Es ist höchste Zeit, dass der Jazz (wieder) politisch wird. Und Wadada Leo Smith, Trompeter, Multiinstrumentalist, Komponist und Improvisator, ist jener, der es mit seinen Mitteln tut. Protest. Aufbegehren. Anklage. Der wohl renommierteste Künstler seiner Zeit tut das nicht nur mit seiner Musik, sondern auch mit Texten. Smith ist sowas wie ein musizierender Philosoph, einer, der sich auf so ernsthafte Weise mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Sei es mit den nationalen Monumenten, denen er ein musikalisches Denkmal setzte oder jetzt aktuell mit der Auseinandersetzung mit der Bürgerrechtsbewegung. Sein neues Werk heißt Rosa Parks: Pure Love, ein anstrengendes, ein nachdenkliches Kunstwerk.
Von Dylan Cem Akalin
„We have not a democracy“, heißt es da in „Change It!“ „The people´s vote is the law and the way to liberty./We can´t wait./If we are a democracy/We must resolve this crisis now./Change it!“ Wadada Leo Smith, seit fünf Jahrzehnten Mitglied des historischen und legendären AACM-Kollektivs. Die Association for the Advancement of Creative Musicians ist eine Musikervereinigung im Bereich des Free Jazz, die 1965 in Chicago gegründet wurde. Smith definiert somit seine Klangwelt als „kreative Musik“, die zwischen improvisierter und formal gespielter Musik liegt.
„My life is action with love“
Die Musik sei nicht nur Ausdruck seiner Liebe für seine Familie, erklärt der 77-Jährige im ausführlichen Text zum Album. Es ist gleichzeitig eine zutiefst persönliche Erklärung und ein kraftvolles politisches Statement, das gerade jetzt daran erinnert dass der fortwährende Kampf für Menschenrechte und Gerechtigkeit auch von der Tapferkeit und der moralischen Stärke des Einzelnen abhängt. „My life is action with love/And with peace my will is strong./No fear./There is only truth.“
„Ankhrasmation“
Sein Prinzip basiert auf einem Austausch zwischen improvisierter Musik und illustrierter Partitur. Er nennt es „Ankhrasmation“ – ein Neologismus aus „Ankh“, dem ägyptischen Lebenssymbol, „Ras“, dem äthiopischen Wort für Anführer, und „Ma“, einem universellen Begriff für Mutter, ist die systemische Musiksprache, die Smith über fast 50 Jahre entwickelt hat . Die Partituren verzichten auf traditionelle Notationen zu Gunsten von symbolischen Kompositionen aus Farbe, Linie und Form. Sie sehen aus wie wunderschöne, rätselhafte Kunstwerke, die der Meister sehr kunstvoll und akribisch festhält. Sie bieten spezifische Anleitungen für den erfahrenen Improvisator und ermöglichen den Musikern, ihre eigenen speziellen Fähigkeiten und individuellen Stärken in jede Aufführung einzubringen.
Wadada Leo Smith:
Rosa Parks: Pure Love.
Erscheint am 15. Februar 2019
Anzahl Disks/Tonträger: 1
Label: Tum (Broken Silence)
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Sein neues Werk vereint dieses Prinzip auf geradezu radikale Weise. Die Musik hat streckenweise mehr von zeitgenössischer Komposition als Jazz. Es ist ein avantgardistischer Ansatz, um seine politischen und ideellen Vorstellungen zu Musik werden zu lassen.
Bewegung für Freiheit und Gerechtigkeit
„Rosa Parks Oratorium verwendet die Liedform als Komposition, die eine philosophische und spirituelle Erzählung über meine Vision von Rosa Parks vermittelt. Das Oratorium beschäftigt sich mit Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit. Diese Meditation konzentriert sich auf die Bürgerrechtsbewegung. Das Bühnenbild wird mit der Verwendung von Lichtern als einer wichtigen Vermittlung von Emotionen und Szenerien präsentiert, bei der Projektion von Videobildern, die die Geschichte mit der Gegenwart verbinden“, erklärt Smith selbst zum Werk.
„Pure Love“ wurde für die ikonische Rosa Parks (1913-2005) komponiert, „eine Person mit außergewöhnlichem Mut und Weisheit, die zur richtigen Zeit den richtigen Widerstand tat. Ihre Aktion erzeugte eine weltweite Bewegung für Freiheit und Gerechtigkeit für Menschen“, erklärt Smith weiter.
In der Tat könnte das Rosa Parks Oratorium als Nachfolger von Smiths Epos über die Bürgerrechtbewegung „Ten Freedom Summers“ betrachtet werden, der mit über viereinhalb Stunden die wohl längste auf Jazz basierende Arbeit ist, die je geschrieben wurde.
Zwischenwelt von Free Jazz, Avantgarde und zeitgenössischer Musik
Und dieses neue Stück ist „nur“ etwas über 76 Minuten lang, Musik, entstanden in der Zwischenwelt von Free Jazz, Avantgarde und zeitgenössischer klassischer Musik. Das Werk enthält sieben Lieder für drei Sänger (Carmina Escobar, Karen Parks, Min Xiao-Fen), von denen jeder sozusagen Rosa Parks vertritt. In der Liveversion gibt es auch vier „Vision Tänze“, getanzt von Butoh-beeinflussten Tänzern.
Und tatsächlich ist die Musik eher etwas für ein Live-Erlebnis, weil es auch visuelle Effekte beinhaltet. Bei der Aufführung in New York wurde ein fortlaufendes Video gezeigt, in dem Ansichten der in Echtzeit spielenden Musiker mit abstrakten Formen und alten Fotografien und Artefakten aus Parks Leben verglichen wurden. Ausgang der Aufnahmen waren die Fingerabdrücke von Parks, die 1955 in Montgomery, Alabama, festgenommen worden waren und den Beginn der modernen Bürgerrechtsbewegung darstellen.
Auszüge aus frühen Aufnahmen
Smiths unorthodoxe Besetzungen konzentrierten sich auf zwei gegenüberliegende Quartette – ein herkömmliches Streichquartett und ein Trompetenquartett: das RedKoral Quartet (Shalini Vijayan, Mona Tian, Andrew McInstosh, Ashley Walters) und das Blue Trumpet Quartet (mit Smith mit Ted Daniel Hugh Ragin und Graham Haynes). Dazu spielt Smiths Schlagzeuger Pheeroan akLaff lockere, freie Jazz-Drums mit sparsamen Einsätzen, und Min Xiao-Fen, der seit 20 Jahren mit Smith zusammen arbeitet, fügte noch die Sounds einer chinesischen Pipa hinzu — wunderschöne, rasselnde ostinate Stimmen. Mit dabei ist auch Elektroniker Hardedge, der live die Multimedia-Komponenten inszeniert. Eingebettet in das Oratorium sind kurze Auszüge aus frühen Aufnahmen von Smith, Anthony Braxton, Leroy Jenkins und Steve Mccall, die vor rund fünfzig Jahren das legendäre Ensemble der Creative Construction Company bildeten.
Die fast in Zeitlupe oder in merkwürdigen Zeitrastern erklingenden Streicher scheinen die Vorstellung von Zeit zu unterbrechen. Sie versetzen den Zuhörer fast in eine fiebrige Trance, die Trompete reißt oder kratzt an den Strukturen, dissonante Klänge der vier Trompeter werden vom Schlag freien Trommelns untermauert. Die Texturen verändern sich praktisch ständig, wobei die meditative Stimmung stets aufrechterhalten wird. Die bisweilen strenge Schönheit der Streichquartette erfasst einen mit Freude, wenn es mal von der Dissonanz in die Lyrik abschweift.
Eloquente Soli Wadadas sind eher selten. Und wenn, dann erzeugt er einen einsamen Trompetensound. Die Noten dehnen sich und verglühen und wirken umso kraftvoller durch die Stille, die sie trennt. Ein Album für Musikfreunde, die bereit sind, sich auf Ungewöhnliches einzulassen.