Afrikas Musik: Spurensuche im Dschungel der Klänge

Afrikanisches Tanzzeremoniell. FOTO: moschni / pixelio.de

Afrikas Musik heute lebt von der facettenreichen Synthese aus weltweiten Importen und traditionellen Rhythmen

Von Cem Akalin

Afrikanische Musik vereinigt eine Vielfalt unterschiedlicher Einflüsse, die ihre Wurzeln verschleiern. Zeitgenössische Musiker aus Ghana, Mali oder Burundi haben es entsprechend schwer, die Spur zum musikalischen Ursprung zu finden. Reggae-Star Jimmy Cliff glaubte die Wurzeln seiner Musik auf einer Tournee Anfang der 70er Jahre in West-Afrika entdeckt zu haben. Stevie Wonder lebt seit Jahren auf dem schwarzen Kontinent und hat kürzlich erst eine Platte mit dem afrikanischen Chor Ladysmith Black Mombazo aufgenommen, den Paul Simon bereits in den 80er Jahren für „Graceland“ verpflichtet hatte. Der Jazz-Saxophonist Kenny Garrett bekennt sich mit seinen CDs („Africa Exchange Student“, 1990 und „Black Hope“, 1992) ebenso zu seiner Herkunft wie der Rockgitarrist Keziah Jones („African Space Craft“, 1995). Der Bassist John Patitucci ließ sich bei „Another World“ (1993) von Salif Keita, Mory Kante und Armand Sabal-Lecco inspirieren. Doch ist das, was sie alle produzieren, auch wirklich afrikanische Musik?

Fela Ransome-Kuti, ein nigerianischer Musiker, der die populäre Musik seines Landes geprägt hat wie kaum ein anderer, kehrte 1969 geradezu verwirrt von einer Tournee aus den USA zurück und bekannte: „Es kam der Zeitpunkt, an dem ich vom Jazz als einer Übergangsstufe zur afrikanischen Musik Gebrauch zu machen begann. Als ich dann nach Amerika kam, wurde ich mit der afrikanischen Geschichte konfrontiert, der ich nicht einmal hier ausgesetzt war. Damals begann ich wirklich zu erkennen, daß es nicht afrikanische Musik war, was ich gespielt hatte. Ich hatte auf den Jazz zurückgegriffen, um afrikanische Musik zu spielen, während ich doch in Wirklichkeit auf die afrikanische Musik hätte zurückgreifen sollen, um Jazz zu spielen. So war es Amerika, das mich zu mir selbst zurückbrachte.“

Junge Musiker wie Baaba Maal aus Senegal verfolgen ihre Spur auf andere Weise. Mit zwei Freunden reiste er monatelang durch seine Heimat, durch Mali, die Elfenbeinküste, Gambia und Guinea: „Für einen jungen Musiker bei uns ist es gute Tradition, in jedem Dorf, das man besucht, einen Gig zu machen. Die jungen Zuhörer begleiten dich dann am nächsten Tag zum Dorfältesten, der dir die Geschichte des Dorfes, des Landes und seiner Musik erzählt.“ Baaba Maal ist davon überzeugt, daß es für zeitgenössische afrikanische Musiker ungeheuer wichtig ist, solche Nachforschungen anzustellen, „denn man kann nicht einfach behaupten, afrikanische Musik zu machen, ohne genau zu wissen, woher sie kommt“.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind in Afrika durch den Kontakt mit der westlichen Musikszene zahlreiche Musikformen entstanden. Sie waren geprägt durch die Musik der Seeleute in den Hafenstädten, die aus aller Herren Länder kamen, durch die britische und amerikanische Militärmusik und vor allem durch die Missionen, ihre Choräle und die christliche Kirchenmusik. Dabei blieb die rhythmische Begleitung allerdings stets traditionell, wurde also überwiegend auf einheimischen Trommeln und Perkussionsinstrumenten gespielt. Die Musikformen Westafrikas zur Zeit des ersten Weltkrieges wie Asiko, Pati, Dagomba oder Gome wurden als „Highlife“ bekannt. Neben der Gitarre wurde auch das einheimische drei- bis fünfzungige Lamellophon eingesetzt ein Resonanzkasten mit metallenen Stiften, die mit dem Daumen geschlagen werden.

Der Highlife entwickelte sich zweipolig weiter: In der Stadt als Musik der Tanzorchester der Elite und im Hinterland, wo eine Vielzahl von Stilen entstand. E. T. Mensah etwa spielte ein Highlife, das Elemente des Swing und Calypso verarbeitete und afro-kubanische Perkussionen benutzte. In der Folgezeit beeinflußten lateinamerikanische Modetänze wie Mambo und Rumba sogar die traditionelle Musik. Vor allem die Tanzkapellen machten Rumba, Samba, Cha Cha Cha oder Jive populär. In den 50er und 60er Jahren war in den westafrikanischen Staaten vor allem die karibische Musikform Calypso beliebt. Auch wenn der „Afro-Calypso“ sich ganz unterschiedlicher Rhythmen bediente, war doch die sprachrhythmische Betonung im letzten Drittel der Verszeile auffällig. Einer der bekanntesten Sänger, Dichter und Komponisten dieser Musikform war Ali Ganda aus Sierra Leone, dessen Calypsos rhythmisch kaum vom Highlife zu trennen stark in der Tradition der afrikanischen Preislieder standen. Deren Thema: historische oder aktuelle politische Ereignisse. Dabei stand die Lobpreisung von (regierenden) Zeitgenossen im Mittelpunkt. Da wird etwa der Besuch der englischen Queen, die Weisheit des damaligen Premierministers Albert Margai oder der „Stolz“ auf den Commonwealth besungen.

Also Lobhudelei im Gegensatz zum karibischen Calypso, der eher kritisch und bissig mit den Zuständen umging. Paris wurde zum Zentrum der Weltmusik Aus der Palmweinmusik in der nigerianischen Kolonialhauptstadt Lagos entstand der Joju. Die Palmwein-Ensembles benutzten an Stelle des Lamellophons eine Gitarre. Die frühen Joju-Gruppen griffen zum Banjo und zum Tamburin, das sie von den Missionen und der Heilsarmee her kannten, und zur traditionellen Flaschenkürbis-Rassel. Die Suaheli-Lieder in Ostafrika und die zahlreichen Gitarrenbands aus Zaire oder Kenia beeinflußte vor allem in den 50er Jahren die Musik Kubas und anderer lateinamerikanischer Länder.

Dagegen steht die Musik des Sudangürtels vom Tschad über Nord-Kamerun, Nordghana, Niger, Mali bis nach Gambia, Somalia und Eritrea unter dem Eindruck des Islam. Der Sänger spielt meistens die Leier und wird von einer Gruppe von Geigern sowie E-Baß, Akkordeon, Saxophon und sogar Keyboard begleitet. In der blumigen arabischen Sprache werden besonders gerne Liebeslieder gesungen. So islamisch auch die zeitgenössische suahelisprachige Musik an der Küste Kenias und Tansanias geprägt ist, so erinnert sie doch sehr an arabische und indische Klänge. „Tarabu“ wird sie genannt, was vom arabischen Tarab abgeleitet ist und soviel wie Gefühl der Verzückung bedeutet. Vor allem in Mombasa war und ist der Tarabu populär. Der indische Einfluß kommt nicht von ungefähr. In Mombasa haben fast alle Kinos seit den 50er Jahren indische Besitzer und zeigen in der Regel indische Musikfilme. Auch die einzige Plattenfirma an der kenianischen Küste gehört einem Inder.

Zu den afrikanischen neo-traditionellen Musikformen gehört der „Borborbor“ aus dem Südosten Ghanas. Die Gruppen bestehen aus acht Instrumentalisten und mehreren Sängerinnen, Sängern und Tänzerinnen. Unter den Perkussionsinstrumenten finden sich große Trommeln, die der Bauweise eines Holzfasses entsprechen und mit einem Fell bespannt sind („Borborvuga“), kleine einfellige Bechertrommeln, die „Patenge“, ein kleines doppelfelliges Schlaginstrument, den lateinamerikanischen Bongos ähnliche Doppeltrommeln sowie Rasseln und eine Doppelglocke aus Eisen. So isoliert Angola lange Jahre vom übrigen Afrika war, konnte doch nicht verhindert werden, daß Wanderarbeiter ihre Eindrücke aus Südafrika, Zaire oder Sambia mitbrachten. In Luanda wird der Rebita getanzt, eine Mischform aus traditionellem Rundtanz und argentinischem Tango. In der südöstlichen Provinz Kwandu-Kuvangu herrscht der Dorftanz „Kalukuta“ vor. Bei diesem Tanz wird ein etwa halber Meter langer Schraper verwendet, ein mit Querrillen versehenes ausgehöhltes Bambusrohr, über dem man in bestimmten Schlagfolgen einen Stab auf und ab reibt.

Die Beschäftigung mit der afrikanischen Kultur zeigt, daß die Völker des schwarzen Kontinents immer offen für Anregungen waren und Einflüsse von außen gerne in ihre Kultur einflochten. So gesehen ist afrikanische Musik „multikulturell“. Das gilt auch für die zeitgenössische Musik, die von all diesen Strömungen geprägt ist, und die heute innerhalb der Weltmusikszene hohen Stellenwert genießt. Vor allem in der Schublade „Ethno“ wurde afrikanische Musik weltweit unüberhörbar. Auffällig ist, daß immer mehr Musiker nach Paris kommen, um einen Platz auf dem internationalen Markt der „Weltmusik“ zu ergattern. In dem Schmelztiegel der afrikanischen, arabischen und karibischen Kulturen scheint musikalischer Schaffensdrang einen optimalen Nährboden zu finden. Afrikas Klänge lassen sich nicht auf eine einzige Wurzel zurückführen, aber einige Ausläufer bleiben doch symptomatisch, wie die folgenden Beispiele zeigen: Es ist zumindest merkwürdig, wenn die Plattenfirma die Sängerin Khadja Nin auf dem Info-Zettel mit dem Satz zitiert: „Auf die Ethnoschiene lasse ich mich nicht verlegen.“ Dabei singt die „schwarze Perle“ aus Burundi auf ihrer jüngsten CD „Ya pili. . .“ (BMG 74321-241192) bis auf zwei Ausnahmen in ihrer Muttersprache Suaheli. Ihre balladesken Lieder leben von kubanisch-brasilianischen Formen, europäischem Pop (sie lebt seit einigen Jahren in Belgien, wo die Platte produziert wurde) und der traditionellen Dicht- und Rhythmuskultur.

Angelique Kidjo ist seit „Aye“ (Island 518 432-2), das 1994 erschien, ein Superstar. Die Künstlerin aus Benin lebt seit den 80er Jahren in Paris und wurde als Sängerin der Jazz-Band Pili Pili bekannt. In „Aye“ mischt sie afrikanische Gesangsstrukturen mit europäischen Stilformen (als Inspirationen nennt sie Annie Lennox, Peter Gabriel, Aretha Franklin und U 2) zu tanzbaren Stücken und singt sie in ihrer Muttersprache Fon und im nigerianischen Yoruba.

Die in Hamburg lebende langjährige ANC-Vertreterin aus Süd-Afrika, Audrey Motaung, hat gerade eine neue CD mit dem Titel „Light“ (EWM 41792) herausgebracht, auf dem nicht nur eine beeindruckend soulige Coverversion von John Lennons „Imagine“ zu hören ist. Sie führt den Zuhörer auf eine musikalische Reise durch die Stile: Mit „Amazing Grace“ beweist sie ihre Stimmkraft, mit „A Child Is Born“ entführt sie den Hörer in eine Jazz-Bar, singt aus vollster Blues-Seele („Who Is Pure And Perfect“) und beendet die Reise dann doch im, wenn auch modernen, Afrika („Ya-Me-Mesa“). Daß Mory Kante und Salif Keita einst gemeinsam musizierten, läßt sich vor allem aus dem Lied „Fe-So“ aus der CD „Ko-Yan“ (Island 842 453-2) heraushören ein in der Tradition des Highlife gehaltenes Preislied über Mali. Der heute 46jährige Salif Keita zog in den 70er Jahren mit der legendären „Rail Band du Mali“, bei der auch Mory Kante spielte, durch West-Afrika und Europa. Schon mit 19 Jahren war Keita gegen den Widerstand seines Vaters auf Marktplätzen und in Bars aufgetreten. Heute gilt er als „die goldene Stimme von Mali“.

Lieder der Fischer, Gesänge der Krieger

Der Senegalese Baaba Maal verbindet die uralte Pulani-Tradition der nordsenegalesischen Dörfer mit Elementen der zeitgenössischen Musik. „Firin‘ in Fouta“ wurde teilweise in der kleinen Grenzstadt Podor produziert und im Studio 2000 in Dakar, das Peter Gabriels Real World Studios zur Verfügung steht. Der Musiker, der in Paris lebte und dann doch wieder nach Dakar zurückkehrte, experimentiert gern. Er greift die Lieder der Fischer, die Gesänge der Krieger und den „Yela“, der von den Frauen beim Dreschen des Getreides gesungen wird, auf und versucht, die Klangfarbe auf westlichen Instrumenten wiederzugeben. Doch letztlich macht den Reiz seiner Musik aus, daß er in seinen Kompositionen neben elektrischen auch traditionelle Instrumente verwendet. Zeitgenössische Musiker wie Youssou N’Dour oder Mory Kante schließlich haben eine eigenständige Musikform geschaffen. Ihr markantes Merkmal ist die geschickte und zukunftsweisende Synthese aus westlicher Popmusik und den unterschiedlichsten afrikanischen Elementen.