
Wolfgang Niedecken und BAP verwandeln den ausverkauften KunstRasen Bonn in einen Ort voller Erinnerungen, politischer Haltung und kölscher Seele. Zwischen Dylan-Adaptionen, Klassikern wie „Verdamp lang her“ und bewegenden Momenten wie „Kristallnaach“ entfaltet sich ein Konzert, das gleichermaßen nostalgisch und hochaktuell ist.
Von Dylan C. Akalin
Wir erinnern uns an Konzerte in den Rheinterrassen, im NamNam, im Kölner Stollwerck, in so mancher Schulaula und in Jugendzentren, natürlich erinnern wir uns an den Auftritt bei der großen Friedensdemo 1983 in der damaligen Bundeshauptstadt. Wir erinnern uns an verrauchte Kellerräume, an Partys. Der Mann da vorne mit grauem Haar und Bart ist mit uns alt geworden. BAP ist heute Wolfgang Niedecken. War es früher vielleicht auch schon. Aber da gab es noch Manfred „Schmal“ Boecker (Percussion), Wolfgang „Wolli“ Boecker am Schlagzeug, mein persönlicher Favorit Steve Borg, der neben dem Bass auch mal das Cello bediente, und natürlich Gitarrenheld Klaus „Major“ Heuser. Das ist Dekaden her. Also zieht BAP die 9200 Fans auf dem ausverkauften KunstRasen Bonn in eine Zeitreise rein, die derart kurzweilig ist, dass die 3 Stunden 19 Minuten wie im Flug vorüberziehen.
„So mancher Song mag vielleicht stehengeblieben sein“, meint Niedecken. „Aber egal!“ Nee, gar nicht, lieber Wolfgang Niedecken. Die neuen Arrangements mit dieser fantastischen Band, dieser exquisiten Bläsersection, haben den Songs nochmal frischen Lack verpasst. Und: Gefühle bleiben nicht stehen.
Kleine Erzählungen
Mit seinen kleinen Erzählungen zu einigen Songs schafft Niedecken auch so eine intime, freundschaftliche, ja, familiäre Atmosphäre – trotz der 9200 Leute auf dem Platz. Er erzählt wie seine damalige Freundin und „spätere Mutter meiner Söhne“ ihm vor einer Reise nach Cadzand mal demonstrierte, wie einfach es ist, seine Wäsche in einem Waschsalon zu waschen, wie BAP einst für 400 Mark auf der Frankfurter Gegenmesse auftreten, wonach der Song „Müsli Man“ entstand. Er erzählt von einer TV-Aufzeichnung fürs DDR-Fernsehen, für das das Interview zwischen den Songs immer wieder neu „geprobt“ wurde, bis man dann doch ganz Abstand von der Ausstrahlung nahm, und einen neuen Song wollte man gar nicht freigeben: „Deshalv spill mer he“. BAP blieb konsequent – und verließ die DDR ohne weitere Auftritte.
BAP – die Band
Die Band ist längst mehr als Begleitung – sie ist Motor, Klangfarbenmischer und Seelenverstärker. Ulrich Rode an der Gitarre schichtet präzise Riffs und filigrane Soli, die mal wie flüssiges Metall glänzen, mal rau wie rheinischer Asphalt klingen. Ich weiß gar nicht, welches Solo ich herausheben sollte? Das in „Jupp“, das sich melancholisch über dem Cello entfaltet? Das in „Do kanns zaubere“? Oder der wilde Schluss von „Zehnter Juni“?
Anne de Wolff wechselt mühelos zwischen Geige, Lap-Steel, Posaune und allem, was gerade den richtigen Ton setzt, oder bei „Wahnsinn“ zur Okarina, eine norditalienische Gefäßflöte – sie ist die Vielseitigkeit in Person, das geheimnisvolle Bindeglied, das den alten Songs neue Horizonte öffnet. Ihre Geige bei „Hurricane“ – Wahnsinn!

Am Bass sorgt Werner Kopal für die wuchtige Erdung, mal stoisch, mal funky federnd, immer mit einem feinen Gespür für Dynamik. Drummer Sönke Reich hält das ganze Gefüge zusammen – mit einem Schlagzeugspiel, das gleichzeitig treibend und atmend wirkt. Michael Nass am Keyboard färbt die Balladen in warme Melancholie und setzt in den Uptempo-Stücken schillernde Akzente. Und über allem schwebt die Bläser-Section: Trompete, Saxofon, Posaune – ein Chor aus Blech, der den Songs Tiefe, Glanz, eine weitere Leidenschaftlichkeit gibt und virtuose Glanzpunkte setzt.
„Nemm mich met“
„Diss Naach ess alles drin“ eröffnet das Konzert – ein Versprechen, das BAP in der Folge fast dreieinhalb Stunden lang einlöst. „Südstadt, verzäll nix“ ist nicht nur eine Hymne auf einen Kölner Stadtteil, sondern ein Gruß an die Heimat, an all die Geschichten, die zwischen Eckkneipe und Büdchen beginnen. „Nemm mich met“ verwandelt den Platz in ein gemeinsames Unterwegssein – 9200 Menschen, die sich in einer Zeile wiederfinden: „Lass mich nit allein he, nimm mich met“. Und wenn „Waschsalon“ erklingt, ist plötzlich wieder diese jugendliche Aufbruchsstimmung da, dieser Duft von verrauchten Kneipen, langen Nächten und der Ahnung, dass noch alles möglich ist.
Covers und Dylan
Die Covers zeigen, wie tief BAP in der Musikgeschichte verwurzelt ist: Ein Eddie-Cochran-Sommerlied, die Zeltinger-Hommage „Müngersdorfer Stadion“. Es sind Verbeugungen, aber auch Übersetzungen – ins Kölsche, ins Leben am Rhein.
Die Dylan-Adaptionen sind an diesem Abend mehr als nur Coverversionen – sie sind ein Gespräch zwischen zwei Künstlern, die sich seit Jahrzehnten gegenseitig begleiten. Niedecken, der Dylan seit den 70ern ins Kölsche übersetzt, macht aus dem Folk-Barden keinen musealen Klassiker, sondern einen unmittelbaren Zeitgenossen. „Vill Passiert sickher“ klingt wie ein Gebet für das Hier und Jetzt, getragen von der rauen Wärme seiner Stimme und der Wucht der Band. Und wenn zum Abschluss „Hurricane“ mit „Stell dir vüür“ verschmilzt, wird aus Dylans wütendem Song über den schwarzen Boxer Rubin „Hurricane“ Carter ein Stück rheinische Weltmusik: international im Anspruch, lokal im Ausdruck. Da ist keine Kopie, sondern ein eigenständiger Kommentar – so wie es BAP immer gemacht hat.
„Drei Wünsche frei“
„Drei Wünsche frei“ wiederum ist vielleicht das politischste Statement des Abends, obwohl es auf den ersten Blick wie eine märchenhafte Nummer wirkt. Niedecken singt von dem Traum, die Welt ein wenig gerechter zu machen, von Frieden und von Menschlichkeit. Im Jahr 2025, mit all den Krisen, Kriegen und Rissen in der Gesellschaft, klingt die Frage nach den drei Wünschen aktueller denn je. Man merkt, dass es hier nicht um eine romantische Illusion geht, sondern um den beharrlichen Glauben daran, dass Veränderung möglich bleibt – auch wenn sie klein beginnt.
„Kristallnaach“
Besonders bewegend: „Kristallnaach“, ein Lied, das immer noch schmerzt, immer noch mahnt, immer noch gebraucht wird. Niedecken singt es nicht als historische Erinnerung, sondern als aktuelle Warnung – und der Platz wird still. Niedecken zitiert den Theologen Martin Niemöller und warnt vor den „Kipppunkten der Demokratie“:
„Zuerst kamen sie, um die Sozialisten zu holen, und ich habe nichts gesagt – weil ich kein Sozialist war .“ Dann kamen sie, um die Gewerkschafter zu holen, und ich habe nichts gesagt – weil ich kein Gewerkschafter war. Dann kamen sie, um die Juden zu holen, und ich habe nichts gesagt – weil ich kein Jude war.“
Ergreifend auch die Würdigung des kürzlich verstorbenen Musikers Vassilios „Nick“ Nikitakis, mit dem zusammen Niedecken 1992 „Arsch huh, Zäng ussenander“ geschrieben hatte.
„Verdamp lang her“
Und dann sind da die großen Hymnen: „Jupp“, „Alexandra, nit nur do“, „Verdamp lang her“. Wenn 9200 Menschen „Un wenn ich dann su zeröck denk“ mitsingen, spürt man das, was man nur schwer in Worte fassen kann: dieses kölsche Lebensgefühl, das zugleich leichtfüßig und schwer ist, ausgelassen und melancholisch. Es ist der Stolz einer Stadt, die ihre Wunden nicht versteckt, sondern in Lieder verwandelt. Es ist das Gefühl, dass man zusammenhält, auch wenn man sich verliert.
Vielleicht ist genau das das Geheimnis von BAP: Diese Songs sind mehr als Rockmusik – sie sind gemeinsame Erinnerung, geteilte Biografie. Sie tragen das Lachen und die Tränen einer ganzen Generation. Denn wer mit einem Lied wie „Do kanns zaubere“ die Nacht erhellt, wer am Ende mit „Sendeschluss“ einen Kreis schließt, der längst nicht zu Ende ist, beweist: BAP ist keine Nostalgie. BAP ist Gegenwart, gelebte Geschichte, kölsche Seele.
Genau da schließt sich der Kreis zum „kölschen Lebensgefühl“, das BAP so unverwechselbar verkörpert: ein Blick auf die Dinge, der nie den Ernst verschweigt, aber sich den Humor und die Hoffnung bewahrt. Oder, wie es Niedecken in einem anderen Song singt: „Do kanns zaubere“.

Setlist BAP KunstRasen Bonn, 16. August 2025:
Diss Naach ess alles drin
Südstadt, verzäll nix
Drei Wünsch frei
Nemm mich met
Wo mer endlich Sommer hann (Eddie Cochran cover)
Waschsalon
Ens em Vertraue
Nit für Kooche, Teil 1
Nit für Kooche, Teil 2
Müsli Män
Müngersdorfer Stadion (Zeltinger Band cover)
Wellenreiter
Vill Passiert sickher (Bob Dylan cover)
Deshalv spill mer he
Zehnter Juni
Wenn et Bedde sich lohne däät
Kristallnaach
Arsch huh, Zäng ussenander
Eins für Carmen un en Insel
Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau
Jupp
Alexandra, nit nur do
Verdamp lang her
Frau, ich freu mich
Encore:
Do kanns zaubere
Anna
Hurricane / Stell dir vüür (Bob Dylan Cover)
Ne schöne Jrooß
Wahnsinn (Chip Taylor cover)
Häng de Fahn eruss
Jraaduss
Sendeschluss










