Christopher Dell steht nach dem Konzert am CD-Stand und signiert. Doch es sind nur wenige, die sich das Album des Trios kaufen, die gerade in der Bonner Brotfabrik ein atemberaubendes Konzert gegeben haben. Warum nur? Vielleicht, weil die Liveperfomance dieser hochkomplexen Musik fasziniert, wie der wagehalsige Auftritt von Artisten. Es ist das unmittelbare Erleben der Musik. Ob das in der Konserve funktioniert? Viele hatten an diesem Abend des Jazzfest Bonn offenbar zumindest Zweifel.
Von Cem Akalin
DRA nennt sich das Trio – nach den Anfangsbuchstaben der Musiker Christopher Dell (Vibraphon), Christian Ramond (Bass) und Felix Astor (Schlagzeug) und soll auch Assoziationen an DNA wecken, hier: die DNA ihrer sehr eigenen Musik. Und die Musik, die sie machen, liegt sicherlich mittlerweile zu wesentlich größeren Teilen im Territorium der zeitgenössischen Musik als im Jazz. Und dennoch sprechen die Drei die Klangsprache des Jazz.
„Swing liegt in der Luft“, hatte Dell mal in einem Konzert in der Harmonie gesagt, das das Trio vor vielleicht 15 Jahren gegeben haben. Und das stimmt sicherlich immer noch. Vor allem beim Eröffnungsstück „Hundert“, das zunächst eher eine trotzige Haltung annimmt, wie sich Vibraphon und Schlagzeug mit ihren verschobenen Rhythmen ankeifen. Doch das Werk nimmt im Verlauf Fahrt an, befreit sich vom Zögerlichen und Widerborstigen der Struktur und klingt tatsächlich mit einer Art Swing aus.
Es hat ja auch sicherlich etwas zu sagen, dass die Titel lediglich Zahlen sind. Und diese ungeheuer dicht komponierten Werke voller komplizierten Akkordfolgen, Tempiwechsel und artistischer Strukturen in Rhythmik und Harmonie verlangen dem Trio allerhöchste Konzentration, wie Dell zugibt. Wo ist das Thema, wo beginnt und endet ein Solo? Das ist bei DRA überhaupt kein Gegenstand der Erörterung mehr. Sicherlich: Diese Musik ist so kompliziert, verlangt soviel Achtsamkeit von Musikern als auch vom Publikum, das im Übrigen an diesem Abend äußerst aufmerksam war und die Musiker damit geradezu unterstützte, ist derart kopflastig, dass die Pause zum nächsten Auftritt von Heiner Schmitz‘ Organic Underground für viele sehr willkommen war.
Die Stücke, wie auch „Hundertzwei“ scheinen wie aus vielen einzelnen Päckchen zu bestehen, wie die Lösung einer mathematischen Formel, die aus runden und eckigen Klammern und Nebenrechnungen besteht. Das macht auch Spaß, etwa den Forschern am Max Planck Institut für Mathematik in der Teepause bei der Diskussion an den weißen Tafeln zuzuhören – aber verstehen muss man das auch zwangsläufig nicht alles.
Dass alle Drei Virtuosen auf exzellentem Niveau sind, versteht sich von selbst. Dell zu beobachten, wie er mit vier Schlägeln über das Vibraphon flitzt, wie er wechselt von akkordbetonten zu Einzelton-Folgen, wie er lässig mit der linken Hand immer abwechselnd mit den Schlägeln zur Sache geht, während die rechte entspannt, wie Astor diese extrem dichten und sich überlappenden Rhythmen zusammenhält, mal ruhig mit dem Besen, dann explosiv sein Schlagwerk bearbeitet, ist überaus faszinierend. Und dann wird auch klar, was Dell damit meint, dass es dem Trio um die „Forschung des Machbaren“ geht. Die Forschung ist längst nicht am Ende.