Fazil Say
Troy Sonata – Fazil Say plays Say
Veröffentlichung: 15.03.2019
Label: Warner Classics / Warner Music
Klassik? Zeitgenössisch? Jazz? Fazil Say zählt zu den wunderbarsten Pianisten der Klassik und wird sich dennoch nicht um Schubladen kümmern. Auf seinem neuen Album erscheint sein zehn-sätziges Werk, das er im vergangenen Jahr in Auftrag der Stadt Çanakkale schrieb und auf dem dortigen Troia Festival, etwa 30 Kilometer von der in der Türkei liegenden antiken Stätte entfernt uraufgeführt hat. Es erscheint nun zusammen mit der Komposition „The Moving Mansion“ und zwei Werken aus der Reihe „The Art of Piano“.
Von Dylan Cem Akalin
Beim Komponieren habe er sich von vielen Quellen inspirieren lassen, sagte Fazil Say: vom Dichter Homer und seinem dreitausend Jahre alten, unsterblichen Epos ebenso wie von etlichen Bühnenwerken und Filmen, die die Ereignisse und Menschen jedes Mal anders interpretieren. Das Ergebnis ist ein hörenswertes Werk, das die gesamte Klaviatur der Ausdrucksmöglichkeiten seines Instruments ausnutzt, durchaus anspruchsvoll, aber durchweg mit Genuss zu hören. Bisweilen bekommt man sogar ein gewisses Feeling von Keith Jarrett.
Umfangreiches Klavierwerk
Der Name Troja steht für einen der größten Mythen der Menschheitsgeschichte. Der Schauplatz inspirierte den legendären antiken Dichter Homer zu einem der gewaltigsten Epen. Die Geschichte vom trojanischen Krieg strahlt bis in die Neuzeit, etwa mit Wolfgang Petersens Blockbuster. Der türkische Pianist und Komponist Fazil Say hat sie nun zum Thema eines umfangreichen Klavierwerkes gemacht.
Natürlich geht es beim Thema Troja auch um den trojanischen Krieg und den Krieg im Allgemeinen. Die Götter kommen in seiner Sonate nicht vor. „Meine Sozialisierung sind die Dramen der irdischen Gesellschaften“, erklärt er seine „reine Musik“. In Says trojanischen Welt herrscht somit auch keine ideale Welt, sein Klavier setzt klare und manifeste Akzente, wobei der Musiker auch schon mal weg von den Tasten geht, um mit reißenden und trommelnden Saitenschlägen Effekte zu erzeugen, die an peitschende Schwerthiebe, an donnernde Kanonen und wütendes Kriegsgeheul erinnern.
„Winter Morning in Istanbul“
Wunderschön anzuhören sind auch seine Kompositionen „The Moving Manion“, das an ein Ereignis erinnert, als Atatürk ein Haus in Yalova von einer großen Platane wegbewegen ließ, um dem Baum nicht auch nur einen Ast abschneiden zu müssen, und das romantische „Winter Morning in Istanbul“.
Mit seinem außergewöhnlichen pianistischen Können und tiefen Musikalität berührt Fazil Say Publikum wie Kritik seit nunmehr 25 Jahren. Konzerte mit ihm sind direkt, offen, aufregend, sie treffen ins Herz. Wenn Say Chopin spielt, dann ist es, als würde er sich mit seiner ganzen Seele ins Spiel werfen, sein Anschlag ist so zärtlich als würden Kolibris über die Tasten fliegen. Bei Beethoven kann er seine leidenschaftlich, kraftvolle Dynamik beweisen.
„Der Junge spielt wie ein Teufel“
Eben das meinte wohl auch der Komponist Aribert Reimann, als er den damals 16-Jährigen während eines Besuchs in Ankara mehr oder weniger zufällig hörte. Dem amerikanischen Pianisten David Levine riet er: „Den musst du dir anhören, der Junge spielt wie ein Teufel.“
Ein kleiner Schatten wirft sich indes auf den Pianisten und seine Neuerscheinung . Say, der im Dezember 2016 in Bonn mit dem Beethovenpreis für Menschenrechte ausgezeichnet wurde, weil er sich mit seinen „Kompositionen immer wieder den Dialog zwischen Europa und der Türkei“ suche, wird nun eine zu große Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgeworfen.
Den soll Say im Januar zu seinem Konzert in Ankara eingeladen haben. Am Ende des Konzertes, noch während Say den Applaus des Publikums entgegennahm, sei Erdogan Medienberichten zufolge auf die Bühne gekommen, habe den Künstler gelobt und ihn eingeladen, auch in seinem Palast ein Konzert zu geben. Dabei habe der 49-Jährige Pianist die Hände vor dem Bauch gefaltet und eine Geste gemacht, die eine beugende Verehrung Erdogans angedeutet hätten. Jedenfalls gab es im Internet einen regelrechten Shitstorm gegen den Pianisten, der auch wegen seiner atheistischen Haltung in der Vergangenheit unter starker Kritik der muslimischen Regierungspartei stand.
Haftstrafe auf Bewährung
Immerhin wurde Say 2013 wegen Beleidigung des Islams zu einer zehnmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er sich immer wieder spöttisch über islamische Scheinheiligkeit äußerte und vor allem über die Beschreibung des Paradieses als Ort, wo Wein fließt und Jungfrauen warte, sagte : „Ist das Paradies denn eine Kneipe für euch? Ihr sagt, auf jeden Gläubigen warten zwei Jungfrauen – ist das Paradies denn ein Bordell?“
Ich schätze, die Kritik an Fazil Say ist unberechtigt, zumal der Mann, wer ihn schon mal live gesehen hat, eh eine eher Krumme Körperhaltung hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er vor Erdogan einknickt.