Von Cem Akalin
Ganz schön gewagt, an einem Abend Lizz Wright und Stefan Schultzes Large Ensemble auftreten lassen. Unterschiedlicher können die Programme der beiden nicht sein. Hier der fast schon andächtige soulige Jazz der 35-jährigen Amerikanerin mit dem Hang zum ausgewogenen Wohlklang, dort der gleichaltrige Komponist Stefan Schultze, der mit seinem 17-köpfigen Large Ensemble geradezu für
den Kulturschock in der Neuen Musik steht. So manchem war das wohl zu viel des Guten. Im Laufe seines Konzertes verließ gut ein Drittel des Publikums die Aula der Universität Bonn.
Auch fraglich, ob dieser ohne Frage sehr schöne Saal der richtige Ort für das dritte Doppelkonzert beim diesjährigen Jazzfest Bonn war. Vor allem Lizz Wright hatte ihre Mühe, mit ihrem so hervorragenden Ton die hinteren Reihen zu erreichen. Die Akustik ließ gerade bei ruhigen Momenten und mittleren Registern zu wünschen übrig. So manches blieb schablonenhaft, brach mitten im Raum ab. Sehr schade für einen ansonsten wunderbaren Abend.
Den Anfang machte Lizz Wright, und ihr Konzert beginnt wie eine stille Andacht. „Fellowship“ startet mit fast unhörbaren Percussions und steigert sich fabelhaft in eine Beschwörung, eine Mahnung der Hohepriesterin des gospelschweren Jazz an Vergebung und Liebe. Und ähnlich unnahbar wie das Gebet einer Heiligen geht es zunächst weiter. Die Arme ausgebreitet, den Blick zur Decke gerichtet, beginnt Lizz Wright im Up-Tempo des nächsten Songs zu tänzeln. „My heart my head my mind my soul…“
Während die Band sich immer weiter in eine Vorstufe der Ekstase spielt, trommelt sie zu ihrem Gesang sanft auf der Djembé, wirft ihren Mitspielern hin und wieder ein mildes Lächeln zu. Die Ballade „Hit The Gound“ kommt an diesem Abend fast wie eine Fusion von Country-Musik und Rhythm & Blues. Spätestens bei „Walk With Me Lord“ wünschte man sich, man würde nicht so statisch auf seinen Plätzen kleben, und die Künstlerin hatte etwas von ihrer Zurückhaltung abgeworfen. Mit „Blue Rose“ lieferte sie wieder einen so berührenden Lobgesang ab, bei dem ihre Stimme einen verblüffende Nähe zu Oleta Adams bekam. Neil Youngs „Old Man“ bekam von ihr eine ähnliche Gänsehaut auslösende Grundstimmung verpasst.
Der magischste Moment des Abends: Ihre Darbietung des Etta James-Songs „Lover is Forever“, der hoffentlich auch Platz auf ihrem neuen Album finden wird. Viel hat sie daraus an diesem Abend leider nicht gesungen, verraten auch nicht. Im Herbst soll nach fünf Jahren endlich wieder ein neues Album herauskommen. Wird es wieder so gospelbetont wie „Fellowship“ werden, frage ich sie nach dem Konzert? Sie lächelt sanft: „Ich denke, Sie hören es sich an und verraten mir dann, was Sie meinen.“
Stefan Schultze beginnt sein Konzert mit einer grotesken James-Bond-Filmmusik („Skala 55“), um dann mit „Fuxing“ eine ungenierte musikalische Groteske über „das geordnete Chaos“ eines Parks in Shanghai zu bringen. Matthias Akeo Nowak lässt seinen Bass dann im Intro auch wie eine chinesische Guzheng klingen oder schlägt sie wie eine Pipa, die Percussions klingen wie auf Marmeladengläsern getrommelt, die Gitarre wie eine defekte Spieluhr. Die Bläser setzen in das Durcheinander ein, nur langsam entwirrt sich der instrumentale Tumult zu einer bizarren Struktur, über die Florian Trübsbach ein bisweilen orientalisch anmutendes, energiegeladenes Solo auf dem Sopransaxophon bläst. Am Ende löst sich der wilde Tanz in einem mit dem Besen getrommelten Regenschauer. Ganz, ganz großes Kino. Christoph Schlingensief und Franz Zappa hätten ihre wahre Freude daran gehabt.
Ähnlich wunderlich ging es in dem etwa 75-minütigen Konzert weiter. Stefan Schultz ist jedenfalls einer, dem der Schalk gehörig im Nacken sitzt, der Verwirrung, überraschende Wendungen, Gegensätze und raue Kanten liebt. Zum Konzept gehört, den Zuhörer völlig im Unklaren zu lassen, wohin die Reise geht und ihn mit plötzlichen Wohlklängen zu verblüffen, wie etwa beim von Crescendi und Diminuendi bestimmten „Goodbye Part II“, zu dem ein wunderschönes Trompetensolo serviert wurde. „Der Karawahn“ ist wohl als burleske Hommage an den großen Duke Ellington zu verstehen, „Dorf im Kopf“ als derbe Abrechnung mit der Festzelt-Blasmusik. Eher versöhnlich: Die Bearbeitung von Carla Bleys „Fleur Carnivore“ mit einem großartigen Saxophonsolo von Heiner Wiberny. Imponierend!
Insgesamt: Ein außerordentlicher Abend für Jazzfreunde, die für kontrastreiche Vielfalt offen sind.