Durchdringend und kraftvoll: So mancher Song von Pristine hätte das Zeug zum Rockklassiker

Pristine-Frontfrau Heidi Solheim FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Sie sind zwar an diesem Abend lediglich der Support der britischen Band The Brew. Doch  Pristine zeigt gleich, dass sie mindestens ebenbürtig ist. Vielleicht war sie an diesem Abend in der Kantine Köln sogar die bessere Band.

Von Cem Akalin

Pristine-Frontfrau Heidi Solheim FOTO: Peter "Beppo" Szymanski
Pristine-Frontfrau Heidi Solheim FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Die Schuhe flogen schon nach wenigen Takten in die Ecke, und dann ließ Heidi Solheim ihre langen roten Haare wie Flammen wirbeln. Den Opener macht die norwegische Band mit „Carry Your Own Weight“ vom Album „No Regret“, das sicherlich nicht ohne Grund an das Cover von Sweet Smoke von 1970 erinnert. Jetzt in der Kölner Kantine präsentiert die Band das Stück aber eine Spur härter als auf dem Album. Kein Wunder. Denn die Norweger haben ihren musikalischen Kurs geändert. Nicht drastisch. Denn der Bluesrock bildet immer noch die Basis ihrer Musik. Aber den Lauf haben sie deutlich angezogen. Die Band ist härter, präsenter und selbstbewusster denn je. Anfang des Jahres brachte Pristine mit „Reboot“ ihr drittes Album insgesamt und ihr erstes außerhalb Norwegens heraus. Das Ergebnis blies eine frische Prise in die Szene. Sie sind deutlich härter als die Blues Pills, weniger brachial als Kadavar.

„Reboot“ – den Titel erklärte Heidi Solheim or dem Konzert im Interview mit J&R: „Es ist erstaunlich, zu sehen, wie sich Menschen mit Fremdenfeindlichkeit und Egoismus zueinander verhalten. Wir leben in einer Realität, die grundlegende Menschenrechte bedroht. Das Album ist eine Empfehlung, sich einfach mal selbst zurückzusetzen und die Sinne zu schärfen. Das komplette Interview gibt es demnächst hier.

Pristine-Frontfrau Heidi Solheim FOTO: Peter "Beppo" Szymanski
Pristine-Frontfrau Heidi Solheim FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Frontfrau und Bandchefin Heidi Solheim hat eine Stimme, die durchdringend und kraftvoll ist ohne jemals schrill zu werden. Da steckt viel Umfang und Tiefgründigkeit in ihrer Intonation, und man hat das Gefühl, als würde sich dieses stimmliche Kraftpaket noch zurückhalten. So entspannt und mühelos kommen die Songs aus ihr, während sie auf der Bühne kaum stillstehen kann. Und die 34-Jährige hat sich auch eine natürliche Freude bewahrt. Jedenfalls strahlt sie nach jedem Song übers ganze Gesicht, wenn das Publikum applaudiert.

„California“ hat einen ähnlichen treibenden, pulsierenden Rhythmus wie Golden Earrings „Radar Love“ und kippt auch schon mal ins Psychedelische, ein Song mit einem eingängigen Chorus, der Lust auf mehr macht. In der Kantine fällt der Song noch eine Spur fiebriger aus, und Espen Elverum Jakobsen spielt eine sagenhafte Gitarre, die von der Grundstimmung und vom Sound frappierend an Jimi Hendrix erinnert. Das ist es denn auch schon an Ehrerbietung, denn Jakobsen, der da so zurückhaltend auf der linken Bühne steht und seine Gitarre bearbeitet, ist eine der großen Überraschungen dieser Band. Er hat sich die großen Gitarristen der 60er- und 70er Jahre-Rock-Ära sicher als Vorbilder genommen, aber dabei seine eigene Sprache behalten.

Pristine-Gitarrist Espen Elverum Jakobsen. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski
Pristine-Gitarrist Espen Elverum Jakobsen. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Und auch bei dem folgenden Stück, dem sehr Blueslastigen Song „Don’t Save my Soul“, den Heidi und Jakobsen im Duo vortragen, kommt sein Talent zum tragen. Zu Heidis sehr eindringlichen Gesang spielt er mitunter  eine äußerst schräge Gitarre, immer hart am klassischen Spiel vorbei, was eine beeindruckende Spannung erzeugt.  „Derek“ kommt als vorletzter Song, und er hat das Zeug ein Rockklassiker zu werden. Er ist heiß und schwül, als käme er direkt aus dem Mississippidelta, der schwere und bluesige Riff packt den Zuhörer von Anfang an, lässt ihn den ganzen Song über nicht mehr los, und die Melodie bohrt sich genüsslich ins Ohr und bleibt ewig im Kopf.

Nur gut, dass Pristine den Abend mit „All I Want is You“ beenden, eine Ballade, bei der Heidi eine fragile  Seite zeigen kann. Die Gitarre könnte durchaus von Jimmy Page sein, wie der Song sicherlich mit Freuden von Led Zeppelin übernommen worden wäre. Das Stück beginnt zögerlich und  feingliedrig und schraubt sich immer hypnotischer in spacige Sphären. Die Band kann ebenfalls beweisen, wie vielschichtig sie sein kann, wie ausgereift sie ist, dass sie auch ohne Keyboarder die Stimmungen der Songs gut transportieren kann. Rudi Hallaisen ersetzt auf der Tour Åsmund Wilter Kildal am Bass und hat sich als guter Mann erwiesen, Kim Karlsen versteht es an den Drums immer den richtigen Ton zu treffen. Der Abend belegte: Pristine gilt zurzeit nicht ohne Grund als die Neuentdeckung der Rockszene.