Ein Besuch im Tempel des Country: Die Grand Ole Opry feiert Bill Monroe mit Ricky Skaggs, Rhonda Vincent, Carly Pearce und vielen anderen

Rhonda Vincent mit ihren Bluegrass Boys in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin

Ein Abend zwischen Andacht und Volksfest: In der Grand Ole Opry in Nashville wird Bluegrass-Pionier Bill Monroe geehrt – mit Stars wie Ricky Skaggs, Rhonda Vincent und Newcomer Wyatt Ellis. Die Show zeigt, wie lebendig Monroes Erbe bis heute ist. Ein Besuch im Country-Tempel.

Von Dylan Akalin

Auf den ersten Schock folgt die Aufregung. Man hat so eine romantische Vorstellung von dem vielleicht wichtigsten Tempel der Countrymusik. Die Anfahrt stellt man sich fast wie eine kleine Pilgerfahrt vor. Die Grand Ole Opry hat ihren Standort in den vergangenen 100 Jahren mehrmals gewechselt. Jetzt liegt sie etwas außerhalb von Nashville. Am Opryland Drive öffnet sich das Gelände, flankiert vom mächtigen Gaylord Opryland Resort, einem labyrinthartigen Hotelkomplex mit Glasdächern, botanischen Gärten und Wasserfällen. Davor: Parkflächen voller Pickups und Mietwagen mit Nummernschildern aus allen Bundesstaaten – ein Hinweis darauf, dass die Opry eine nationale Kultstätte ist – aber auch, dass das hier auch ein Entertainment- und Konsumzentrum ist. PARTY – PLAY – EAT – DRINK prangt auf der Fassade des Mall-Komplexes, in der neben allen bekannten Geschäften auch ein Madame Toussaint-Theater, ein Bayrisches Bierhaus und ein Restaurant ein Erlebnis der besonderen Art verspricht: Dinieren zwischen riesigen Aquarien mit den buntesten und ungewöhnlichsten Fischen, die die Weltmeere zu bieten haben.

Die Grand Ole Opry

Das Gebäude selbst wirkt von außen fast schlicht, mit seiner Backsteinfassade und den weißen Säulen. Vorne auf einem kleinen Platz prangen die großen Lettern OPRY, zwei riesige Gitarren säumen den Weg zur Halle. Im Foyer hängen Bilder von Ikonen – Hank Williams, Patsy Cline, Dolly Parton – und erinnern daran, dass dieser Saal seit 1974 die Bühne der Opry ist, nachdem die Show vom Ryman Auditorium hierherzog. Die Wände tragen Geschichten, und man spürt sofort, dass man sich auf historischem Boden bewegt. Hinter Glas drehen sich Gitarren von Johnny und Rosanne Cash, es gibt Popcorn wie im Kino und jede Menge Snacks und Drinks, darunter etwa Minnie’s Moonshine, ein pinkfarbener Cocktail. 

Die Grand Ole Opry in Nashville (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin

Im Zuschauerraum öffnet sich dann der Blick: ein hölzernes Amphitheater, kreisförmig angeordnet, fast wie eine Kirche ohne Altar. Die Bühne ist zunächst von einem schweren roten Vorhang verhüllt. Sie ist schlicht, doch das Auge bleibt an einem Detail hängen – dem hölzernen Ring in der Mitte, ausgesägt aus den Originaldielen des Ryman. Jeder, der darauf tritt, tritt auch in die Fußstapfen von Legenden.

Das Licht ist warm, goldgelb, und legt sich wie ein nostalgischer Filter über alles. Der Sound ist klar, direkt, sauber – man hat das Gefühl, die Mandoline von Wyatt Ellis oder das Banjo von Del McCoury so nah zu hören, als stünden die Musiker direkt vor einem.

Opry 100 Honors Bill Monroe 2025

Die Stimmung im Saal ist eine Mischung aus Andacht und Volksfest. Manche Besucher tragen Cowboyhüte, andere touristische T-Shirts mit „Nashville“ in Neonlettern, an den umgehängten Karten erkennt man diverse Reisegruppen, überwiegend älteren Semesters. Die Sitze ähneln Kirchenbänken, allerdings gepolstert.

Ich habe ein tolles Ticket in der elften Reihe vorne ergattert, die Show ist wieder mal ausverkauft. Das Thema heut: Opry 100 Honors Bill Monroe 2025. 

Bill Monroe – der unangefochtene Vater des Bluegrass

Bill Monroe gilt als der unangefochtene Vater des Bluegrass. 1911 in Rosine, Kentucky, geboren, wuchs er zwischen Kirchenliedern, Fiddle-Tunes und den Balladen schottisch-irischer Einwanderer auf. Immer wieder werden zwischen den kurzen Sets Filmausschnitte auf den Screens gezeigt. 

Als er 1939 erstmals mit seinen Blue Grass Boys auf der Bühne der Opry stand, war das, was er spielte, neu – schneller, härter, klanglich geprägt von seiner Mandoline, die wie ein Herzschlag alles zusammenhielt. Er schuf den „high lonesome sound“, jenen sehnsuchtsvollen, zugleich aufpeitschenden Ton, der Bluegrass bis heute ausmacht. Monroes Einfluss reicht weit über sein eigenes Genre hinaus: Elvis Presley formte mit seiner Version von „Blue Moon of Kentucky“ den Rock’n’Roll, Bands wie die Grateful Dead entdeckten seine Songs für ihre Jams, und unzählige Musiker – von Alison Krauss bis Ricky Skaggs – tragen seine Sprache weiter. Ohne Bill Monroe gäbe es den Bluegrass nicht, und ohne Bluegrass wäre die amerikanische Musikgeschichte ärmer, sagte Skaggs an diesem Abend. Offenbar selbst eine Legende, wenn ich die Reaktionen des Publikums richtig deute.

“There wasn’t bluegrass before Bill Monroe, he was bluegrass.” – Ricky Skaggs

Rhonda Vincent – die Stimme des Bluegrass

Rhonda Vincent und ihre Bluegrass Boys eröffnen den Abend mit einer Mischung aus Vertrautem und Überraschendem. Sie trägt Himmelblau und hat eine Stimme zum Butterschneiden. Mit „Lonesome Wind Blues“ lässt sie die Sehnsucht Monroes durch ihre kristallklare Stimme schweben. „Is the Grass Any Bluer“ ist fast wie eine Selbstverortung: Wer, wenn nicht Vincent, könnte diese Frage beantworten? Ihr Cover von Jimmie Rodgers’ „Blue Yodel No. 8“ bringt jenen Ursprungsblues ins Spiel, aus dem Monroe einst seine eigene Sprache formte. Vincent ist die Grande Dame des Abends – fest in der Tradition, aber mit einer Leichtigkeit, die den Saal sofort mitnimmt. Und ihre hohen, jodelartigen Stimmakrobatiken zu den fiebrigen Fideln am Schluss echt beeindruckend.

Riders In The Sky in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin

Riders in the Sky – Cowboys, Clowns und Kulturerbe

Dann galoppieren die Riders in the Sky herein – mit Cowboyhüten, Witz und Virtuosität. Sie würdigen Monroe direkt mit „Goodbye Old Pal“ und einer atemberaubenden Instrumentalversion von „East Tennessee Blues“. Doch die Band wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht auch Humor eingebaut hätte: Eine Parodie von Eminems „The Real Slim Shady“ als „The Real Too Slim“ verwandelt die Opry in ein schallendes Gelächter. Ganz klar: Rap und Hiphop haben hier keinen Platz. Zwischen Western-Jingles wie „Woody’s Roundup“, den sie ja auch für „Toys Story 2“ aufgenommen beigetragen hatten, und dem Klassiker „Happy Trails“ schafften sie das Kunststück, Unterhaltung und Ehrfurcht zu verbinden – genau so, wie es die Opry seit hundert Jahren tut. Im Hintergrund erscheint eine Westernstadt zum „Cowboy Way“ der Truppe.

The Brothers Comatose – frisches Blut im Opry-Kreis

Für The Brothers Comatose war es ein Debüt: Zum ersten Mal standen die Kalifornier im berühmten Holzring. Sie nutzten die Gelegenheit, um mit „The Way the West Was Won“ ihre eigene Stimme einzubringen – energisch, urban, doch mit den Wurzeln tief im akustischen Americana. Höhepunkt war ein Medley aus „Tops of the Trees“ und Monroes legendärem Pferderennen-Song „Molly and Tenbrooks“. Man spürte, dass hier eine junge Band nicht nur Tribut zollte, sondern zeigte, wie Bluegrass in die Zukunft klingen könnte. Im Gegensatz zu den vorherigen Gruppen erscheinen sie auf der Bühne fast anarchisch, wie sie herumlaufen und hüpfen. Für mich einer der Höhepunkte. Die Truppe hat auf jeden Fall Songrwriterqualitäten.

The Del McCoury Band – Meisterschaft pur

Del McCoury, der Mann mit dem weißen Haupt, wirkt zunächst fast ein wenig respekteinflößend mit seinem strengen Gesichtsausdruck. Seit Jahrzehnten ist er selbst eine lebende Legende – ein Schüler Monroes, ein Bewahrer und zugleich Erneuerer. Doch schnell wird klar: Der Mann hat Humor und präsentiert mit Stolz seine Truppe, zu der neben Söhnen auch zwei Enkel dazugehören. Mit „In Despair“ ruft er die melancholische Seite Monroes wach. „Bluegrass Breakdown“ schließlich, als reißendes Instrumental, ist wie eine Machtdemonstration: Fiddle, Banjo und Gitarre jagen einander, Del steht im Zentrum, lächelnd, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Es ist Bluegrass in Reinform – hart, schnell, glühend und perfekt inszeniert.

The Kentucky Headhunters – Southern Rock küsst Bluegrass

Die Headhunters bringen einen ganz anderen Ton. Ihre Version von Monroes „Walk Softly on This Heart of Mine“ ist dreckig, groovig, aber voller Respekt. Danach wechseln sie zu Norman Greenbaums „Spirit in the Sky“ – und die Opry bebt und singt den Chorus mit. Mit „Dumas Walker“ schließlich kommen sie zu ihrem eigenen Kultsong zurück. Es ist ein Grenzgang, doch genau dieser zeigt, wie tief Monroe auch in Rock und Americana wirkt.

Wyatt Ellis – die Zukunft des Genres

Und dann Wyatt Ellis. Gerade einmal 15 Jahre alt, Mandoline in Händen, als wäre sie Teil seines Körpers. Es ist fast ein wenig irritierend, diese jungen Menschen auf der Bühne so tief in der Tradition verankert zu sehen. Ihr Auftritt ist fast wie eine Reise zurück in die Zukunft. Seine Version von „The Old Cross Road“ ist glasklar, getragen von einer Ernsthaftigkeit, die man bei einem Teenager nicht erwartet. Die mehrstimmigen Gesangsparts einfach hinreißend. „My Last Days on Earth“ spielt er fast wie ein Gebet. Der ganze Saal ist still – ein Moment, der zeigt, dass Monroes Erbe nicht nur bewahrt, sondern auch weitergetragen wird.

Carly Pearce & Ricky Skaggs – ein blauer Mond

Carly Pearce bringt modernen Country-Glanz ins Spiel, bevor sie gemeinsam mit Ricky Skaggs zum großen Moment ansetzt: „Blue Moon of Kentucky“. Monroes Original von 1946, ein langsamer Walzer voll Einsamkeit, verschmilzt hier mit der Energie, die Elvis Presley ihm 1954 gab. Den Song habe sie als kleines Kind schon mal bei einem Talentwettbewerb gesungen, erklärt die Sängerin. Skaggs’ Mandoline legt das Fundament, Pearces Stimme schwebt darüber, und plötzlich ist das Opry-Haus ein einziger Resonanzraum aus Geschichte. Das Publikum summte leise mit. In diesem Song lag alles: die Vergangenheit Monroes, der Aufbruch des Rock’n’Roll, die Zukunft des Country. Für viele im Saal ist dies offenbar einer der besonderen Momente des Abends.

Skaggs rundet dann später sein eigenes Set mit „Blue Night“ und „Used To Be“ ab – Lieder, die seine Rolle als Bindeglied zwischen Monroe und der Gegenwart unterstreichen.

Ein Abend wie ein Kreis

Bill Monroe trat 1939 erstmals hier auf. 86 Jahre später erklingen seine Melodien wieder – nicht als Denkmal, sondern als lebendige Kraft. Dieser Abend ist nicht nur Rückblick, sondern ein Versprechen: Solange der „Blue Moon of Kentucky“ am Himmel steht, wird Bluegrass weiterleben. Das Erstaunliche für einen europäischen Besucher, der nicht so viel Beziehung zum Country hat, ist die Liebe und Loyalität der Menschen zu ihren frühen Helden, zu den Wurzeln einer Musikbewegung, die bis heute anhält. 

Und Country erlebt zurzeit ja wieder eine sagenhafte Renaissance. Das Genre mischt sich gerade stark mit Pop, Hip-Hop, Americana & anderen Stilrichtungen, es gewinnt neue Hörer*innen und erreicht wieder Top-Charts. Morgan Wallen dominiert mit Songs wie “I’m the Problem” sämtliche wichtigen Country-Charts. Beyoncé hat 2024 mit „Cowboy Carter“ ein ganzes Country-Album veröffentlicht, das große Aufmerksamkeit bekommen hat – damit bricht sie Genregrenzen und bringt neue Perspektiven in den Country-Mainstream. Shaboozey mischt Elemente von Hip-Hop und Country; sein Debütalbum „Where I’ve Been, Isn’t Where I’m Going“ war sowohl in den Country Charts als auch in den allgemeinen Albumcharts ziemlich erfolgreich. Jelly Roll legt mit „Whitsitt Chapel“ sein erstes „vollständiges“ Country-Album vor und erreichte damit Top-Plätze in den Country-Charts.

Die Grand Ole Opry in Nashville (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin

Line-up und Setlist der Grand Ole Opry:

Setlist Rhonda Vincent:

Lonesome Wind Blues (Wayne Raney cover)
Is the Grass Any Bluer
Blue Yodel No. 8 (Mule Skinner’s Blues) (Jimmie Rodgers cover)

Setlist Riders In The Sky:

Goodbye Old Pal (Bill Monroe and the Bluegrass Boys cover)
East Tennessee Blues (Bill Monroe & Doc Watson cover) (Instrumental)
The Real Slim Shady (Eminem cover) (Parody “The Real Too Slim”)
Woody’s Roundup / Jessie, the Yodelin‘ Cowgirl / You’ve Got a Friend in Me
Happy Trails (Roy Rogers & Dale Evans cover) (Snippet)

Setlist The Brothers Comatose: (hatten ihr Debüt in der Grand Ole Opry)

The Way the West Was Won
Tops of the Trees / Molly and Tenbrooks / Tops of the Trees

Setlist The Del McCoury Band:

In Despair (Bill Monroe and the Bluegrass Boys cover)
You’ll Find Her Name Written There (Tennessee Ernie Ford cover)
Bluegrass Breakdown (Bill Monroe and the Bluegrass Boys cover) (Instrumental)

Pause

Setlist The Kentucky Headhunters:

Walk Softly on This Heart of Mine (Bill Monroe cover) 
Spirit in the Sky (Norman Greenbaum cover) 
Dumas Walker

Setlist Wyatt Ellis:

The Old Cross Road (Bill Monroe Cover)
My Last Days On Earth (Bill Monroe Cover)

Setlist Carly Pearce:

?
?
Blue Moon Kentucky (Bill Monroe Cover) with Ricky Skaggs

Setlist Ricky Skaggs:

Blue Night
Used To Be
?

Rhonda Vincent in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
Riders In The Sky in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
The Brothers Comatose in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
The Brothers Comatose in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
The Brothers Comatose in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
Del McCoury Band in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
The Kentucky Headhunters in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
The Kentucky Headhunters in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
The Kentucky Headhunters in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
The Kentucky Headhunters in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
Wyatt Ellis in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
Carly Pearce in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
Ricky Skaggs in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin
Ricky Skaggs in der Grand Ole Opry (16. September 2025) FOTO: Dylan Akalin