Der Mann kann es sich leisten, über seine kaputte Hüfte zu witzeln und einen Abend mit einem Song zu starten, der „I’m Growing Old“ heißt. Immerhin ist das Tom Jones, einer, den man zu recht einen Star nennt. Ein Mann von 82 Jahren, der immer noch glänzend bei Stimme ist. Wenn der also den Abend auf dem Barhocker sitzen bleibt, weil ihm die eine noch nicht operierte Hüfte zwickt, dann darf der das – ohne auch nur ein wenig von seinem berühmten Sexappeal einzubüßen. Allerdings hätten die Damen in den ersten Reihen sicherlich gerne noch etwas mehr Glanz erwarten dürfen. Statt offenem Glitzerhemd, aus dem die Brustbehaarung unter den Goldkettchen zu sehen ist, kommt Sir Tom im bis oben zugeknöpften Jeanshemd. Nun ja, es zog ja auch ein wenig auf dem Roncalliplatz in Köln. Ums vorwegzunehmen: Der Mann war fantastisch und die Band, die ihn begleitete, einfach ein Traum.
Von Dylan Cem Akalin
„Ich bin der älteste Brite, der in Großbritannien ein Nummer-eins-Album hatte“, sagt Tom Jones nicht ohne Stolz. Tatsächlich heißt seine Tour wie sein aktuelles Album „Surrounded by Time“, ein Album, auf dem er so unterschiedlichen Künstlern huldigt wie Bob Dylan, Terry Callier, Cat Stevens/Yusuf Islam oder Michael Kiwanuka. Von Dylan präsentiert er an diesem Abend gleich zwei Songs, „Not Dark Yet“ und „One More Cup Of Coffee“. „Not Dark Yet“ hat bei Sir Tom nicht diese melancholische Schwerkraft, nicht diesen Schmerz eines Mannes, dessen Bürde kaum zu ertragen ist. Nein, merkwürdigerweise geht es bei ihm poppiger und leichtfüßiger zu. Und auch später bei „One More Cup Of Coffee“ fehlt der Moment des Sehnsüchtigen, der Ruß eines Abschieds. Aber so ist Jones, er macht jeden Song zu seinem, zu seiner eigenen Erfahrung.
Schon bei den ersten Takten ist offensichtlich, dass seine Stimme immer noch beeindruckend ist. Natürlich ist da nicht mehr der Druck, mit dem er als junger Mann beeindruckt hat. Vor einem halben Jahrhundert hätte er den Roncalliplatz wahrscheinlich locker ohne Mikro beschallen können. Aber der Mann hat immer noch einen Ausdruck, der beeindruckend und ergreifend ist.
Nach der flotten Version von „Not Dark Yet“ kommt dann mit seinem einstigen Nummer-eins-Hit „It’s Not Unusual“ (1965) ein wenig Nostalgie auf. Congas und das Akkordeon geben dem Song einen leichten Chanson-Charakter. „What’s New Pussycat?“, den Burt Bacharach für die gleichnamige Filmkomödie geschrieben hatte, startet auch mit einem romantischen Akkordeon-Intro. Sein musikalischer Leiter und Schlagzeuger Gary Wallace, der auch schon mit Pink Floyd, Dusty Springfield, Mike Rutherford, Mike + The Mechanics und vielen anderen gearbeitet hat, macht mit den neuen Arrangements aus einer Pop-Ikone und einem einstigen Sexsymbol einen nachdenklichen Folk-Troubadour mit Hang zu rockigen und ausgefallenen Sounds. Dusty Springfields „The Windmills of Your Mind“ schafft eine dramatische Spannung, die dann vom Tanzhit „Sexbomb“ aufgelöst wird. Bunte Bilder im Hintergrund illustrieren den modern arrangierten Cat Stevens-Song „Popstar“. „Green, Green Grass of Home“ hat ein Countryfeeling, das Tom Jones mit Sprechgesang präsentiert. Ein toller Bass führt in „One More Cup of Coffe“ ein, auf dem eine Slidegitarre begeistert.
Aber einer der erstaunlichsten Stücke und einer der Highlights des Abends ist das Todd Snider cover „Talking Reality Television Blues“. Da brilliert nicht nur die Band. In wenigen Minuten und mit eindrucksvollen Video-Sequenzen wird die Geschichte des Fernsehens erzählt, beginnend von der Geburt des Massenmediums, das live den Spaziergang eines Mannes auf dem Mond übertrug, vom wachsenden Erfolg von Sitcoms und Gameshows, von MTV, von der „drohenden Kollision mit der Realität“, von Präsidenten, die „alternative Fakten“ schufen. Unter dem eindringlichen Sprechgesang läuft das wilde psychedelische Spiel der Band, dystopische, eindringliche Klänge, teilweise beeinflusst von Radioheads „Amnesiac“. Hammer!
Da passt der nächste Song so gut in die jetzt geschaffene gespannte Spannung auf dem Platz: „I Won’t Crumble with You If You Fall“ als sparsam instrumentierter Gospelsong. Der Mann kann’s einfach immer noch. Leonard Cohens „Tower of Song“ schafft bei den rund 3000 Fans am Kölner Dom weitere Gänsehautmomente.
„Delilah“ beeindruckt mit Akkordeoneinsatz und einem leichten Western- und Flamenco-Gitarrenarrangements. Nach „Lazarus Man“ folgen die Dauerhits „You Can Leave Your Hat On“, den Joe Cocker bekannt gemacht hat, und Prince‘ „Kiss“. Den Abend beschließen „One Hell of a Life“ und das Traditionel „Strange Things Happening Every Day“. Dann ist der Abend nach gut anderthalb Stunden vorbei. Und Sir Tom Jones hat mal wieder bewiesen, dass man sich auch mit 82 Jahren noch als Künstler und Sänger weiterentwickeln kann. Der Mann ist ein Phänomen.