Die Düsseldorfer Mitsubishi Electric Hall ist voll. Nicht ausverkauft, aber leere Plätze sieht man kaum. Am Samstagabend haben die New Yorker Progressive-Metal-Giganten Dream Theater wieder mal ein fantastisches Drei-Stunden-Programm vorgelegt. Im Mittelpunkt: das Kultalbum „Images and Words“. Dream Theater ist auf Images, Words & Beyond 25th Anniversary Tour.
Von Dylan Cem Akalin
So ausgelassen und fröhlich hat man James LaBrie selten auf der Bühne erlebt. Trotz starker Erkältung, was man dem Kanadier vor allem bei seinen Moderationen zwischendurch anhörte, sang der Dream Theater-Frontmann auf erstaunlich hohem Niveau. Und LaBrie war nicht um die eine oder andere Anekdote verlegen, etwa die nette Geschichte, dass die Jungs offenbar während der Aufnahmen zu „Images and Word“ so hervorragend bekocht wurden, dass ihnen am Ende die engen Jeans kaum noch passten. Wie auch immer. Es war ein ganz großartiger Abend, bei dem die Truppe noch mal eindrucksvoll bewies, was für ein Potenzial in ihren Stücken steckt und welchen bedeutenden Einfluss sie auf die Entwicklung der Progressive- und Metallszene gehabt haben: So viel Virtuosität, technische wie kompositorische Finesse und so viel Mut zu wundervollen Melodien muss ihnen erst mal einer nachmachen.
Im Prinzip bestand das Konzert aus zwei Teilen: Im ersten Set gab es sowas wie ein persönliches Best of der Band. Und mit „The Dark Eternal Night“ (Systematic Chaos) ging es sozusagen sofort von Null auf hundert. Das Stück zählt zu den härtesten Metalnummern der Band und passte wie Faust aufs Auge, nachdem man aus der nasskalten Nacht in die Halle gekommen war. Diese von H.P. Lovecraft inspirierte Horrorgeschichte über einen von den Toten auferstanden Pharao hat alles, was ein Progressive-Metal-Stück braucht: harte Riffs, technische Feinheiten und gesangliche Vielfalt. Auch das Publikum ist sofort auf Betriebstemperatur.
„The Bigger Picture“ ist eines der epischen Songs der Band vom Album, an dem Schlagzeuger Mike Mangini erstmals als vollständiges Bandmitglied beteiligt war: Wunderschöne Melodien, natürlich mit Taktwechsel im Chorus, tolle Lyrics und dann die Wendung gegen Schluss von einem zunächst ganz eingängig klingenden Song zu einer Explosion der Ideen.
Das Instrumentalstück „Hell‘s Kitchen“ (Falling Into Infinity) hat ja so einige Fusionjazzeinflüsse, deren Freiräume Keyboarder Jordan Rudess virtuos auszunutzen weiß. Was er und Gitarrenstuntmeister John Petrucci in diesen gut fünf Minuten auf der Bühne hexen, ist unmenschlich schön: Einfach nur staunen und genießen! „People just don’t have the time for music any more. And no one seems to care“, heißt es ja in „The Gift of Music“. Aber davon kann in der Mitsubishi Electric Hall natürlich keine Rede sein. Die Leute hören sehr wohl zu und haben Lust auf Musik, vor allem, wenn sie von solch musikbesessenen Künstlern kommt, die sich richtig den Arsch abspielen. Dieses Stück und „Our New World“ spielt die Band vom aktuellen Album „The Astonishing“. Beim ersteren Stück geht es ja um Gabriel, der die große Gabe hat, der Menschheit die Musik, die damit verbundene Emotion und heilende Kraft wieder zu bringen. „As I Am“ („Train of Thought“), mit einer Referenz an Metallica und „Breaking All Illusions” (“A Dramatic Turn of Events”) mit einem wunderschönen Gitarrensolo von Petrucci beschließen den ersten Teil als Tour d’Horizon ihres bisherigen künstlerischen Schaffens.
Der zweite Teil des Abends ist “Images and Words” vorbehalten, die Zugabe, auf der Dream Theater das siebenteilige „A Change Of Seasons“ von gleichnamigen Album spielen, sollte eigentlich mal ebenfalls auf „Images and Words“ erscheinen, doch die Plattenfirma lehnte das ab. Schließlich erschien es später auf diesem gleichnamigen, etwas merkwürdig daherkommenden Album, auf dem sonst nur Coverversionen von Stücken von Elton John, Deep Purple, Led Zeppelin, Genesis, Pink Floyd, Kansas, Queen, Journey und Dixie Dregs. An diesem Abend, auf dieser Tour kommt eben wieder zusammen, was zusammengehört.
Die Einleitung des zweiten Teils kommt aus dem Off. Ein musikalischer Schnelldurchlauf durch die damalige Chartsliste und der Ankündigung eines Radiosprechers des erfolgreichsten Albums der Band. Und Dream Theater haben den Stücken zwar ihre Originale Patina gelassen, ihr aber mehr Metal zugesetzt.
Eine Woche zuvor hat die Band in Zürich gespielt, ich habe mir die Aufnahmen mal angehört, und ich kann eindeutig sagen, dass sie in Düsseldorf präsenter waren. Immer auf den Punkt und mit feinsinniger virtuoser Finesse. LaBrie schaffte es durchgängig, die Songs, die von der Spannung zwischen melodiöser Zerbrechlichkeit, gesanglicher Brüchigkeit und lauten Ausbrüchen lebt, hervorragend umzusetzen. John Myung, der übrigens gerade seinen 50. Geburtstag feierte, bewies mit einer Hommage an Jaco Pastorius, in wessen Tradition sich der Ausnahmebassist sieht. Mike Mangini überzeugte mit einem abgefahrenen Solo auf seinem reichbestückten Drumset. Und Rudess und Patruccu sind eh von einem anderen Stern. Für mich jetzt schon Krönung des Konzertjahres 2017!
siehe auch Live auf dem Kunst!Rasen. – Live in Bonn – Live in Köln 1999 – Progrock – Interview mit James LaBrie