Ein verstörendes Album: Van Morrison „Latest Record Project: Volume 1“

Van Morrison und sein neues Album FOTO: Bradley Quinn

Der Mann singt von Gedankenkontrolle, von geheimen „Treffen im Wald“, davon, dass Mainstream-Medien lügen. Mann ist überzeugt, dass die Schattenkräfte des Establishments sich bemühen, ihn zum Schweigen zu bringen – ziemlich seltsame Behauptungen auf einem Album, das immerhin von Sony, also einem multinationalen Konzern veröffentlich wurde. Van Morrisons „Latest Record Project: Volume 1“ verstört.

Von Dylan Cem Akalin

Der Mann hat immer noch ein unverwechselbares Gespür für zeitlosen Blues, R&B, Jazz und Soul. Sein hauptsächlich von Ray Charles geprägter Soul, der auch mal mit Country-Stimmungen gewürzte Jazz, lässig begleitet von Richard Dunns satt swingender Hammond-Orgel, ist so einzigartig wie eingängig.

„Blue Funk“ etwa, einer von 28 neuen Stücken auf dem Doppelalbum „Latest Record Project: Volume 1“, ist von spektakulärer Leichtigkeit, „Big Lie“ ein starkes Duett mit Chris Farlowe. „Thank God For The Blues“ eine hinreißende Verneigung vor der Zwölftakt-Musik, „Western Man“ hat trotz des Midtempos diese berührende Dylan’sche Traurigkeit. Der Opener „Latest Record Project“ ist ein unkomplizierter Soul-Shuffle mit „sha la la“ Backing-Gesang – klanglich ziemlich typisch für das, was wir von Morrison erwarten: „Hast du meine neuesten Songs, die ich singe?“, fragt er da. Es sei „Nicht etwas, das du vielleicht wissen möchtest / Aber etwas, mit dem ich mich in der Gegenwart identifizieren kann.“ Die Warnung sollte man ernst nehmen.

Denn es irritiert ungemein, was Morrison da an einer Gemengelage von Verschwörungsideen, die fast schon in Verfolgungswahn abgleiten, präsentiert. Immer wieder streut er diffuse Anschuldigungen an „die Medien“, die „Ignoranz als Glückseligkeit“ verkauften, mal die Wahrheit und folgerichtig auch die Lügen kontrollierten. Die Übergänge von Sarkasmus, aufrechtem Zorn, bitterem Humor und zerstreuter Komplottfantasie verschwimmen da ganz gehörig. „They Own The Media“ lautet etwa ein Titel, doch wer mit „Sie“ gemeint sein könnte, lässt er im Dunkeln und manche Kritiker sehen da schon antisemitische Tendenzen. Wir müssen abwarten, ob der mürrische Ire sich mal erklärt, auf wen genau sich „sie“ bezieht, selbst wenn es nicht auf alten antisemitischen Stereotypen beruht, ist die von Morrison besungene Vorstellung, es sei eine einzelne Gruppe von Menschen, „die die Medien besitzt“ („They Controlle the Narrative…“), ein gefährlicher Mythos.

Jenen, die ihn einzuordnen suchen, hat er auch schon ein Lied gewidmet: In „Double Agent“ singt er: „Du denkst, du kennst mich, aber das tust du nicht“ und urteilt seinerseits, diese Leute hätten nur Identitäten wie „Aufkleber“.

Im vergangenen Herbst beschimpfte der bekennende Griesgram die britische Regierung als „faschistische Tyrannen, die unseren Frieden stören“ und veröffentlicht drei Songs, mit denen er gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus protestierte. Nach „Born To Be Free“, „As I Walked Out“ und „No More Lockdown“ setzt er auf dem aktuellen Album seinen Kreuzzug gegen die politische Elite, die Medien, gegen „Stars, die uns sagen, was wir fühlen sollen“ und „die Pseudo-Wissenschaft“ fort und fragt sich ernsthaft „Where Have All The Rebels Gone?“, während die Proteste in Myanmar, Belarus, Russland und Hongkong ungemindert weitergehen.

Um den Lockdown geht es auch in „Dead Beat Saturday Night“ (“No life, no gigs, no choice, no voice.”) oder “Stop Bitching, Do Something”. Nicht minder bedenkenswert oder wenigstens mit gesundem Misstrauen zu genießen ist auch „Duper‘s Delight“. Das ist ein Ausdruck, den der Psychologe Paul Ekman geprägt hat. Es bezeichnet das Vergnügen, wenn wir jemanden unter unserer Kontrolle haben und ihn manipulieren können. Und dieses Vergnügen werde oft für andere sichtbar gemacht, indem in einem unangemessenen Moment ein Lächeln aufblitzt. Genau dieses „falsche Lächeln“ dichtet Morrison in diesem Song wieder „den“ Medien an: „Du merkst nicht, was sie hinter den Medien haben.“

Und die Leute, die sich auf Facebook tummeln, hat er eh gefressen: „Why Are You on Facebook?“ heißt der Song, auf dem er sich fragt, warum diese Menschen abgelegte Freunde brauchen, warum sie jedem Trend hinterherlaufen, „leer und traurig“, um sich selbst einen Rahmen zu geben, warum sie sich dort beleidigen lassen.

Der irische Musiker, den viele in einem Atemzug mit Joyce, Beckett und Yeats nennen, und so wunderbare Alben wie „Astral Weeks“, „Veedon Fleece“, „Moondance“  und so schöne Songs wie „Brown Eyed Girl“ oder „Gloria“ schrieb, macht es einem wirklich nicht leicht. Denn die Musik inklusive der „Sha-la-la-Las“ der Backgroundsängerinen Kelly Smiley, Dana Masters und Crawford Bell funkeln nur so. Man mag gar nicht aufhören, sich das Album anzuhören – wäre da nicht dieses geradezu feindselige, misstrauische Blitzen in manchen Texten. Natürlich bleibt die ehrfürchtige Faszination für den Mann und seine Musik bestehen. Und das ist das eigentlich Schmerzhafte.

Van the Man war noch nie der Musiker, den man unwidersprochen verehrte – und Misstrauen war oft durchaus gerechtfertigt. Seine Arbeit erforschte mystische Religionen, und er sang ebenso über tibetisches Zen wie auch über keltische Mystik. Er sang über den persischen Mystiker Omar Khayyam aus dem 11. Jahrhundert und den großen libanesischen Philosophen Kahlil Gibran. Auf seinem Album „Inarticulate Speech of the Heart“ (1983) verstörte er dann aber mit einer Widmung an den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard. Dass er sich jetzt Verschwörungserzählungen hingibt, stimmt zutiefst traurig. Der bekannte Konzertveranstalter Karsten Jahnke sagte einmal in einem Interview: „Ich habe eigentlich immer die Devise gehabt: das Leben ist zu kurz, um mit Arschlöchern zu arbeiten. Aber Van Morrison ist die Ausnahme. Das ist mein absoluter Top-Sänger.“ Schaun wir mal, wann die Grenze des Zumutbaren erreicht ist.