Wir verlassen das Beethoven-Haus Bonn mit einem Lächeln im Gesicht. Grund ist der wunderbare zweite Konzertabend des Jazzfest 2021. Diesmal mit dem Duo Norbert Scholly & Rainer Böhm sowie dem britischen Pianisten Django Bates.
Von Dylan Cem Akalin
Es ist mal wieder faszinierend, live dabei zu sein, um unterschiedliche Ansätze des improvisierten Musikausdrucks so hautnah mitzuerleben. Und die beiden Pianisten sind wirklich komplett verschieden. Nicht nur im Charakter und Temperament. Rainer Böhm ist ein Musiker, der sich treiben lässt von Rhythmen, Melodien, Emotionen. Ein Künstler, der eins ist mit seinem Instrument, um sowohl mal filigrane Figuren als auch expressive Wildheit auf fast naturgegebene Weise anzuschlagen. Leon Django Bates ist zwar auch einer, der durchaus Gemütsbewegungen zulässt. Aber der Brite hat etwas von einem nachdenklichen Schelm.
Wer bei einem Titel wie „My Idea Of A Good Time“ einen Jahrmarkt an musikalischen Explosionen erwartet hat, wird von Bates‘ Performance überrascht sein. Zu seiner Vorstellung einer guten Zeit gehört wohl das Anfertigen irgendwelcher Dinge, zu denen es keine Konstruktionspläne gibt. So kommt es einem jedenfalls vor. Und absolute Entspanntheit. Bei diesem Stück nutzt Bates die Tastatur ganz sacht und überlegt, es ist fast so, als würde er die Töne behutsam zusammenstellen, damit sie nicht zusammenfallen. Es ist ein empfindsamer Blick in sein Inneres.
Ein von Zweifeln geplagter Humorist
Bates ist niemand, der kalkulierbare Wendungen in seinen Kompositionen zulässt. Seine Musik passt zur trocken-humorvollen Art, mit der er mit dem Publikum spricht. Der Mann mit der türkisfarbenen Strickmütze und der Brille weckt Assoziationen zum Humor eines Woody Allen. Ich muss an ein frühes Buch des amerikanischen „Stadtneurotikers“ denken, in dem er sinngemäß einmal schrieb: „Ich bin von Zweifeln geplagt. Was ist, wenn alles eine Illusion ist und nichts existiert? In diesem Fall habe ich definitiv zu viel für meinen Teppich bezahlt. Wenn Gott mir nur ein klares Zeichen geben würde! Wie eine große Einzahlung in meinem Namen bei einer Schweizer Bank.“ Solche Sätze könnten auch von Django Bates stammen.
Sein Eröffnungsstück „A Flurry in The Desert“ beginnt, als wollte er das Schlussstück des zuvor aufgespielten Duos aufgreifen. Scholly & Böhm hatten ihr Konzert mit einer zerbrechlichen Version von „Georgia on My Mind“ geschlossen. Bates spielt mit den Motiven, es erinnerte entfernt an die gemächliche Bearbeitung des Klassikers durch das deutsche Duo, bis Bates mit einem unerwarteten Tempowechsel das Ruder rumreißt.
Momente der Nachdenklichkeit
Mit „Dancey Dancey“ lädt er das Publikum ein, in Gedanken mitzutanzen. Intro und Outro bilden die Klammer mit einem dreiteiligen Motiv, zwei hohe Akkorde und ein tiefer halten einen aufstrebenden, in Schräglage geraten Lauf zusammen. Dann beginnt er mit einem La-La-La-Gesang, in dem Anklänge an Lateinamerikanische Weisen und Ragtime aufblitzen, ein Wirbel wie eine Zirkusszene. Jäh hält er inne, windet sich und ist in einem völlig anderen Film. Balladenstimmung, Nachts, Regen, Lichter. Der Musiker reitet mit seinem Publikum durch traumähnliche Assoziationsfolgen.
Zum Song „Iris“ sagt er, es gebe dort auch eine Gesangspassage mit einem Text, „den ihr eigentlich nicht verstehen dürftet“. Und dann folgen wunderschöne Momente der Nachdenklichkeit, fast ein wenig progressiv-rockig singt er in hohen Falsetten, bei dem nur ein paar Worte erkennbar sind. Bis auf dieses Stück seien es alles Premieren, sagt er. „Alles neue Stücke, und es sei nicht immer eine leichte Reise.“
Hinreißend, betörend und berührend
Kurz bevor er „Sophie in Detail“ anstimmt, sagt er, er sei verloren in der Zeit. Ein Stück, das sich ganz sachte aufbaut. Ganz im Gegensatz zum nächsten Werk. „Freely“ beginnt so plötzlich und rollend und aufbrausend, wie der Start eines aufregenden Stummfilms. Es folgen stockende Rhythmen und leicht gespielte schnelle Läufe, die in einzelnen melodiösen Momenten an Keith Jarrett erinnern. Die Stimmungen wechseln wie bei einem Soundtrack. Jetzt ist es, als würde er eine Buster Keaton-Szene begleiten, der mit einem kaputten Auto einen Abhang herunterrollt und stockend langsamer wird. Dann gibt es wieder einen Szenenwechsel. Und wir sind mitten in der Blumenmädchensequenz von Charlie Chaplins „Lichter der Großstadt“. Hinreißend, betörend und berührend. Ebenso berührend ist seine Zugabe. Es ist „My Song“ von Keith Jarrett, des großartigen Pianisten, der wegen eines Schlaganfalls nicht mehr spielen kann. Eine ausgezeichnete, kurze, zarte Verneigung.
Norbert Scholly & Rainer Böhm
Scholly und Böhm schaffen mehrdimensionale Landschaften aus Musik. So wie das Rauschen von Blättern und des Baches erst ein Ganzes im Erlebnis ergeben, so greifen Gitarre und Piano bei ihnen ineinander. Das macht das Duo schon beim Eröffnungsstück „Warp Dream“ deutlich. Ein lockeres Spiel mit Arpeggios, aus dem sich Unisono-Läufe ergeben und sich plötzliche Solos der einzelnen Instrumente herausschälen. Und manchmal huschen sie so plötzlich und schreckhaft dazwischen, wie ein Kolibri, der durchs Bild flattert.
Rhythmische, schnelle dissonante Läufe, wie das Huschen von Tom, die Comickatze, bestimmen das Stück „El Movimiento del Gato Negro“. Da ergibt sich plötzlich eine Hook, fast wie bei einem Fusion-Stück. Zur nervösen Rhythmusgitarre spielt der Pianist erst zaghafte Formen, steigert sich dann aber immer weiter in begeisterte Läufe, bis er schier außer Rand und Band ist. Böhm schafft Melodien, wilde Wirbel, und es ist geradezu ein Katz-und-Maus-Spiel, das sich die beiden Musiker da liefern. Man fragt sich nur manchmal: Wer jagt eigentlich wen? Immer wieder kommt es zu klaren rollenden Wiederholungsmustern des Pianos, die an Lyle Mays erinnern.
Das Wunder der Zwischenräume
„Pop Waltz“ ist ein Paradestück für die Art und Weise, wie sich die beiden Musiker ergänzen. Sie nutzen immer wieder die Gelegenheit, Zwischenräume zu schaffen, die der Andere füllt. Wie sie die Noten zwischen den Noten des Anderen setzen, ergibt ein organisches Bild von großer Raumwirkung. Es ist unglaublich schön zu beobachten und zu hören, wie sie trotz unterschiedlicher Wege immer wieder zusammenkommen.
Leichtfüßig tänzelnd, spielerisch ausgelassen, aber auch nachdenklich. So scheint Böhms Vater zu sein. „Tune for Dead“ ist ein Song, den er seinem Vater gewidmet hat. Während die Gitarre fast um jede Note zu kämpfen scheint, jede Note präzise ausspielt, gibt sich das Piano als unbekümmerter Genießer. Das Ende des Songs indes stimmt fast ein wenig melancholisch, es klingt nach einem Abschied.
Man müsste sich schon sehr verrenken, um zu „Dance in Seven“ wirklich tanzen zu können. Mit einer entfernten Folknote, aber einer bedrohlichen Stimmung im Unisono-Teil beginnend, bekommen wir schon fast sowas wie eine Rock-Stimmung zwischendurch zu hören.
Insgesamt ein Abend voller aufregender Eindrücke.