Um Roy Hargrove zu beschreiben, muss man sich einfach mal sein Solo auf “Strausbourg-St. Denis“ aus seinem Emarcy-Album von 2008 anhören. Der junge Trompeter ist einfach effektiv. In 24 Takten verwendet er verschiedene Techniken, um eine kurze musikalische Geschichte zu konstruieren, die sowohl logisch als auch gefühlvoll ist. So war Hargrove. Ein einzigartiges Talent. Der amerikanische Jazz-Musiker ist tot. Wie sein langjähriger Manager Larry Clothier auf Facebook mitteilte, starb Roy Anthony Hargrove am 2. November 2018 im Alter von 49 Jahren in New York an einem Herzstillstand in Folge von Komplikationen aus einer Nierenerkrankung. Er hinterlässt seine Frau Aida und seine Tochter Kamala.
Wunderschöne, ganz eigene Sprache
„Er war ebenso bekannt für sein strotzendes Feuer und seine Wut wie für seine wunderschöne, ganz eigene Sprache in der Balladenkunst. Sein Sound war gesegnet von seiner tiefen Liebe zur Musik. Sein selbstloses Timbre deckte die Ufer jeder musikalischen Landschaft. Mit seiner Musik und seinem Sound inspirierte Roy Generationen von Musikern“, schrieb seine Familie. Es stimmt. Hargrove wurde von seinen Fans geliebt. Bei den jährlichen Umfragen der beliebtesten Jazzmusiker spielte er bei den Lesern des Downbeat immer eine Hauptrolle, auch wenn er es in den vergangenen Jahren nicht weiter als bis Platz drei oder vier schaffte.
Lange nichts mehr aufgenommen
Das lag aber vielleicht eher daran, dass Hargrove schon lange nichts mehr mit seiner eigenen Band aufgenommen hat, dennoch war er ein fleißiger Künstler. Es gab kaum ein wichtiges Jazzfestival, wo er nicht vertreten war. Live konnte man ihn immer wieder hören, vor allem in seinen Lieblingsclubs zwischen New York und Chicago.
Und wenn es nach den Beteiligungen an Albumaufnahmen geht, wird man bei der Aufzählung leicht dreistellige Zahlen erreichen. Willie Jones III „Groundwork“, Gerry Gibbs Thrasher Dream Trio „Live In Studio“, Ameen Saleem „The Groove Lab“ oder Marquis Hill „The Way We Play“ sind nur einige Beispiele aus der letzten Zeit.
Kommen wir zurück zu seinem Solo auf “Strausbourg-St. Denis“: Die erste Technik, die einem da auffällt, ist Hargroves Phrasierung. Sein Spiel hier ist hauptsächlich Stakkato, was das Funky-ge des Solos erhöht. Die ersten fünf Takte sind ausschließlich kurze Noten. Erst als sich die Akkorde aufzulösen scheinen, gibt uns Hargrove endlich Legato-Phrasen. Er tut dies für die restlichen drei Takte, und wenn der nächste Refrain beginnt, sind wir wieder bei den Stakkato-Noten. Er bringt das Legato im zweiten Chorus an derselben Stelle zurück, wodurch die Befreiung in der Harmonie effektiver wird. An dieser Stelle kehrt er jedoch nicht zu den Phrasierungen zurück, die einen natürlichen Höhepunkt in seinem letzten Refrain bilden.
Phrasierung und Harmonien
Ein weiterer Aspekt von Hargroves Phrasierung, der das Solo vorantreibt, ist die Nutzung des Raums. In den ersten acht Takten lässt er mehr Raum zwischen den Noten. Sechzehntelnoten sind selten, und es gibt halbe Takte und sogar einen vollen Takt, in dem er sich ausbreitet. Den Raum verengt er dann in den zweiten und dritten Refrains deutlich, und er spielt wesentlich mehr Phrasen in sechszehntel Noten. Hargrove ist ein echter Meister der Spannungserzeugung. Dazu zählt auch sein Tonumfang über mehrere Oktaven, was er geschickt einsetzt. Und schlussendlich ist es schwindelerregend, aus welcher Menge an Skalen und Harmonien er schöpft.
Im Laufe eines Vierteljahrhunderts verwandelte sich der Hargrove, dieser einzigartiger Stylist, praktisch aus dem Stand, von einem jungen Löwen („Young Lions“) zu einem geschätzten Veteranen und Bandleader, dessen Spiel wohl alle Jazzmusiker geschätzt haben. Wenn Roy Hargrove Balladen spielte, dann waltete er zwar lyrische Sorgfalt, doch er grub sich dann auch wie ein Diamant in den Granit-Ton ein. Mittelmaß gab es bei ihm nicht. Trompeter Wynton Marsalis entdeckte Hargrove, als der gerade 17 Jahre alt war – und ließ ihn in seiner Truppe mitspielen. Mit Anfang 20 war er bereits ein Star in der Szene.
Sonny Rollins über Roy Hargrove
Mit dem Tenorsaxofonisten Sonny Rollins stand er 1991 mit 22 Jahren auf der Bühne der Carnegie Hall in New York. Rollins schrieb auf Twitter: „Ich hatte das Glück, mit den Supersupertrompetenstar zu spielen, und ich fand es unvorstellbar, dass dieses neue Kind in unserem Block diese Klasse haben konnte, so gut. Er war. Er ist und wird es immer sein.“
Ambrose Akinmusire über Roy Hargrove
Über Ambrose Akinmusire sagte Roy Hargrove einmal, er sei die Zukunft des Jazz. Er habe ihn mal an der Westküste gehört, als Akinmusire zwölf oder 13 Jahre alt gewesen sei, und er habe damals schon solch einen guten Ton gehabt. Es erinnert ein wenig an seine eigene Geschichte. Akinmusire schrieb auf seinem Blog über seinen „Soul Brother“: „Ich habe heute meinen geistigen Bruder verloren. Ich erinnere mich, dass ich mit 12 Jahren angefangen habe, von diesem Kerl zu hören. Wenn ich mich bei Wynton Marsalis aufhielt und Unterricht erhielt, erzählte er mir von dieser Katze aus Texas in meinem Alter mit dem Namen Roy Hargrove, der ein Wunderkind wie ich war. (…) Als wir uns das erste Mal trafen, fühlte ich mich, als hätte ich mich mit meinem langen, verlorenen Seelenbruder wieder vereint. Ich fühlte sofort so viel Liebe zu ihm. So wie ich zum ersten Mal mit meinem Sohn die Augen sah, war von dem Sprung ein gleiches Familiengefühl vorhanden.“