Von Dylan Akalin
Wir haben in 20 Jahren Crossroads-Festival ja schon vieles erlebt: sensationelle Liveacts, echte Überraschungen, totale Fehlgriffe, durchschnittliche Auftritte und bewährte Klassiker. Die Hamburg Blues Band gehört zu jenen Bands, die nicht nur Dauergast in der Harmonie sind, sondern nie enttäuschen. Überraschen tun sie aber auch nicht. Aber erwarten das die Fans?
Frontmann und Gründungsmitglied Gert Lange ist jedenfalls eine sichere Bank. Der Mann hat Ausstrahlung, eine kernige, unverwechselbare Stimme, an der man sich nie satthört und ein Händchen für Bandgäste. Chris Farlowe ist immer wieder dabei, Maggie Bell und Arthur Brown waren auch schon dabei, diesmal ist Colosseum-Gitarrist Clem Clempson dabei. Der Mann mit dem fluiden Les Paul-Sound kommt aber spät auf die Bühne, sehr spät. Die letzten 25 Minuten ihres Sets am dritten Crossroads-Abend steht er auf der Bühne und versucht den jungen Gitarrentausendsassa Krissy Matthews etwas zu erden. Der schießt an diesem Abend bisweilen übers Ziel hinaus, ist oftmals viel zu laut und dominant in der sonst sehr cool und ruhig aufspielenden Band. Sein erstes Solo bei „Stony Times“ war viel zu hektisch, das zweite beginnend in tiefer Tonlage, aus der er sich mit vielen Trillern virtuos in höheren Gefilden spielt, erfrischend, fast zappaesk dann sein Spiel auf „Try Me Again“, das bisweilen auch ein wenig an Cream erinnert.
Erfreuliche Abwechslung bringen die Stücke mit sich, in denen Matthews auch mal die Leadstimme übernimmt und Gert Lange ihn mit der Resonatorgitarre begleitet wie auf „Love I Think It Is“. „Hairdrying Drummer Man“ hat einige Beatles-Referenzen. Rauchig-stumpf und trocken singt Lange „Get Off My Back“, zu dem Matthews Slidegitarre spielt. Mit einem fulminenten Schlussteil ist das für mich eines der Höhepunkte des Abends, bevor nach einer netten Version von Ike and Tina Turners „Nutbush City Limits“, gesungen von Bassist Reggie Worthy, endlich Clem Clempson zu Hendrix‘ „Foxy Lady“ die Bühne betritt und er sich mit dem jungen Krissy Matthews so manches instrumentale Duell liefert, wobei Matthews mir bei „Make Love Strong“ schon fast ein wenig zu aufdringlich ist – mit Lautstärke und mit viel zu vielen Noten, während Clempson sich eher auf Melodiesuche begibt. Dann aber finden die beiden Virtuosen immer mehr zueinander: Mit überragendem Spiel beenden sie die Konzerte mit „City Heat“ und dem Fleetwood Mac-Klassiker „Rattlesnake Shake“.
Sweet Electric
Mit einem Drumsolo von Nico Stallmann (Jin Jim) beginnt der spannungsgeladene Auftritt von Sweet Electric, die als Ersatz für Big Sugar kommen. Frontmann Brad Marr bringt in seinem goldenen Outfit etwas Glamrock-Attitüde auf die Bühne, auf der er sich bisweilen hyperaktiv gibt. Der Mann ist indes ein präsenter Sänger mit einer Powerstimme, der beim Publikum ankommt. Er macht auch jede Menge Show und feuert Band und Zuschauer permanent an.
Leider muss auch hier wieder angemerkt werden, dass viele gute Bandleistungen in der zu großen Lautstärke und schlechten Abmischung untergehen. Dennoch: Die Fans feiern Sweet Electric. Und ihren glamourösen 70er-Jahre-Rock zwischen harten Riffs und Bombast.
Tag 4 mit iedereen, 24/7 Diva Heaven und John Diva & The Rockets Of Love
Tom Sinke (Vocals und Gitarre) und Ron Huefnagels (Drums) sind das Post-Punk-Duo iedereen. Live sind die beiden auf jeden Fall ein Erlebnis. Indes ist diese etwas aufgesetzte Punk-Haltung mit ironischen Texten ganz schön 1981. Da hat man Dutzende Bands gehört, die mit rotzigen Texten und lauten Gitarren experimentiert haben. Muss ich 2023 nicht mehr haben.
24/7 Diva Heaven
Ganz in Weiß betritt das Berliner Frauen-Trio 24/7 Diva Heaven die Bühne, lässt es aber gleich ganz schön heftig über den Köpfen des Publikums krachen. Stoische Drums, fetter Bass, schreiende Gitarre und ein brüllender Gesang wie eine weibliche Trent Reznor setzt das Trio eine Marke an diesem Abend. Ihre Mischung aus Grunge, Punk, Industrial und Alternative Rock hat hypnotische Wirkung. Kalt gelassen dürfte der Auftritt von Katharina Ott-Alavi (Gesang/Gitarre), Karo Paschedag (Bass) und Mary Westphal (Drums) niemanden haben. Die Musik ist wütend, emotional, ungeschliffen, manchmal fast ein wenig grausam. „Potface“ hat was von der rohen Energie von Nirvana, „Born To Get Bored“ von der groben Ungezügeltheit der frühen Filter. Ein irrer Auftritt!
John Diva & The Rockets Of Love
Man fragt sich an solchen Abenden, wer auf diese Bandkombi gekommen ist! Nach zwei eher Punk-orientierten Bands kommt als dritte Band des Abends John Diva & The Rockets Of Love. Der Opener „Believe“ steht eindeutig in der Tradion von Bon Jovi und ihren 80er-Jahre- Hair-Metal. Dass die Jungs aus dem Sauerland stammen, hört man an der charmanten deutschen Englischaussprache von Sänger John Diva. Ich sage nur: Klaus Meine. Ganz so schlimm ist die Aussprache des blonden Frontmanns indes nicht. Dass die Band in der Zugabe „Don’t Stop Believin’“ von Journey spielt, sagt auch was zur Ausrichtung der Truppe.
Riffs, die antreiben, melodische Gitarren, prunkvolle Keyboards und ins Ohr gehende Gesangslinien sind die bewährten Rezepte einer Rockband, die gute Stimmung verbreiten will. Das Publikum ist nach eher anstrengenden Acts süchtig nach etwas Leichtigkeit. Die Stimmung steigt jedenfalls merklich an. Und beim hymnischen „Wild Wild Life“ mit dem einfach mitsingbaren Refrain gehen tatsächlich ein paar Fäuste hoch. Keine Frage, die Band liefert ab: solide, engagiert und meisterhaft. Aber eine eigene Handschrift trägt die Musik nicht, auch wenn es alles eigene Kompositionen sind – mit vielen Nachahmungen aus einer musikalischen Ära, die ohne Frage großartig war. Auf Dauer aber bleibt die Nachhaltigkeit einer guten Coverband.
Letzter Tag mit Ryan Sheridan und Jake Isaac
Der letzte Crossroads-Abend überzeugt wieder mit zwei tollen Künstlern: Ryan Sheridan und Jake Isaac.
Ryan Sheridan präsentiert sich als äußerst talentierter Musiker und Performer, der bei diesem Festival einen bleibenden Eindruck hinterlässt – als Sänger, Songwriter und Unterhalter. Seine Qualitäten werden getragen von einer kraftvollen und gefühlvollen Stimme, die ein breites Spektrum an Emotionen vermittelt, von roher Intensität bis hin zu zarter, leicht rauchiger Verletzlichkeit. Egal, ob er eine Rockhymne wie „The Tide“ singt oder eine gefühlvolle Ballade wie „Blew My Mind“ vorträgt, seine Stimme strahlt immer durch und verbindet sich auf einer tiefen Ebene mit dem Publikum. Dabei vermittelt er immer eine Spur von Humor, was beim Publikum ankommt.
Ryan Sheridans Musik ist eine Mischung aus Folk-, Rock- und Pop-Einflüssen. Seine Texte sind nachdenklich und oft introspektiv, was seinen Liedern Tiefe verleiht. Ob er über Liebe, die Herausforderungen des Lebens oder persönliche Erfahrungen schreibt, seine Lieder haben sowas wie eine universelle Anziehungskraft. Seine Bühnenpräsenz ist beneidenswert, den Mann muss man einfach mögen mit seiner schier grenzenlosen Energie und Begeisterung.
Jake Isaac
Wirklich beeindruckend auf diesem Festival ist Jake Isaac. Bei den ersten Takten von „Start Again“ denkt man zunächst an Seal. Doch man tut dem Briten unrecht. Was dieser Künstler mit der facettenreichen Soulstimme da präsentiert, bleibt nicht unter der Haut liegen, es packt uns bis in die Knochen, mitten ins Herz und lässt uns von der Intensität an den jungen Richie Havens denken. Diese Balance zwischen Wirkungsstärke und Leichtigkeit lässt mir fast die Tränen in die Augen schießen. Gänsehaut am ganzen Körper, wenn Cece Bosah den Sprechgesang übernimmt, die Band dann tänzelnd diesen luftigen Soul weiterführt. Dieser Auftritt hat das Zeug, in die Topacts der Crossroads-Geschichte aufgenommen zu werden. Bitte, bitte mehr davon! Wann kommt dieser Künstler wieder in unsere Region? Dann auf keinen Fall verpassen.
Dieser auch in die Beine gehende hymnische von Folk-Pop erwärmte Urbansoul des in London geborenen Künstlers erfüllt den ganzen Raum mit seiner Energie. Bisweilen fühlt man sich mit den sanften Gospelanklängen fast in eine Kirche versetzt. Gut möglich, dass dies gewollt ist. Jake Isaacs musikalische Reise begann schließlich in der Kirche, wo er von seinem Vater, Rev. Les Isaac, dem Gründer von Street Pastors, einer gemeinnützigen Initiative in Brixton, beeinflusst wurde.
2017 veröffentlichte er sein erstes Album „Our Lives“ und ist seitdem entschlossen und kompromisslos seinen Weg gegangen, so auf seinem zweiten Album „Honesty“ zu hören. Sein Auftritt auf Glastonbury’s Other Stage wurde über 150 Millionen Mal geklickt.
Bevor er „Thinkin‘ Bout You“ anstimmt, erzählt er von seiner gerade geborenen Tochter, die schon in der 28. Woche auf die Welt kam. „Diese Momente zeigen dir, wie zerbrechlich unser Leben ist“, sagt er.
Technische Probleme lassen ihn mehrmals „Broken Pieces“ beginnen. Ganz der Profi, lässt er sich davon nicht beeindrucken und singt den Song a cappella. Beachtenswert! Das Publikum ist mäuschenstill. Ein Bekenntnis, dass Liebende auch streiten können und dürfen, voller Respekt. „I hate the way that we argue/It’s like the world’s at war/Every word another heartbreak/But our pride doesn’t fall“.
Bekannt ist vielen vielleicht sein Song „When It Hurts“, auf dem Jake Isaac mit seinem gefühlvollen Bariton die Komplexität der Liebe erkundet. Es geht um Verletzlichkeit, um Nähe und Raum für sich, um Angst und Versagen. Ein fantastischer Auftritt und ein würdiger Abschluss der Jubiläumsausgabe dieser tollen Rockpalast-Reihe.