Luise Volkmann: When The Birds Upraise Their Choir

Unbändige Kraft und Leidenschaft, spielerische Inbrunst, grenzenlose Fabulierlust, unbezwingbare
Kohäsionskräfte und absolute Furchtlosigkeit – das zweite Album von Luise Volkmanns Band Été
Large ist da.

Was gibt es Schöneres, als kleinen Kindern dabei zuzusehen, wie sie selbstvergessen in eine Pfütze
springen, ganz egal wer sich dabei wie dreckig macht. Uns Erwachsenen ist dieses Gefühl der
rücksichtslosen Produktivität des kreativen Augenblicks weitgehend verloren gegangen, doch wenn
man sich das neue Album von Luise Volkmann anhört, dann stellt sich vom ersten Augenblick an
genau dieser Effekt ein. Da ist ein riesiger Pool dreckigen Wassers, und die Bandleaderin springt mit
ihrer gesamten Meute mitten hinein, dass es nach allen Seiten spritzt.

Die Kölner Saxofonistin und Komponistin Luise Volkmann ist eine junge Musikerin, die durchaus in
Konzepten denkt, ohne das fertige Ergebnis am Ende nach Konzept klingen zu lassen. „When The
Birds Upraise Their Choir“ ist das zweite Album ihrer Großformation Été Large
. Die Idee dazu hatte sie
schon lange als Fortsetzung des Porträt-Konzepts der Vorgängerplatte im Hinterkopf. „Ich hatte das
1Bedürfnis, etwas für meine Eltern zu schreiben, die ich auf der ersten CD gar nicht musikalische
erwähnt hatte. Speziell zu meinem Vater habe ich eine prägende Bindung. Er ist eine sehr
inspirierende Figur für mich. Sein Lebensstil ist recht untypisch für unsere Zeit. Er lebt, schaut sich die
Welt an und hat sich entschieden, einfach nur da zu sein. In einem Umfeld, in dem es immer nur
Erfolg geht, finde ich es stark, sich in sein Haus im Wald zu setzen, die Tür zu öffnen und zu sagen,
jeder ist mir jederzeit willkommen.“

Die aus dieser Situation entstandene und immer noch entstehende Energie trägt Luise Volkmann nicht nur durch ihre Laufbahn als Musikerin, sondern überhaupt durch ihr Leben. Und jetzt bildet sie die Grundlage von „When The Birds Upraise Their Choir“.

Die Haltung der so genannten 68er-Generation und die Rock-Musik der 1970er Jahre ist für Luise
Volkmann ein wichtiger Ausgangspunkt, aber eben nicht die Knetmasse, aus der ihre eigenen Songs
entstehen. Ihre Faszination reicht von der Protestmusik der Woodstock-Ära bis zur destruktiven
Urkraft des Punk. Wer ihre Songs zwischen Frank Zappa, Punk und Carla Bley verorten will, liegt
bestimmt nicht falsch, obwohl das gar nicht unbedingt den Intentionen der Kölnerin entsprechen muss.
Die spezielle Mischung aus jugendlichem Leichtsinn, spontanem Aktivismus und dem existenziellen
Druck hinter jeder Aussage findet sie bis heute berührend, doch zugleich ist sie sich bewusst, dass sie
kein Kind jener Epoche ist. Sie findet ihre eigenen Formeln, um im Hier und Jetzt zu jener scheinbar
verschütteten Intensität zu gelangen, mit der Musik damals die Welt verändern konnte.

Obwohl es sich mit einigen individuellen Ausnahmen um dieselbe Band wie auf „Eudemonia“ (2017)
handelt, könnte der Unterschied zwischen beiden Projekten von Été Large kaum größer sein. Die fein
ziselierten, fast sinfonisch anmutenden Klangmalereien des ersten Albums weichen in dem neuen
Song-Zyklus der oben beschriebenen unbändigen, geradezu explosiven Kraft, die genau im richtigen
Augenblick entfesselt wird. Obwohl nicht als solcher geplant, ist das zweite Album von Été Large der
Soundtrack zur Zäsur. Jenes globale „Nicht weiter so!“, das den Lauf der Dinge seit den letzten
Monaten weltweit komplett auf den Kopf stellt, wurde von wachen künstlerischen Geistern wie Luise
Volkmann bereits lange vorher antizipiert und in massive Klänge umgesetzt.

Allein schon die personelle Konstellation, mit der die Band musikalisch auf die Barrikaden geht, ist ein
Stück Weltveränderung. Wie in ihren Songs geht es Luise Volkmann auch bei der Wahl ihrer
Kompagnons zuerst um menschliche Werte. Alle Mitglieder ihrer Band sind zwar ausgewiesene
Cracks auf ihren Instrumenten, doch jedes einzelne von ihnen weiß seine Eitelkeiten hinter dem
Kollektiv zurückzustellen. Es geht um die gebündelte Inbrunst der gesamten Formation. Für Egotrips
ist da wenig Platz. Es gibt nicht allzu viele Musikerpersönlichkeiten, die Luise Volkmann auf diesem
Weg bis zur letzten Konsequenz folgen können und wollen. Vor der Band steht das vokale Doppel von
Casey Moir und Laurin Oppermann, das alle Anstandsregeln von Big-Band-Gesang abgeworfen hat.
Mit seinem dreckigen und zuweilen unerwartet zarten Idiom gibt das Paar die Richtung vor, in die auch
der Rest der Band mitzieht. Oppermann kommt dabei die Rolle eines Rezitativsängers zu, während
Casey Moir – um es in Volkmanns Worten zu sagen – die Funktion der „Front-Sau“ einnimmt.
Bassistin Athina Kontou und Drummer Max Santner arbeiten mit der Bandleaderin nicht nur bei Été
Large zusammen, sondern auch in ihrem Trio Autochrom, auf dessen instrumentalem Album
„RGB“ (2019) sich die Orientierung in Richtung kompakter Songs schon andeutete. Mit
messerscharfen Gitarrensalven und entfesseltem Bläsereinsatz wird die Musik von Été Large zum
mitreißenden Spektakel.

Auf „When The Birds Upraise Their Choir” bricht Luise Volkmann mit allen Erwartungen. Sicher lassen
sich historische oder aktuelle Bezüge zu anderen Großformationen herstellen, doch genau genommen
ist dieses Album ohne Beispiel. Es definiert nicht nur sein eigenes Genre jenseits des Dreiecks aus
freiem Jazz, progressivem Rock und avantgardistischer Kammermusik, sondern es stellt wieder die
Verantwortung des Künstlers gegenüber der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Luise Volkmann wehrt
sich gegen die neutrale Belanglosigkeit eines großen Teils der aktuellen Musik von Jazz bis Pop. Sie
ist bereit, sich einzumischen, etwas von sich zu teilen, und hat die Gleichgesinnten gefunden, die das
in aller Entschiedenheit mit ihr gemeinsam tun. „Kunst“, so ihr Credo, „ist elementar für die
Gesellschaft. Musik hat vielleicht nicht denselben direkten Impact wie ein Sachbuch, aber sie ist eine
Sprache, die unsere Denkweisen verändert. Ich würde mir sehr wünschen, mehr teilzuhaben. Ich
nutze meine Sprache, aber ich will mir damit auch Gehör verschaffen.“

Wie jede gute Geschichte hat auch diese ihr Happy End. Der französische Autor André Gide
postulierte sinngemäß, es komme nicht nur darauf an, sich zu befreien, sondern viel wichtiger sei es
zu wissen, was man mit dieser Freiheit anfangen kann. Am Schluss des gewaltigen
Befreiungsschlages von „When The Birds Upraise Their Choir“ gönnt Luise Volkmann sich, ihrer Band
und dem Hörer den verdienten Frieden mit dem stillen und versöhnlichen „Schlaflied für meine Eltern“.
Ein in vielfacher Hinsicht wichtiges Statement in unruhigen Zeiten.
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(Quelle: NWOG RECORDS)