HAIM im Madison Square Garden New York: Ein Abend voller Stärke, Verletzlichkeit und gemeinsamer Euphorie

HAIM im Madison Square Garden New York: 8..9.2025 FOTOS: Dylan Akalin

Mit ihrem neuen Album „I Quit“ verwandeln HAIM den Madison Square Garden in New York in einen Ort der Selbstbehauptung. Zwischen Rock, Pop und großen Gefühlen zeigt das Trio, wie man Stärke aus Verletzlichkeit zieht – und warum ihr Auftritt für 20.000 Fans zu einem einzigartigen Erlebnis wurde.

Von Dylan Akalin

Im Madison Square Garden, dieser Kathedrale des Rock und Pop, eröffnen HAIM am Montag ihr ausverkauftes Konzert mit einem Dreischritt, der den ganzen Abend prägt. Schon bevor man sich in die Feinheiten der Stimmen und Instrumente vertieft, macht die Band klar: Diese Tour, dieses Album „I Quit“, ist keine Geste des Rückzugs, sondern eine selbstbewusste Neuverortung. Hinten auf der Leinwand flackert in roten Lettern wieder und wieder: „I Quit.“ Ein Slogan, der wie eine Trotzreaktion klingt, aber im Laufe des Abends merke ich, es bedeutet  Selbstbehauptung.

HAIM im Madison Square Garden New York: 8..9.2025 FOTOS: Dylan Akalin

Ich schätze mal, ich bin der mit Abstand Älteste unter den rund 20.000 Fans, um mich herum überwiegend junge Frauen, die ab dem ersten Ton schon euphorisch mitgehen. Überhaupt. Ich weiß nicht, wann ich so eine gute Stimmung bei einem Konzert erlebt habe. Einfach fantastisch. Es ist fast wie in Dialog zwischen den drei Frauen auf der Bühne, die auch Gefühle zeigen, und dem Publikum, sie singen mit, leiden mit, fühlen mit und begleiten jeden Song mit kollektivem Verständnis. Ein gemeinschaftliches Erlebnis, das fast zwei Stunden lang anhält.

„Gone“, das erste Stück, ist ein Song über Verlust und Leere – über das Gefühl, dass etwas Wesentliches verschwunden ist und man nicht weiß, wie man die entstandene Lücke füllen soll. Doch live wirkt das Lied nicht deprimiert, sondern kämpferisch: Danielle legt mit ihrer klaren, tiefen Stimme eine fast unerschütterliche Ruhe über den Song, während Este ihren Bass mit pochender Unruhe in die Arena hämmert. Ihr Gesichtsausdruck auf der Leinwand sagt: Hier bin ich noch. Die jungen Leute johlen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es für sie, die zwischen Leistungsdruck und Unsicherheit aufwachsen, dies eine Botschaft ist, die ankommt: Man darf das Gefühl haben, etwas verloren zu haben, ohne sich selbst zu verlieren.

„I quit“

„All Over Me“ setzt dem ein fast paradoxes Gefühl entgegen. Der Song über Nähe, die zugleich überwältigend und beängstigend ist, wirkt irgendwie intimer und Alanas helle Stimme wie ein Geständnis, ein Zögern zwischen Hingabe und dem Wunsch nach Distanz. Hinter den Schwestern blinkt wieder „I Quit“ – und man liest es plötzlich wie eine ironische Brechung: Ich will ganz bei dir sein, und doch will ich aus dieser Abhängigkeit aussteigen.

HAIM im Madison Square Garden New York: 8..9.2025 FOTOS: Dylan Akalin

Mit „Take Me Back“ wird der Ton schärfer. Ein Song über Sehnsucht, aber auch über Trotz – das Ringen um eine Beziehung, die sich in der Erinnerung verklärt hat. Este übernimmt einzelne Gesangszeilen, und mit ihrem leichten Country-Schmelz verleiht sie dem Song eine bittersüße Färbung. Es ist ein Rückblick auf eine zerbrochene Beziehung, eine Forderung nach Wiederaufnahme – nicht aus Schwäche, sondern aus der Weigerung, sich von anderen definieren oder verwerfen zu lassen – ein besonderes Statement mit einer befreienden Wirkung.

Großer emotionaler Höhepunkt

Auf diese drei Nummern sollte ich besonders achten, hatte mir meine Tochter zuvor gesagt. Diese drei Stücke sind tatsächlich wie ein Schlüssel, um den Abend zu lesen: Verlust, Hingabe, Sehnsucht – alles Themen, die HAIM ohne Scheu vor Widersprüchen aufgreifen. Und genau das macht sie so stark für ein junges Publikum, das in einer Gegenwart lebt, in der Eindeutigkeiten rar geworden sind. HAIM geben keine einfachen Antworten, sondern zeigen, dass man Stärke aus Verletzlichkeit ziehen kann.

Wenn dann später im Set „Cry“ erklingt – für mich er große emotionale Höhepunkt – wirkt es, als seien die ersten Songs eine Vorbereitung gewesen. „Gone“, „All Over Me“, „Take Me Back“ sind die Umkreisungen, „Cry“ ist das Zentrum. Este singt, als würde sie mitten im Madison Square Garden ein Geständnis flüstern. Die Halle hält den Atem an, als ihr tatsächlich die Tränen zu kommen scheinen.

Düster, bittersüß, leicht

Von da an wird das Konzert zu einer Reise durch Kontraste: das treibende „My Song 5“, die düsteren Untertöne von „Everybody’s Trying to Figure Me Out“, die Leichtigkeit von „Summer Girl“, das bittersüße Triumphlied „The Wire“ im Zugabenblock. Doch egal, wie sehr die Stimmung wechselt – im Hintergrund blinkt weiter „I Quit“. Es ist der rote Faden, der alle Stücke miteinander verbindet: der Mut, sich aus Mustern zu lösen und eine eigene Sprache zu finden.

HAIM im Madison Square Garden New York: 8..9.2025 FOTOS: Dylan Akalin

Am Ende wirkt es, als hätten HAIM den Madison Square Garden nicht mit Spektakel, sondern mit Wahrhaftigkeit gefüllt. Junge Menschen schätzen sie, weil sie etwas verkörpern, das in einer Zeit des Drucks und der Oberflächen selten geworden ist: die Freiheit, Fehler zu machen, Schwäche zu zeigen – und daraus eine gemeinsame Stärke zu formen. Und das alles verpackt das Trio mit einer Musik, die mal näher am Rock ist, und sich mal enger an den Pop schmiegt. Dass die Frauen auch richtig gut an ihren Instrumenten sind beweisen sie mit solistischen Einlagen an der Gitarre, dem Bass oder den Drums, am Ende mit einer spektakulären Drumeinlage alle Drei. Ein ganz starker Abend im Madison Square Garden.

HAIM im Madison Square Garden New York: 8..9.2025 FOTOS: Dylan Akalin

Setlist HAIM, Madison Square Garden, New York City, 8.9.2025:

Gone

All over me

Take me back

My Song 5

Cry

Spinning

Don’t Wanna

Lucky stars

Million years

The Steps

Gasoline

Everybody’s trying to figure me out

Blood on the street

The farm

Hallelujah

Summer Girl

Want You Back

Relationships (Veronika Slowikowska on screen as Relationships Girl)

Now I’m in It

Encore:

The Wire

Down to be wrong

HAIM im Madison Square Garden New York: 8..9.2025 FOTOS: Dylan Akalin
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