauften Kammermusiksaal bestritt eine überaus spielfreudige und gut gelaunte Anke Helfrich, und der Titel ihres Konzerts machte schon deutlich, wohin die Reise gehen würde: „Monk & More“. Sie eröffnet den Abend mit einer Eigenkomposition. „Movin‘ In“ beginnt mit einem leisen Intro, um dann umso gewaltiger im fünfviertel Takt eine höchst lebendige Spannung zu erzeugen. Sie habe sich bei einem Wohnungsumzug mal zu diesem Stück inspirieren lassen, erklärt sie später lachend. Ähnlich wie man bei einem chaotischen Umzug über Kisten stolpert, Kleiderhaufen den Weg versperren und Küchengeräte auf mysteriösem Wege verloren gehen, führt Helfrich ihre Zuhörer durch ihre verschachtelte musikalische Welt.

An Monk scheint Helfrich nicht nur seine kantigen Phrasen, die verrückten Rhythmen zu lieben. Mit einer Interpretation seines Solos „Ask Me Now“ zeigt sie auch eine humoristische Seite des wohl einflussreichsten Jazz-Pianisten. Dass die Freiburgerin technisch überragend ist, darf bei der Absolventin der Hilversumer Musikhochschule nicht verwundern. Ebensowenig, dass die Dozentin an der Musikhochschule Mannheim-Heidelberg so versiert in der Jazz-Literatur ist, dass sie auch in ihren feinperlenden und rasanten Läufen mal ein kleines Zitat einbaut – hingetupft wie ein liebevoller Farbklecks in einem Mirò-Gemälde. Da lassen sich mal Versatzstücke von Dizzy Gillespies „A Night in Tunisia“ heraushören, oder sie setzt an Kinderreime erinnernde Blockakkorde ein. Die Frau ist verspielt, und sie liebt es zu Grooven. Es hält sie kaum auf dem Hocker, besonders wenn sie mit kräftigem Anschlag zu Blues orientierten Passagen fliegt. Mit „When I Fall In Love“ hat sie ein Nat King Cole-Stück ausgewählt, das bereits Bill Evans, der andere große Pianist in der Jazz-Geschichte, zu seinen Standards wählte. Helfrich interpretiert auf ihre sehr eigene Art, mischt freie Assoziationen mit orientalischen Skalen. Großartig.

Ein musikalisches Danke-schön spielt sie für Larry Goldings, den New Yorker Pianisten und Organisten, bei dem sie ein halbes Jahr in die Schule gegangen ist. Von ihm hat sie wohl die Experimentierfreude, von Kenny Barron, bei dem sie ebenfalls lernen durfte, die melodische Ausgelassenheit und Solidität.

Der Laptop neben ihrem Flügel deutet schon darauf hin, dass Ulrike Haage sich nicht auf die schwarzen und weißen Tasten beschränken wird. Und gleich zu Beginn greift sie zunächst zu einem Klöppel, mit dem sie sanfte Töne aus der dicksten Saite im Flügelkörper herausklopft, die Töne schnarren und schnurren und werden schließlich ganz sich selbst dem Raum überlassen. Den monotonen Ton übernehmend setzt sie ihre meditative Beschäftigung schließlich an der Tastatur fort, regelrecht episch retardierende Phrasen, sich immer wiederholende Floskeln.

Haage, die im vergangenen November den wohl wichtigsten deutschen Jazz-Preis der Union Deutscher Jazzmusiker erhielt, wird gerne mit Eric Satie verglichen. Wohl wegen dessen avantgardistischer, häufig provozierender Lakonik. Ähnlich wie Satie finden sich bei Haage auch unvermittelte Einschübe in der sonst strukturierten Musik, wird der Bewegungsstrom lange aufrechterhalten, um ihm dann eine andere Wendung zu geben. Haage lässt dann auch mal ein Band mit Stimmengewirr eines fernen Basars im Klangkörper des Flügels laufen, synthetische Beats, Klangcollagen zischen, stampfen, knistern wummern aus den Lautsprechern. Satie aber war eher ein amüsanter Unterhalter,  der recht einfallsreich frühe Jazz-Importe mit dem Impressionismus und der französischen Alltagsmusik kombinierte und sich manchmal recht absurd vom Geräuschhaften zu emanzipieren suchte und sich dabei allerlei Vorbilder bediente.  Haage ist dagegen auf der Suche nach der Entdeckung der vollkommenen Schwermütigkeit.