Von Peter „Beppo“ Szymanski und Dylan C. Akalin
Bijoux Cone ist offenbar Fan der amerikanischen Nu-Metal-Band Korn, die am Montag auf der Bühne des KunstRasens in Bonn vor 10.000 Fans aufgetreten sind. Dagegen wirken die 2000 Fans von Gossip wie eine kleine verschworene Gemeinschaft. Kurz bevor das Konzert am Mittwochabend startete klebte die Keyboarderin das Plakat auf die Bassdrum und ließ sich damit fotografieren. Beth Ditto, die charismatische Frontfrau von Gossip, hält dagegen offenbar gar nichts von solchen Bands. „Hallo, wir sind Korn“, sagt sie, als sie mit auffallend signal-orangener Perücke die Bühne betritt. „Ach nein, Limp Bizkit!“ – um dann immer wieder über die Sänger der beiden Metal-Bands abzulästern.
Die Frau, die seit Jahrzehnten das Bild der Pop- und Punkmusik verändert hat, war gut drauf. Und hat offenbar Freunde in Bonn, bei denen sie auch übernachtet hat und die hinter der Bühne standen. Von diesen hat sie offenbar so manche deutsche Eigenart gelernt: Als sie einmal laut ins Mikro rülpste, kommentierte sie das mit einem für alle überraschenden „Schulz“. Irgendwie hatte Beth eine kurze Lunte an diesem Abend. Als Drummerin Hannah Blilie das nächste Stück starten wollte, fauchte sie sie an, sie könne nicht gleichzeitig rauchen, trinken und singen, zog an ihrer Zigarette und trank.
Beth Dito legt sich mit Fan an
Und auch ein Fan aus der ersten Reihe bekam ihre Impulsivität zu spüren. Weil sie zwischen den Stücken relativ lange palaverte, rief die Frau, sie solle weniger quatschen und mehr singen…
Und das kann Beth Ditto tatsächlich immer noch. Seit ihren Anfängen in den frühen 2000er Jahren hat sich Gossip zu einer Band entwickelt, die nicht nur musikalisch begeistert, sondern auch ein kulturelles Symbol ist. Ihr Sound – eine explosive Mischung aus Punk, Funk, Disco und Rock – ist ebenso vielseitig wie die Themen, die sie behandeln: Selbstbestimmung, soziale Gerechtigkeit und Liebe in all ihren Facetten. Und über allem thront die unvergleichliche Stimme von Beth Ditto, die in ihrer Präsenz und Leidenschaft mühelos Grenzen sprengt.
„Listen Up!“ und „Four Letter Word“
Mit Songs wie „Listen Up!“ und „Four Letter Word“ ließen Gossip die Zuhörer an der rohen Energie und Wut teilhaben, die die Band schon immer ausgezeichnet hat. „Listen Up!“ – ein Track, der die Dringlichkeit von Aktivismus und gesellschaftlichem Wandel einfängt, während „Four Letter Word“ mit seiner rebellischen Haltung und kraftvollen Botschaft die Bühnenbretter zum Beben brachte.
Auch die Melancholie kam nicht zu kurz, als die Band mit „Love Long Distance“ und „Yr Mangled Heart“ Momente der Sehnsucht und des gebrochenen Herzens thematisierte. Besonders „Yr Mangled Heart“, das von innerem Schmerz und Selbstfindung handelt, ließ das Publikum tief in die emotionalen Abgründe eintauchen, die Ditto in ihrer Kunst so eindrucksvoll thematisiert.
„Move in the Right Direction“
Doch Beth Ditto wäre nicht Beth Ditto, wenn sie sich in einer einzigen musikalischen Richtung festlegen würde. Mit „Men in Love“ und „Give It Up for Love“ brachte sie die Fans mit disco-infizierten Beats und der spielerischen Leichtigkeit dieser Tracks die Zuhörer zum Tanzen. „Move in the Right Direction“ – eine Hymne der Hoffnung und des Optimismus – brachte die Menge zum Mitsingen, als Ditto zur kollektiven Heilung aufrief.
Beth Ditto ist eine Künstlerin, die immer wieder neue Wege geht und sich neu erfindet. Dies zeigte sie auch mit ihrer Solo-Performance bei „The Rain (Supa Dupa Fly)“, einem Cover von Missy Elliott, das sie ohne ihre Band darbot. Dieser Moment – roh, intensiv und voller Selbstbewusstsein – bewies, dass Ditto nicht nur als Teil von Gossip, sondern auch solo eine unaufhaltsame Kraft ist.
„Get Lost“ und „Coal To Diamonds“
Ihre Solo-Karriere hat Ditto auf Pfade geführt, die die Vielseitigkeit ihrer musikalischen Fähigkeiten unterstreichen. Mit Songs wie „Get Lost“ und „Coal To Diamonds“ zeigte sie eine introspektivere Seite, während „Turn The Card Slowly“ und „Jason’s Basement“ ihren Hang zum Experimentieren und zur ständigen künstlerischen Weiterentwicklung offenbarten.
Den Höhepunkt des Abends bildeten jedoch unbestreitbar die Klassiker. „Standing in the Way of Control“, die rebellische Hymne, die Gossip weltweit bekannt machte, wurde frenetisch gefeiert und inbrünstig mitgesungen. „Heavy Cross“, der internationale Hit, ließ die Euphorie überkochen und unterstrich, warum Gossip auch heute noch eine Band von enormer Bedeutung ist.
„The Greatest Love of All“
Zum Abschluss wagte Beth Ditto einen überraschenden Schritt und performte mit dem Publikum gemeinsam „The Greatest Love of All“, eine Hommage an George Benson. In diesem Moment wurde deutlich, dass es bei Ditto immer um mehr geht als nur um die Musik – es geht um Gemeinschaft, um die Überwindung von Hindernissen und um die bedingungslose Liebe zu sich selbst und anderen – auch wenn bei einem mal die Lunte brennt.
Setlist Gossip Bonn
Listen Up!
Four Letter Word
Act of God
Love Long Distance
Yr Mangled Heart
Men in Love
Give It Up for Love
Get Lost
Turn The Card Slowly
Move in the Right Direction
Jason’s Basement
Coal To Diamonds
The Rain (Supa Dupa Fly) (Missy Elliott cover) (Snippet, Beth Ditto without band)
Crazy Again
Standing in the Way of Control
Encore:
Yesterday’s News
Heavy Cross
The Greatest Love of All (George Benson cover) (Beth Ditto and Crowd)
