Interview: Ian Paice und Simon McBride über das neue Album von Deep Purple, die Texte von Ian Gillan, die Banddynamik – und Ritchie Blackmore

Wann Ian Paice das letzte Mal mit Ritchie Blackmore gesprochen hat

Deep Purple: Roger Glover, Ian Paice, Simon McBride, Ian Gillan und Don Airey FOTO: earMUSIC/Jim Rakete

Von Dylan C. Akalin

So verletzlich hat man Ian Gillan schon lange nicht mehr gehört. „I’ll Catch You“ ist ein für Deep Purple sehr emotionaler Song, schon das Gitarrenintro geht unter die Haut, und Gillan steigt mit brüchiger Stimme in den Song ein. Hingebungsvoll. Da steckt viel authentisches Leiden in seinem Ausdruck. Geht es da um seinen Verlust? Um seine im November 2022 verstorbene Frau Bron, mit der der Rockstar gut 40 Jahre lang verheiratet war? „Das ist eine sehr persönliche Sache“, sagt Ian Paice knapp. Also, geht es da um Gillans Frau? „Ich glaube schon. Für mich ist es eine umwerfende Rock’n’Roll-Ballade“, sagt Paice ausweichend.

Wir treffen den Deep Purple-Schlagzeuger in einer mondänen Suite des Düsseldorfer Luxushotels Breidenbacher Hof. Neben ihm sitzt Simon McBride, der neue Gitarrist der legendären britischen Rockband. Am 19. Juli erscheint das neue Album „=1“ (sprich: equals one). In Bottrop hat die Band für ihre Europatour geprobt. Am nächsten Tag sollen sie auf der Bühne in Madrid stehen. Zeit genug, um das neue Album zu promoten.

„=1“ ist wieder ein richtiges Deep-Purple-Album mit vielen Anklängen zum klassischen, Riff-orientierten Hardrock, was irgendwie auch stark an das Gründungsmitglied, den legendären Gitarristen Ritchie Blackmore erinnert.

Ian Paice über die Anfänge von Deep Purple:

Ian, es gibt einen alten deutschen Hit aus den Sechzigern, er heißt „Mit 17 hast du noch Träume“. Er handelt davon, dass dir alle Wege noch offenstehen, und die Bäume wachsen in den Himmel, wenn du jünger bist. Wie war es für dich, als du als junger Mann angefangen hast, bei Deep Purple zu spielen? Ich glaube, du warst ungefähr 20 Jahre alt …

Ian Paice: 19.

Du warst also nicht halb so alt wie Simon. Wie war es für dich?

Ian Paice: Nun, weißt du, ich hatte Ritchie ein Jahr zuvor in Hamburg kennengelernt. Er lebte dort, und ich spielte drei Wochen lang im Star Club und ihm gefiel meine Spielweise. Er kam und stellte sich vor und sagte, es gefiel ihm. Dann ging ich zurück nach England und dachte nicht weiter darüber nach. Es war nett, ihn kennenzulernen, und ungefähr neun Monate später stellte der Sänger meiner Band, Rod Evans, fest, dass unsere Band irgendwie nicht weiterkam. Weißt du, sie war so weit gekommen, wie sie eben nur konnte. Und er sah eine Anzeige im Melody Maker, dass eine Band einen Sänger suchte. Also bewarb er sich um den Job. Ritchie erkannte ihn und sagte: „Hast du immer noch den Schlagzeuger, Bruder? Ja, bring ihn mit.“ Ich bin also 19 Jahre alt und verlasse eine im Grunde sehr gute Coverband, um mit einigen sehr, sehr, sehr guten Musikern etwas auf die Beine zu stellen. Für mich war das also ziemlich aufregend.

Ian Paice mit Purpendicular in der Harmonie Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Klingt nach einem irren Zufall… Wie hast du dich gefühlt?

Ian Paice: Als ich merkte, dass ich den Job hatte, na ja, man ist 19 Jahre alt, sah die Welt plötzlich ganz anders aus. Und als wir dann anfingen, ein paar Bühnenshows zu machen, merkte ich, dass ich in der Qualität der Musiker eine Liga aufgestiegen war. Nicht weil sie so viel besser waren, sie wussten einfach mehr, hatten mehr Erfahrung. Und dann machten wir die erste Platte und hatten den Hit in Amerika – und ich lebte auf einem anderen Planeten. Ganz plötzlich war ich in meinem Kopf ein Rock’n’Roll-Star. Nirgendwo sonst, nur in meinem Kopf. Und wenn man so jung ist, ist alles wie Disneyland.

Konntest du dir vorstellen, dass es einmal so weit gehen würde mit Deep Purple?

Ian Paice: Damals hat man sich nicht vorstellen können, dass eine Band länger als zwei oder drei Jahre durchhält. Wenn du dir die Beatles ansiehst, die waren sechs Jahre lang erfolgreich. Von 62 bis 68. Und das ist die größte Band der Welt. Die Stones sind die einzigen, die noch als Band auf Tour sind und schon länger existieren als wir. Daran hat man als junger Mensch nie gedacht. Man hat nicht an nächste Woche gedacht. Morgen war noch weit weg.

Du bist die einzige Konstante bei Deep Purple, du bist der Einzige, der auf allen Platten spielt …

Ian Paice: Ja, ich hatte da einen festen Job. Ich weiß nicht, ob das wichtig ist. Ich denke, es ist schön für die Fans, jemanden zu haben, der die ganze Zeit da war. Das ist alles, was ich darüber denke. Und, ja, ich bin auf jeder Platte zu hören, sodass es diese Art von Kontinuität gibt. Aber ob das wirklich wichtig ist, kann ich nicht sagen. Ich finde es einfach schön, dass da jemand ist, der sich mit allem identifizieren kann, was wir jemals getan haben.

„=1“

„=1“: Es gibt wieder tolle Deep Purple-Momente auf dem Album. Andererseits hat die Band viele moderne Ansätze und Sounds, sehr starke Progrock-Elemente und wieder tolle Texte von Ian Gillan auf dem Album vereint. Das fällt schon beim Opener des Albums „Show Me“ auf. Augenfällig ist das geradezu organische Zusammenspiel von Keyboarder Don Airey und Simon McBride.

Und Ian Gillan hat wieder tolle Lyrics geschrieben. Deep Purple hat schon früher Lieder mit politischer Haltung gehabt. Ich denke da an Songs wie „Mary Long“ von einer meiner Lieblingsplatten „Who do we think we are?“. Das war 1973.

Ian Paice über „Child In Time“ und Ian Gillans Lyrics

Als ich mir die letzten Platten noch einmal anhörte, als ich dieses Interview vorbereitete, dachte ich, dass ihr damals unbeschwerter geklungen habt. Ich meine, auf dem aktuellen Album sowie auf den letzten, die ihr mit Bob Ezrin aufgenommen hat, kann man auch klare politische Aussagen hören, zum Beispiel zum Klimawandel.

Ian Paice: Es gibt Zeiten, in denen Ian [Gillan] der Welt etwas mitzuteilen hat, weil er Lyrics über Dinge schreibt, die in der Welt geschehen. Aber er versucht nie, jemandem zu sagen, was er tun sollte. Er sagt: „Schau, das passiert. Denk darüber nach. Können wir es besser machen? Können wir nicht?“ Aber er ist kein Prediger. Und die anderen Lieder sind auch nicht nach dem Grundmuster: „Ich liebe dich. Ich liebe dich nicht.“ Wenn er etwas sieht, worüber er eine Aussage machen möchte, dann tut er das auf eine sehr sanfte, sehr geschickte Art und Weise. Ich glaube, sein letztes großes Statement war wahrscheinlich „Child in Time“, als er den Leuten sagte, sie sollten nicht aufeinander schießen. Und ich denke, das war eine ziemlich gute Aussage.

Ian Paice and Purpendicular FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ich habe das Gefühl, dass in Eurer Musik etwas mehr Ungeduld steckt.

Ian Paice: Ich finde, sie ist einfach intensiver. Auf den letzten paar Platten ist sie intensiver. Und jetzt hat das viel mit Simon zu tun. Als wir die Platte geschrieben haben, hat sich Simon Riffs ausgedacht. Er hat Riffs hochgeschraubt, während Steve Melodien und Toplines hatte. Das ist eine andere Art, etwas zu beginnen, dementsprechend führt es in eine andere Richtung. Wenn man mit einem Riff beginnt, wird es im Allgemeinen etwas hitziger oder intensiver, wenn man mit einer Topline oder einer schönen Melodie beginnt, führt dich das woanders hin. Simon bringt also Riffs mit. Es erinnert also an…

… entschuldige, ich glaube nicht, dass es nur die Riffs sind.

Ian Paice: Nein, aber man hat dieses Element härterer Musik, das dem ganzen Album dann eine andere Dimension verleiht. Weißt du, Steves Sachen waren oft unglaublich schöne Melodien oder komplexe Dinge, denn so funktioniert sein Gehirn. Das führt dich also in eine andere Richtung. Aber wenn man eine Grundlage von vier oder fünf Riff-Songs hat, beeinflusst das die ganze Platte, und sie verleiht ihr mehr Intensität. Und ich glaube das ist der Grund, warum diese Platte einfach intensiver ist.

Ich weiß ja, zum Beispiel, dass eure Musik immer Progrock-Elemente enthielt, und als ich das neue Album zum ersten Mal hörte, dachte ich, dass es sogar sehr viel mehr Progrock-Elemente enthält als man es von euch kennt. Sogar der Sound… …auf diesem Album gibt es mehr Synthesizer. Siehst du das anders?

Ian Paice: Was du von früher beschreibst, sind Dinge, die passierten, als wir noch jung waren. Und okay, ich war, sagen wir, zwischen 19 und 23, als all diese großen Platten entstanden, und die anderen Jungs waren ein bisschen älter. Man hat einen bestimmten Punkt in seinem Talent und seiner Technik erreicht und kann nur bis zu einem gewissen Punkt gehen. Nun, im Laufe seiner Karriere lernt man immer mehr dazu. Und wenn du also von Progrock redest, was mich ein bisschen verwirrt, dann ist es einfach so, dass es mehr musikalische Punkte gibt, die man einbringen kann, weil man sie machen kann und sie jetzt kennt, während man vor 20 Jahren, soweit ich mich erinnere, nicht wusste, wie man es macht. Es ist also eine Entwicklung und ein Lernprozess. Heute denkt man, das klingt wirklich interessant. Lass es uns machen. Aber vor 20 Jahren hättest du nicht einmal daran gedacht. Weißt du, es gab andere Sachen, die du sehr gut gemacht hast, aber das war es nicht, es ist so, aber es ist nicht nur, es ist nur der Sound, ich meine, auf diesem Album gibt es natürlich mehr Synthesizer.

Simon McBride und Ian Paice über Gitarristen, Keyboarder und die Rolle des Drummers:

Simon, ich weiß, dass du Don Airey schon länger kanntest bevor Du zu Deep Purple kamst. Das hört man übrigens. Es ist sehr interessant, euch beiden beim Spielen zuzuhören. Ihr spielt sehr organisch. Wie war das? Ich meine, hast du neue Ideen eingebracht?

Simon McBride: Wir alle bringen Ideen ein. Selbst jetzt gehen mir ungefähr eine Million Riffs durch den Kopf. Das ist für mich ganz natürlich. Ich spiele mit Don jetzt schon seit 10, 15 Jahren. Wir kennen uns in- und auswendig, weißt du, musikalisch weiß ich, was er spielen wird, bevor er es spielt und umgekehrt. Zum Einsatz von Synthesizern und so … Don hat in seiner ganzen Karriere so viel gemacht. Sehr musikalisches Zeug. Die Verwendung von Synthesizern und ähnlichem ist vergleichbar mit dem, was ich als Gitarrist mit Gitarrenpedalen und all diesen verschiedenen Sounds tue. Es fügt den Dingen einfach ein bisschen Farbe hinzu. Nicht wahr? Du änderst ja nicht wirklich etwas. Mich fragen die Leute die ganze Zeit. Warum verwendest Du dieses und jenes Teil – was ich nie verwendet habe. Und ich sage, ich verwende es für einen Takt, und für diesen einen Takt lang, klingt es für den Zuhörer anders.

Deep Purple in Bonn mit Simon McBride FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ian Paice: Aber wenn man sich die Periode von 1972/73 von Purple anhört, hat Jon Lord die damals verfügbaren Synthesizer verwendet. OK, im Vergleich zu heute waren sie sehr einfach, aber der Sound war immer noch ok. Vor zwei Jahren konnten wir bestimmte Dinge vielleicht nicht machen, weil es das noch nicht gab. Aber jetzt können wir es. Aber wie Simon sagt: Wenn man eine Weile mit jemandem zusammenspielt, hat man ein unterbewusstes Verständnis. Man muss nicht einmal etwas sagen. Es kann eine Bewegung sein, ein Blick, eine Position. Bei Roger und mir ist es so, wir wissen irgendwie, was der andere tun wird, ohne darüber zu reden. Man lernt einfach unterschwellige Signale kennen, oder es könnte sogar nur ein bestimmter Lauf zwischen dem sein, was er tun wird. Es ist einfach Vertrautheit, die auch kommt, je mehr Sie mit einem neuen Gitarristen interagieren. Das Einzige, was sich ändert, ist die Grundlage dessen, was diesen Musiker anders macht.

Musstest du dich umstellen beim Spiel, Ian?

Ian Paice: Wir hatten immer das Glück, dass jeder, der auf diesem Platz saß, jeder, der jemals in der Band war, wirklich gut war. Wir haben nie auf einen Musiker von geringerer Qualität zurückgegriffen. Die Tatsache, dass jemand etwas anders ist, ändert also nicht wirklich etwas. Die größte Veränderung, die ich je vornehmen musste, war Glenn. Glenn Hughes spielte Bass in der Band, weil er völlig anders war als Roger. Roger lässt mir Raum zum Ausfüllen. Glenn spielte viele Noten. Also konnte ich nicht so viel spielen.

Roger Glover mit Deep Purple in Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Wie ist es mit Gitarristen?

Ian Paice: Meine Aufgabe ist es, zuzuhören und einen Weg zu finden, das, was sie tun, noch besser zu machen, indem ich eine musikalische rhythmische Aussage mache. Aber wenn die Jungs gut sind, fällt man einfach in das hinein, was sie tun, wenn jemand ein Solo spielt. Das ist der Typ. Er ist der King Kitty. Alles dreht sich darum.

Es gibt ein hübsches Metal-Gitarrensolo auf „A bit on the side“. Da führst du Deep Purple mit flotten Linien etwas mehr in die Metal-Zone…

Ian Paice: Ja.

Unglaublich. Tolles Solo.

Simon McBride: Danke.

Wie schwierig ist es, nach Legenden wie Ritchie und Steve seinen eigenen Stil einzubringen? Hat dir das Druck gemacht?

Simon McBride: Also, ich denke nicht wirklich an die Kunst von Ritchie oder Steve. Ich muss einfach darüber nachdenken, wie ich es spielen würde. Denn wenn man einmal anfängt, sich zu fragen, ob man wie Ritchie oder wie Steve klingt, landet man im Nirgendwo. Für mich ist es nicht der Druck. Nein, am Anfang war da ein bisschen Druck, aber ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass es so war, als müsste ich einfach ich selbst sein und einfach spielen. Ich werde nie wie Ritchie klingen, ich werde nie wie Steve klingen, ich werde leider immer wie ich selbst klingen. Also muss ich genauso denken und meine Einflüsse nutzen, von denen ich im Laufe der Jahre gelernt habe, und genau das kommt in dem zum Ausdruck, was ich mache, wie das Solo, von dem du sprichst. Ich glaube, ich habe es live im Studio in Toronto gespielt. Ich kann mich nicht erinnern, aber ich bin mir fast sicher, dass es so war, und es war einfach, das bin ich, der da rauskommt. Ich denke nicht an irgendetwas anderes …

Ian Paice: … aber das ist es, was wir wollten. Wir wollten nicht Ritchie Blackmore Nummer 573. Und wir wollten nicht Steve Morse Nummer 200. Wir wollten einen Typen, der spielen kann und das Selbstvertrauen hat, zu sagen: „Das bin ich!“ Wenn du das nicht hast, kannst du nicht in der Band sein. Wenn du versuchst, das zu sein, was vorher war, ist das sinnlos. Weißt du, selbst wenn du der beste Gitarrist der Welt wärst und einige dieser Songs spielen würdest, wärst du nicht besser als Ritchie. Aber das ist nur mein Eindruck. Wenn du das nicht versuchst und sagst: „OK, das bin ich“, dann bist du der Beste darin, du selbst zu sein.

Simon McBride: Richtig.

Deep Purple in Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Hat sich dein Sound mit Deep Purple verändert?

Simon McBride: Irgendwann passt du deinen Sound an die Band an…

Ian Paice: Nein, nein, nein, das würden wir nicht wollen.

Simon McBride: Jeder Gitarrist hat einen eingebauten Gitarrensound, und egal, was ich anschließe, der Sound ist derselbe. Wenn ich einen Fender anschließe, bekomme ich immer noch das Signal, das ich habe. Oder es ist ein Marshall, da kann man nichts machen.

„=1“

Zurück zum neuen Album. „Portable Door“, das schon als Single auf dem Markt ist, ist ein echter Ohrwurm, „Old-Fangled Thing“ mit schrägen Gitarreneinsätzen und dem stückweisen Sprechgesang ziemlich surreal. Auch „Pictures of You“, eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle von Influencern im Internet, bleibt nachhaltig im Ohr. „Lazy Sod“ ist einer dieser typischen Deep Purple-Songs mit starken Gitarrenriffs und einer mächtigen Orgel-Präsenz. Ein Song über die Ignoranz vieler Menschen, die den Klimawandel nicht ernst nehmen.

Ian Paice über die Gruppendynamik und die Freiheit der einzelnen DP-Mitglieder

Es gibt ein Lied über eine Prostituierte …

Ian Paice: Es ist ein Lied über eine Dame mit ziemlich lockerer Moral.

Ist es noch zeitgemäß, ein Lied über solche Damen zu machen?

Ian Paice: An dieses Lied erinnere ich mich von der Probe. Ich weiß nicht wirklich, worum es geht. Ich erinnere mich, aber er sagt, es sei eigentlich das Gegenteil. Es ist politischer als alles, was er sagt. Wenn du also eine richtige Antwort willst, frage ihn. Ian hat ein verrücktes Gehirn. Aber es sind einige clevere Texte. Du kennst diese Zeile, in der es darum geht, die Gaben zu nutzen, die einem gegeben wurden. Weißt du, das ist, was sie tut. Aber Männer machen das auch. Interessanter Text. Vielleicht kann man ein Lied nicht erklären, weil wir nur erklären können, was wir denken. Wenn wir eine Platte machen, präsentieren wir Ian nur ein paar Musikstücke. Das sind keine Lieder, das sind Musikstücke, in denen Platz für eine Strophe und einen Refrain ist, und dann nimmt er es mit, und wir wissen nicht, was passieren wird, bis wir das fertige Ding hören.

Ihr diskutiert nicht über die Lyrics?

Ian Paice: Ich akzeptiere immer seine Texte. Wir vertrauen einander, dass wir das tun, was in diesem Moment richtig ist. Er würde mir nie sagen, was ich mit dem Schlagzeug machen soll. Ich würde ihm nicht sagen, was ich mit der Gitarre machen soll. Es muss das sein, was die Leute fühlen. Und manchmal ist es großartig und manchmal ist es etwas, das einen ein wenig verwirrt und man denkt: Na ja, das hätte ich wahrscheinlich nicht getan, aber es ist da. Aber man kritisiert nicht das Spiel des anderen. Das kann man nicht machen. Jeder von uns ist auf eine andere Weise wichtig. Und diese Bedeutung bedeutet, dass man in Ruhe gelassen werden muss, um es zu tun. Das sind einfache Regeln.

Ihr fragt ihn nie, worum geht es da in dem Song?

Ian Paice: Wir wollen es nicht, wir hören es. Es ist, als würde man es zum ersten Mal hören. Wir kennen die Musik. Wir wissen nicht, was passieren wird.

Aber muss man nicht verstehen, worum es geht?

Ian Paice: Nein, denn, wie du sagst, worum geht es in diesem Text? Also frage ihn. OK, natürlich kannst du den Text auch ein bisschen besser verstehen. Aber die Hälfte der Zeit wird er uns nicht sagen, worum es geht. Er mich ja auch nicht, was ich da auf dem Schlagzeug mache.

Simon McBride: … oder auf der Gitarre.

Ian Paice: Wenn wir uns gegenseitig zu sehr beeinflussen, würde sich die ganze Dynamik ändern.

Ich muss nach „Pictures From You“ fragen. Ist das eine kritische Auseinandersetzung mit Influencern?

Ian Paice: Ich weiß nicht. Bei einigen dieser Fragen zu den Texten müsst du wirklich versuchen, ein Interview mit Ian zu arrangieren, denn wir haben alle unterschiedliche Meinungen darüber, was jedes Ding ausmacht. Und das gilt auch für die Leute, wenn sie es hören. Das Publikum wird sich seine eigene Meinung darüber bilden. Weißt du, bei uns geht es nicht um „June liebt Freddie und Freddie liebt dich“. Ich könnte etwas zu dem Song „I’m say nothing“ sagen.

Okay…?

Ian Paice:  Nun, das ist etwas, das ist aus einem Witz zwischen Simon und mir entstanden ist. Es ist eine sehr alte Komödie von Peter Sellers. Peter Sellers spielt einen irischen Dramatiker im Studio der BBC ist und ist sehr betrunken. Und jedes Mal, wenn sie ihm eine Frage stellen, sagt er: „Ich sage dir, ich sage nichts.“ Es war die Zeit der IRA damals. Du hast also nichts gesagt? Und Ian Gillan hörte Simon und mich das die ganze Zeit diese Späße machen und dachte, das wäre eine gute Idee für einen Song. Also verwendete er sie und dachte sich einen Text aus. Also weißt du, ich sage nichts.

„=1“

„If I Were You“ startet gleich mit einem Gänsehautmoment, einem berührenden Gitarrenintro. Und auch das Solo später geht einem unter die Haut. Diese Ballade hätte auch von Mitch Ryder sein können. Bei „Now You’re Talkin’“ zeigt die Band, wie wild sie immer noch sein kann. Und teilweise singt Gillan sogar so stürmisch wie Brian Johnson von AC/DC. Und was für ein instrumentaler Start bei „Bleeding Obvious“ – es könnte ein Song über einen Politiker sein, der seine einstigen Ideale irgendwann und irgendwo verloren hat.

Ian Paice und Simon McBride über Träume

Hast du noch Träume, Ian?

Ian Paice: Nicht die Art von Träumen, an die du denkst. (lacht) Nein, ich weiß, was du meinst. Wenn du jung bist, liegt dein ganzes Leben vor dir, und du hast diese Rock’n’Roll-Sache am Laufen. Dein ganzes Leben ist eine Fantasie. Alles ist eine Fantasie. Weißt du, du reist in einem Flugzeug, du bist in einem anderen Land, du spielst für andere Leute. Die Leute kümmern sich um dich, du hast ein paar Euro in deiner Tasche. Es ist eine andere Welt. Ja. Und dann gewöhnt man sich irgendwie daran. Wenn es immer so weitergeht, ist daran nichts auszusetzen – solange du verstehst, dass es eine privilegierte Position ist. Weißt du, du bist gerade gesegnet worden. Der große Finger kam aus dem Himmel und sagte, du bist der Glückliche. Solange du verstehst, dass es ok und immer noch aufregend ist, träumst du nicht von anderen Dingen. Nein. Denn das meiste, wovon du als junger Mensch geträumt hast, hast du schon gemacht, weißt du, und dann werden nur alte Erinnerungen wachgerufen. Ich hatte eine tolle Zeit. Wir hatten eine schreckliche Zeit. Weißt du, das ist alles.

Wie ist es für dich, Simon? Ist es ein Traum, mit einer legendären Rockband zu spielen?

Simon McBride: (verzieht theatralisch das Gesicht) Es ist furchtbar. Sie lassen mich in schönen Hotels und Privatflugzeugen übernachten. Es ist furchtbar. Es ist sehr hart. Im Ernst, als ich ein Kind war, war es immer der Traum eines jeden Kindes, Teil einer großen Rockband zu sein. Deshalb haben wir angefangen, um mit dem, was wir tun, erfolgreich zu sein. Weißt du, was wichtiger ist: Es geht um die Musik. Aber Teil von Deep Purple zu sein, ist etwas sehr Privilegiertes, weil das Erbe dieser Band einfach riesig ist. Ich fühle mich sehr geehrt. Und ich muss mich immer noch ab und zu kneifen, wenn ich meinen Namen damit verbunden sehe. Aber jetzt, nachdem ich zwei Jahre dabei war, normalisiert es sich irgendwie. Mittlerweile ist es, als würde ich mit den Jungs in der Kneipe spielen oder so, und auf der Bühne ein bisschen Crack rauchen. So fühlt es sich jetzt an, nur auf einer großen Bühne natürlich. Aber ja, so passiert das eben. Erst ändert sich dein Leben total, und dann wird es wieder normal.

Deep Purple in Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ian Paice: Aber das Wichtigste, was Simon passieren wird, ist – egal, wie lange Deep Purple noch weitermachen, zwei Jahre, vielleicht drei, wer weiß? – dass er viel länger weitermachen wird, weil er eine Generation jünger als wir anderen ist. Und der Punkt ist, dass nur einige Leute vorher Simon kannten. Jetzt werden immer mehr Leute von Simon erfahren. Als Sprungbrett für seine zukünftige Karriere ist das unglaublich wichtig. Wenn jemand so viel Talent hat, ist es richtig, dass es auch viele Leute sehen. Wenn du nur in einem Club spielst, sehen es nur wenige Leute. Und es ist sehr, sehr schwer, da auszubrechen. Es ist im Übrigen für beide Seiten großartig, für das Talent, das eine Chance bekommt hat, und für uns als Band, sofort jemanden so Gutes unter Vertrag nehmen zu können.

Simon, hast du jemals mit Ritchie Blackmore oder Steve Morse gesprochen und sie nach Rat oder sowas gefragt?

… über Ritchie Blackmore

Simon McBride: Ich habe mit Steve gesprochen, was mir sehr geholfen hat, um neu anzufangen. Ich habe nicht persönlich mit ihm gesprochen. Ich habe per E-Mail mit ihm kommuniziert, aber er war sehr, sehr entgegenkommend, egal, welche Hilfe ich brauchte. Er war da, was wirklich nett war.

Und Ritchie?

Simon McBride: Nein.

Und du, Ian. Hast du nochmal mit Ritchie gesprochen?

Ian Paice: Nicht für eine lange, lange Zeit. Das letzte Mal, dass ich mit Rich kommuniziert habe, war vor ungefähr 20 Jahren. Er hat mir eine Weihnachtskarte geschickt. Ja, aber er lebt in den USA, und wir leben in Europa. Es ist also ziemlich lange weg von hier, er 1993 oder so, vor 31 Jahren gegangen. Wissen Sie, Dinge ändern sich. Ich denke immer noch an Ritchie, an die frühen Tage, als wir ziemlich enge Freunde waren. Und was auch immer danach passiert ist, ich bin nicht böse darüber. Darüber denke ich zu viel nach. Wir sehen die Welt auf eine andere Weise und jeder von uns hat Dinge, die er tut und von denen er sagt, dass er sie später im Leben vielleicht nicht mehr tun würde. Ich beharre nicht auf meinem Standpunkt, und ich hoffe, wenn ich ihn irgendwo in der Bar wiedersehe, setzen wir uns zusammen, trinken etwas und reden über den Blödsinn. Weißt du, denn das ist das Wichtige. Das ist alles.

Autor Dylan Akalin mit Ian Paice (r.) und Simon McBride (l.)

Was bedeutet „=1“?

Das Cover von „=1“ ist genauso spartanisch wie das erste Album, das Deep Purple mit Produzent Bob Ezrin gemacht hat („Now What?!“) Hat das eine Bedeutung? Ist es eine Andeutung, dass es das letzte Album der Rockband sein wird? Irgendeine mysteriöse Botschaft…? Ian Paice schmunzelt. „Nicht, dass wir wüssten. Die Wahrheit ist, dass Ian Gillan sich normalerweise die Titel ausdenkt, weil der Rest von uns keine Lust hat, das zu tun. Er kam also mit dieser riesigen, gewaltigen algebraischen Gleichung, ein riesiges Ding, und alles ergab eins, und es sah einfach interessant aus. Aber er hat uns nichts weiter darüber erzählt. Wir sind dann mit der Idee zur Plattenfirma gegangen, und die hat sich dieses einfache kleine Ding ausgedacht, das eins ergibt.“

Ihr habt also genug Ideen für weitere Deep Purple-Platten?

Ian Paice: „Die haben wir wohl. Ich denke, nächstes Jahr werden wir uns etwas Zeit nehmen und eine weitere Platte aufnehmen, weil wir nicht die ganze Zeit um die Welt touren können. Es ist ganz einfach, wenn du Ideen hast.“