Er ist 65, sie schloss gerade ihr Studium am Berklee College of Music ab. Er ist eine lebende Legende und hat das Jazz-Piano ab den 60er Jahren maßgeblich geprägt. Sie wuchs in Japan auf, lebt seit vier Jahren in den USA und zählt heute zu den wichtigsten Pianisten der neuen Jazz-Generation. McCoy Tyner lässt auf seiner neuen CD „Illuminations“ seinen langjährigen Wegbegleiter, den 63-jährigen Bebop-Alt-Saxophonisten Gary Bartz mit dem 42-jährigen Trompeter Terence Blanchard kommunizieren, dazu hat er die Young Lions Christian McBride (Bass) und Lewis Nash (Drums) als Rhythmusgruppe aufgestellt. Hiromi Uehara begnügt sich mit einem Trio: Tony Grey und Anthony Jackson am Bass und Martin Valihora (Drums). So unterschiedlich die neuen CD-Veröffentlichungen der beiden auf den ersten Blick auch zu sein scheinen, so sehr sind sie doch von ein und derselben Seele geprägt – dem künstlerischen Geist, der nach Freiheit strebt, der sich nicht in enge dunkle Schubladen einschließen lässt.
McCoy Tyner gilt als der Pionier des modalen Pianospiels, also der von Miles Davis und John Coltrane, in dessen Combo Tyner Anfang der 60er Jahre berühmt wurde, begründeten Improvisationsweise. Die „fließenden Akkorde“ lassen gerade im nonharmonischen Jazz der 60er Jahre nahezu jede melodische Entwicklung zu. Tyners Musik hat pentatonische Skalen und afrikanische Rhythmen im Jazz mit einem Blues-Grundgefühl verschmolzen. Sein Stil: raffinierte Technik, verfeinerte Harmonik, und die Höhepunkte setzt er mit klassischen Blockakkorden. Es sind diese energievollen Blockakkorde, die wie Feuerregen über die Rhythmusgruppe herabfallen, die den 1938 in Philadelphia geborenen Pianisten berühmt gemacht haben.
Die neue Tyner-CD startet mit dem heiteren Titel-Stück, das jedem Mitmusiker genug Spielraum gibt: Terence Blanchard mit seiner charakteristischen Kombination von puristischer Tonklarheit und einer starken vom Hard-Bob getriebener Expressivität, Gary Bartz mit seinem scharfen, aggressiven Sound, Christian McBride mit seinem soliden Sinn für Timing und tänzelnde Ausdruckskraft sowie Lewis Nash mit seinem antreibenden Schlagzeug.
Kontraste bestimmen die zweite Latin angehauchte Nummer auf der CD („Angelina“), die mit einem kleinen Piano-Intro startet und in eine sanfte von den Bläsern aufgenommene Melodie übergeht. Und dann begibt sich die Gruppe auf völlig unerwartetes Terrain und zeigt sich von einer geradezu humorigen Seite mit einem „New Orleans Stomp“, der ebenso gut von einem Dr. John herrühren könnte. Neben Standards wie dem swingenden „Come Rain or Come Shine“ und dem wunderschönen „Alone Together“ bietet die CD ein überaus breites Spektrum an Stilen. „Illuminations“ ist eine der besten Produktionen Tyners der vergangenen Jahre.
Wie Tyner liebt Hiromi pianistische Klanggewitter und komplexe Harmonien. Aber wie es sich für den Nachwuchs gehört, schwingt auch stets eine ganz ordentliche Portion Witz, Verspieltheit mit Traditionellem und Respektlosigkeit in ihrem technisch brillanten Spiel mit. Sie zitiert die Rock-, Klassik- und Jazz-Literatur wie und wann es ihr gefällt und zwinkert auch mal dem Smooth- wie dem Fusion-Jazz der frühen 70er Jahre eines Herbie Hancock oder Chick Corea zu. Poetisch, ja fast romantisch, metallisch, auch funky, widerspenstig, mal sparsam, dann wieder akrobatisch in ihrer Intonation behält Hiromi trotz aller Vorbilder ihre Eigenständigkeit, so wie sie es wohl von ihrem Förderer gelernt hat, dem großartigen Ahmad Jamal, von dem Miles Davis einmal sagte, er sei ein überragendes Genie, und seiner Mischung aus Verspieltheit und Sparsamkeit habe er seinen eigenen Stil zu verdanken. „Brain“ – eine CD, die man immer und immer wieder hören muss und dabei stets etwas Neues entdeckt.
McCoy Tyner „Illuminations“ (Telarc CD-83599)
Hiromi „Brain“ (Telarc CD-83600)