Leidenschaft für die Musik: David Crosby „Here If You Listen“

David Crosby FOTO: Anna Webber

David Crosby hat sein viertes Soloalbum in fünf Jahren veröffentlicht. Auf „Here If You Listen“ beweist der 77-Jährige nicht nur, dass seine Leidenschaft für die Musik so stark wie eh und je ist, sondern liefert auch eines der experimentierfreudigsten Alben seiner inzwischen über 60-jährigen Karriere ab.

Für „Here If You Listen” versammelte David Crosby erneut die „Lighthouse”-Band um sich, die bereits seinem gleichnamigen Album (2016) und der zugehörigen Tour ihre fesselnde Anmut verliehen: Michael League von Snarky Puppy, Michelle Willis und Becca Stevens. Im Gegensatz zu „Lighthouse“ ist „Here If You Listen“ jedoch ein gemeinschaftliches Werk, in das alle vier Musiker ihr individuelles Songwriting und ihren Gesang einbrachten. „Wenn man den Weggang von ‚Crosby, Stills & Nash‘ mit einem Sprung von der Klippe vergleicht, dann sind mir Flügel gewachsen, als ich die Lighthouse Band gefunden hatte.“, sagt Crosby. „Die drei sind so erschreckend talentiert, ich konnte buchstäblich nicht wiederstehen, dieses Album mit ihnen aufzunehmen.“

Akustisch getriebener Sound

„Here If You Listen“ wurde von League produziert und von Stevens, Willis und Crosby co-produziert. Der akustisch getriebene Sound ist auf das Wesentliche reduziert und konzentriert sich auf die atemberaubenden Harmonien der Band. Doch trotz seiner klanglichen Einfachheit und minimalem Einsatz von Percussion offenbart das Album grenzenlos wechselnde Texturen, in das jeder Musiker seine persönlichen Einflüsse einbrachte. „Ein Song erinnert zum Beispiel an Björk, während David Crosbys Texte zu hören sind.“, erklärt League. „Wenn man darüber nachdenkt, ist es schon ziemlich verrückt.“

Ein großer Teil des Albums wurde in Leagues Atlantic Sound Studio in Brooklyn geschrieben. Die verschachtelten Arrangements passen sich den Texten an, die sowohl emotional rau als auch reich an Erkenntnis und Verständnis sind. Der visionäre Blickwinkel, der dennoch das Chaos der heutigen Zeit nicht außer Acht lässt, regt zur Selbstreflektion an und wirkt gleichzeitig erhellend und tröstend.

Verzauberte Welt

Der Opener „Glory“ lässt den Zuhörer unvermittelt in die verzauberte Welt von „Here If You Listen“ eintauchen. Die weisen Texte von Willis („The strength of the heart is in continuing”) und die außergewöhnliche Melodie des leisen Stücks wirken beinahe hypnotisch. Das scharfe und dennoch verspielte Songwriting der Band zeigt sich durch Stevens himmlisch anmutendes Gitarrenspiel. Inspiriert dazu wurde sich von der alternativen Bedeutung des Titelwortes, ein optisches Lichtphänomen, das einem Heiligenschein gleicht.

Meisterwerk von Crosbys Erzählkunst

Das sanfte und dennoch eindringliche „Vagrants Of Venice“ ist ein Meisterwerk von Crosbys Songwriting und Erzählkunst. „Ich hatte eine Vision von Venedig in einigen hundert Jahren. Der Meeresspiegel ist stark angestiegen und überall sind halbzerstörte Gebäude zu sehen, die aus der Wasseroberfläche herausragen.“, erklärt Crosby seinen futuristischen Song. „Die überlebenden Menschen fischen aus den Fenstern des Königspalastes heraus und verbrennen antike Möbel und alte Kunstwerke, um sich warm zu halten.“

Zwei weitere Tracks basieren auf Jahrzehnte alten Demos, die Crosby kürzlich wieder ausgegraben hatte: „1974“, ein helles, hoffnungsvolles Stück, und „1967“, ein zarter Tagtraum, der nur um chorähnliche Harmonien erweitert wurde. „Es ist so schön, beide Davids auf einem Song zu hören.“, freut sich Stevens. „Mit der jüngeren Version seines Ichs zu singen, als wäre dieses Ich immer noch hier, war ein übernatürliches Erlebnis.“

Kaskadenartiges Pianospiel

Eines der bewegendsten Stücke des Albums ist „Your Own Ride“. Das kaskadenartigen Pianospiel von Bill Laurence, einem Bandmitglied der Snake Puppys, unterstreicht den schmerzlich-schönen Text aus der Feder von Crosbys Sohn Django. „Ich werde nie das Gefühl in meinem Herzen vergessen, als Davids Familie den Song zum ersten Mal hörte.“, erinnert sich Stevens. „Im ganzen Raum blieb kein Auge mehr trocken. In diesem Moment schwor ich mir, diesen Moment für immer in meine Gedanken zu brennen, für den Fall, dass ich je vergessen sollte, warum ich Musik mache.“

Crosby und seine Band lassen sich weiter von Song zu Song treiben, von „I Am No Artist“ (ein umwerfendes Juwel, auf dem Stevens einen Vers der Dichterin Jane Tyson Clement vertont), über „Other Half Rule“ (ein politisch aufgeladener und nachdenklicher Track auf dem League über “Rocket men and little hands/Never taking time to listen” klagt) bis hin zu „Janet“ (eine von Little Feat inspirierte Nummer, auf der Willis vor “pouring your sweet love/Into a bitter cup” warnt).

Song von Joni Mitchell

Der letzte Song „Woodstock“ wurde ursprünglich von Joni Mitchell geschrieben und von Crosby, Stills, Nash & Young gecovert. „Man hat nicht oft die Gelegenheit, den Song einer deiner Helden gemeinsam mit einem anderen Helden zu singen.“, sagt League. „Dass das Stück die heutige Generation genauso anspricht wie damals Davids macht es sogar noch ergreifender.“

Jeder Song von „Here If You Listen” versprüht die Spielfreude, die jeder einzelne Musiker in die Aufnahmen eingebracht hat. „Ich liebe, dass es ernsthaft danach klingt, was wirklich passiert ist: vier Leute mit unterschiedlichem Background, gegenseitigem Respekt und Hingabe für ihre Arbeit sind zusammengekommen, um etwas Bedeutsames zu erschaffen.“, sagt Willis.

Unverfrorene Offenheit

Diese Einheit wurde auch durch die unverfrorene Offenheit seitens Crosby verstärkt. „Ich war immer wieder über Davids Enthusiasmus überrascht, neue musikalische Elemente auszuprobieren.“, sagt League. „Jedes Mal, wenn ich ihm etwas wie einen ARP Synthesizer oder einen anderen Sound empfahl, den man nicht automatisch mit seiner Vergangenheit in Verbindung bringt, sagte er ‚Ok, lass uns das machen!‘. Ich rechnete damit, dass er mich bremsen würde und war immer aufs Neue verblüfft, wenn er wieder Ja sagte.“

Crosbys und Leagues Wege kreuzten sich erstmals, als er Snarky Puppy auf YouTube entdeckte. Später lernte er auch Stevens und Willis kennen. Sein musikalischer Eifer geht auf die aus seiner Sicht unbestreitbare Verwandtschaft zwischen ihm und seinen Bandkollegen zurück. „Sie sind genauso wie ich. Abgesehen von der Familie ist die Musik das Einzige, was für uns zählt.“, erklärt Crosby. „Sie widmen der Musik ihr Leben und sind bereit, Opfer dafür zu bringen. Und nur mit solchen Leuten möchte ich arbeiten.“

Künstler der Rock’n’Roll-Geschichte

Sich mit einem der legendärsten Künstler der Rock’n’Roll-Geschichte zusammen zu tun, war für die anderen Musiker hingegen bisweilen beängstigend. Letztendlich hob die Zusammenarbeit aber jeden der Involvierten auf ein neues Level. „Es gab definitiv Momente, in denen ich keine Kraft mehr hatte und mein Niveau nicht halten konnte.“, gibt Willis zu. „Ich glaube, wir haben uns alle irgendwann einmal so gefühlt, doch die Kameradschaft und Energie der anderen zwang uns aus unseren Selbstzweifeln heraus in die Aktion.“

Bei den Arbeiten zum Nachfolger von „Sky Trails“ (2017; produziert von seinem Sohn James Raymond) drängte Crosby stets nach vorne. Die Wiederbelebung seiner Karriere betrachtet er als eine Art zauberhafte Verantwortung. „Musik ist eine erhebende Kraft.“, sagt Crosby. „Sie bringt das Beste aus uns heraus, bringt uns zum Lachen, zum Tanzen und dazu, uns gegenseitig zu lieben. Es ist Magie. Deshalb will ich das so oft und so lange ich es kann machen. Das ist meine Bestimmung.