Konstantin Wecker: Poesie und Widerstand live – Die Jubiläumskonzerte zum 70. Geburtstag

Konstantin Wecker: Poesie und Widerstand live – Die Jubiläumskonzerte zum 70. Geburtstag [3 DVDs]
Erscheinungstermin: 16. Februar 2018
Spieldauer: 275 Minuten

Der letzte Mohikaner der politischen Barden wird 70 und verbringt ihn … wo? Auf der Bühne im Zirkus Krone. Bezeichnend der Titel: „Poesie und Widerstand“. Im Juni 2017 startete Konstantin Wecker seine Jubiläumstour „Poesie und Widerstand“ mit fünf fulminanten Auftritten im jeweils restlos ausverkauften Circus Krone. Das fast dreistündige Konzert gibt es ab Freitag, 16.02.2018, auf drei DVDs. Das hatte Wecker zu seinem 60. auch schon gemacht, und ein paar wenige Überscheiddungen gibt es natürlich. Dennoch: Es ist bemerkenswert, was dieser Mann an Schaffenskraft hatte und hat.

Von Dylan Cem Akalin

Der Münchner Merkur titelte im vergangenen Jahr „Die professionelle Nervensäge Konstantin Wecker wird 70“ –  und das wird ihn kaum verletzt, wahrscheinlich sogar geehrt haben. Denn nerven will der Poet auf jeden Fall, wenigstens den Finger immer schön tief in die Wunden legen. Das läuft, auch bei der vorliegenden Veröffentlichung freilich nicht ohne Selbstironie. Da erzählt er, wie er damals in den 70ern mit einem bodenlangen Nerzmantel durch München stolziert sei und aussehen wollte wie ein Zuhälter. Aber: „Ich habe nicht mit den Liedern gelogen, das kann ich nicht, aber mit meiner Lebensweise, meinem Rollenspiel, dieser Macho.“ Und dann singt er ein Lied, das er in den 80ern geschrieben hat und dem er wohl „intellektuell nicht gewachsen“ gewesen sei: „Was passierte in den Jahren“.  Ein Lied übers Erwachsenwerden, über Leute, die immer nur geredet haben und sonst nicht viel getan, die gegen Leute gekämpft haben, und jetzt ihren Buckel für sie krumm machen.

Er ist ein Träumer, ein Jungspund im Herzen geblieben und singt halt immer noch „für alle, die mit mir noch auf der Suche sind/nach einer Welt, die es vielleicht nie geben kann“. Ja, klar, es ist ein musikalischer Rückblick – hervorragend produziert mit erstklassigen Musikern, unter anderem mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie unter der Leitung von Mark Mast, dem sizilianische Cantautore Pippo Pollina, dem Liedermacher Dominik Plangger aus Südtirol sowie dem österreichische Spring String Quartett. Und auch seine Begleitband um den Langzeitweggefährten Jo Barnikel  (Fany Kammerlander am Cello, die Gitarristen Jens Fischer und Severin Trogbacher, der Geiger Marcus Wall und der Perkussionist Wolfgang Gleixner) ist spitzenklasse, gibt den Songs auch schon mal einen richtigen Rocktritt.

„Ich singe, weil ich ein Lied hab‘“ ist eines seiner ersten Stücke, ein wunderbarer Song, vielleicht noch unter dem Einfluss des Blues entstanden, von Mercedes Sosa einst wunderbar interpretiert. Und Klavier spielen kann Wecker auch,  wie er spät am Abend beweist, als er sich mit Barnikel ein virtuoses Tastenduell auf „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ liefert. Oder wie zu Beginn beim Intro zu „Der Alte Kaiser“ mit dem ungewöhnlichen Rhythmusteil. Das Schöne an dieser neuen DVD-Sammlung ist ja, dass der Charakter des Konzertabends so einmalig eingefangen ist und auch seine Zwischenkommentare und kleinen Geschichten zu einzelnen Songs drauf sind. Zum „Alten Kaiser“ etwa erzählt er, dass das Lied in den 70er Jahren entstanden sei, nachdem er ein Foto von Kaiser Haile Selassie, Regent Äthiopiens und der letzte Kaiser von Abessinien, gesehen habe. „Und er hat mir leidgetan“, sagt er. Und wie das eben damals gewesen sei, hätten sich viele linke Gruppen mit seinen Texten beschäftigt und gemeint, den Text müsste man ändern. Die Trotzkisten hätten ihn eingeladen und ihm einen Alternativtext vorgelegt. Aber nein, Konstantin Wecker, der Anarchist, war eben allen irgendwie suspekt, weil der Mann seinen eigenen Kopf hat, ihn gebraucht und auch noch darüber singt.

Und so geht es weiter an diesem Abend. Es gibt poetisches, es gibt auch Rührendes („An meine Kinder“). Er erzählt vom Wunder der ersten Schneeflocken. Natürlich ist der Abend auch voll an Appellen. „Sage Nein“, ruft Konstantin Wecker in einem seiner berühmtesten Lieder gemeinsam mit Pippo Pollina: Nein zu Rassismus und Fremdenhass, Nein zu Terror und Gewalt, Nein zu heuchlerischer Politik, unersättlichen Konzernen und Angriffen auf die Menschenrechte. Auch das berührt so sehr – diesen mittlerweile 70-Jährigen zu sehen, der sich selbst so treu bleibt  und hellwach.

Künstler wie ihn gibt es leider viel zu wenige, Künstler, die Haltung zeigen und keinen Zoll von rechten, pardon, linken Weg abweichen. Die aufrütteln wollen. Schon bei seinem letzten Konzert in Bonn war die Vertonung von Georg Heyms Gedicht „Der Krieg“ ein so intensiver Moment. Überhaupt: Dieser bisweilen manchmal arg übertriebene Pathos ist verschwunden, auch die Selbstgerechtigkeit, die gelegentlich seine doch wunderschöne Poesie kaputtrat, ist dahin. Und Wecker strahlt etwas Ausgeglichenes aus.

Es tut einfach gut, wenn Wecker Mut macht, wenn er auffordert, ja einfordert, aufzustehen für seine Überzeugungen. „Empört Euch!“, singt er und appelliert: „Was keiner sagt, das sagt heraus/Was keiner denkt, das wagt zu denken.“

„Poesie und Widerstand“ hat er über die 37 Lieder (auf der DVD, 31 auf der Doppel-CD) geschrieben. Manches Bekannte fehlt, die Neuinterpretationen sind zum Teil irgendwie leiser, ohne ihre Kraft der Aussage zu verlieren – wohl auch eine neue Seite des Konstantin Wecker, dass auch ruhig vorgetragene Anklage einen eigenen Reiz hat.

Das bedeutet aber nicht, das Wecker den Abend vom Ohrensessel aus bewältigt. Er redet sich immer noch in Rage, wenn er gegen den Patriotismus („Nationalismus im folkloristischen Gewand“) wettert und auf das integrierende Element der Musik hinweist – er wird immerhin von zwölf Musikern aus zwölf Nationen aus dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie unterstützt. Mit Pippo Pollina begibt sich Wecker ins Publikum, die beiden singen „Questa nuova realtà“ und „Caruso“, Dominik Plangger komplettiert den italienischen Teil des Abends.  Eine sagenhafte DVD!

Wer Konstantin Wecker auch live erleben möchte, hat dazu Gelegenheit. Konstantin Wecker auf Tour:

28.03. Würzburg, Congress Centrum
18.07. München, Tollwood Sommerfestival
29.07. Mainz, Zitadelle
02.10. Nürnberg, Meistersingerhalle
12.10. Hamburg, Laeiszhalle
16.10. Köln, Philharmonie
19.10. Berlin, Universität der Künste
20.10. Berlin, Universität der Künste
22.10 Dresden, Kulturpalast
29.10. Leipzig, Gewandhaus
31.10. Stuttgart, Liederhalle Beethovensaal
09.11. Frankfurt a.M., Alte Oper
22.11. Basel, Musical Theater Messe Basel (CH)
01.12. Wien, Wiener Konzerthaus