Jazzfest Bonn 2025 in der Oper eröffnet: Gefeierter Auftritt von Norwegian Wind Ensemble feat. Marius Neset

The Norwegian Wind Ensemble feat. Marius Neset am 01.05.2025 in der Oper Bonn FOTO/JFB Heike Fischer

Von Dylan C. Akalin

Welchen besonderen Moment sollte man da herausstellen? Das ist gar nicht so einfach, denn der Auftritt des Saxofonisten Marius Neset mit dem Norwegian Wind Ensemble (Det Norske Blåseensemble; DNBE) und dem Pianisten, Arrangeur und Dirigenten Erlend Skomsvoll in der Bonner Oper am Donnerstagabend war vielleicht die beste, beeindruckendste und gefühlvollste Eröffnung des Jazzfest Bonn in 16 Jahren. Denn auch das zweite Konzert von China Moses mit Band war geprägt von fantastischer Unterhaltung, Partystimmung und tiefen Emotionen. So persönlich hat man die Singer/Songwriterin selten erlebt.

Und doch hat mich ganz besonders „Birds“ ergriffen und hingerissen. Dieses Arrangement, das mit rhythmischem Spiel der Vibraphone und Drums beginnt, in das Akkordfolgen des Pianos einsteigen, gefolgt vom luftigen Spiel der Flöten. Neset spielt auf dem Sopransaxofon zunächst zurückhaltend, lässt das Ensemble die Melodie entwickeln. Das Ganze bekommt den Charakter eines Balletts als ein krasser Break die Stimmung ändert. Das Ensemble bleibt bei einem rhythmisch betonten Spiel, aber die Grundstimmung wird irgendwie rockiger, vielleicht sogar progrockig und pendelt sich im Hintergrund in ein spannungsgeladenes Spiel ein, über das der Saxofonist improvisiert. Und was Neset hier performt ist einfach überwältigend. Seine Idee des sich kontrolliert Verlierens, dieses Spiel mit rhythmischen Elementen und versteckter Melodieführung erinnert so stark an Wayne Shorter. Was für ein Wahnsinn! Emotion und intelligente Spontankomposition in einem. Schon allein dieser Moment hätte mir für einen Konzertabend gereicht.

Ein Wagnis

Dieser Programmpunkt beim Jazzfest Bonn 2025 ist eh etwas sehr Besonderes. Das Wagnis eines Spagats zwischen Klassik und Jazz und dann in beiden Genres meisterhaft zu spielen, das gelingt nicht vielen, auf jeden Fall den 24 Musikerinnen und Musikern aus Halden, einer Stadt südlich von Oslo, dem Arrangeur Erlend Skomsvoll, wie immer barfuß am Piano und am Ende nassgeschwitzt, und natürlich dem wunderbaren Marius Neset, der immer für eine Überraschung gut ist.

The Norwegian Wind Ensemble feat. Marius Neset am 01.05.2025 in der Oper Bonn FOTO/JFB Heike Fischer

Die fünf Stücke des Abends, allesamt von Neset komponiert und von Erlend Skomsvoll kunstvoll arrangiert, führen das Publikum auf eine klangliche Reise zwischen orchestraler Raffinesse und jazziger Expressivität – ein beeindruckendes Beispiel für die gelungene Verbindung von Jazz, Klassik und nordischer Klangästhetik. Jazzfestintendant Peter Materna kündigt das Konzert an, er habe die Truppe in Hamburg erlebt, und es sei das schönste Konzert gewesen, das er je gehört habe.

„Prague’s Ballet“ – Klanggewordene Architektur

Das Konzert eröffnet mit „Prague’s Ballet“, einer vielschichtigen Komposition, die ihren Namen nicht umsonst trägt. Wie eine tänzerische Bewegung durch eine imaginierte Stadtstruktur entfaltete sich das Stück in einer eleganten Dramaturgie. Klarinette und Fagott setzen zarte Akzente, während Neset mit seinem Sopransaxophon gleich zu Beginn seine technische Brillanz und sein Gespür für melodische Linien unter Beweis stellt. Die Arrangements von Skomsvoll lassen das Ensemble als atmenden Klangkörper wirken – kein bloßes Begleitorchester, sondern ein gleichwertiger Partner im Dialog. Tolles Solo von Posaunisten Roger Fjeldet.

„A Day in the Sparrow’s Life“ – Eine musikalische Miniaturwelt

Tonloses Intro der Blechbläser lassen einen Wind bei „A Day in the Sparrow’s Life“ erahnen, der, unterstützt von Querflöten, immer wilder erscheint und sich in eine Kakophonie des Ensembles steigert, über das Neset ein sehr freies Solo spielt. Ein lautes Tataaa und die Querflöte entführt und ins Frühlingszwitschern des jungen Sperlings. Das sich daraus entwickelnde Zusammenspiel dieses leichten Flötentons und dem jazzigen Saxophon offenbart nicht nur Nesets Fähigkeit, das Kleine groß wirken zu lassen. Das Zusammenspiel der beiden, bei dem das Sax zwischendurch wie ein Hummelflug erklingt, war mehr als beeindruckend. Hier ist es weniger die orchestrale Wucht als vielmehr die verspielte Detailverliebtheit, die fasziniert. Zwitschernde Flöten, zirpende Klarinetten und punktuelle perkussive Elemente zeichnen das Tagesleben eines Spatzes klangmalerisch nach. Nesets Improvisationen, die Vogelperspektive musikalisch einzunehmen – leichtfüßig, wendig, voller Energie.

„Sane“ – Zwischen Ordnung und Ekstase

„Sane“ oszilliert zwischen struktureller Klarheit und eruptiven Ausbrüchen. Neset entlockt seinem Tenorsaxophon ein weites Spektrum an Klangfarben – von meditativen, fast klassischen Passagen bis hin zu expressiven Höhenflügen. Das Ensemble antwortet mit präziser Dynamik und exzellenter Klangbalance. Skomsvolls Arrangement lässt Raum für spontane Entwicklungen und behält dennoch eine übergeordnete formale Geschlossenheit. Die Frage nach „Vernunft“ wurde hier musikalisch nicht beantwortet, sondern als spannungsreiches Wechselspiel inszeniert. Wunderbar: Skomsvolls Pianosolo, bei dem er die Harmonien geradezu zerpflückt.

The Norwegian Wind Ensemble feat. Marius Neset am 01.05.2025 in der Oper Bonn FOTO/JFB Heike Fischer

Nach „Birds“ kommt mit „Tribute“ ein würdiger Abschluss – eine Hommage, die offen lässt, wem oder was sie galt, und genau darin ihre Kraft entfaltete. Er erwähnt zwar, dass ihn da Harmonien von 300 Jahre alten Werken inspiriert haben. Neset spielt mit zurückhaltender Intensität, sein Ton warm und lyrisch. Das Norwegian Wind Ensemble zeigt hier noch einmal seine ganze Klasse, indem es auf Nuancen achtet und den emotionalen Gehalt der Komposition in allen Stimmen trägt. Die Klangsprache war schlicht und doch von großer Tiefe – ein musikalischer Moment der Einkehr, der auch an Filmmusiken erinnert.

Vier Minuten euphorischer stehende Applaus brachte Neset schließlich dazu ein Saxsolo zu spielen. „Morning Mist“ beendet den gut 75-minütigen Abend mit dem Norwegian Wind Ensemble und Marius Neset – eine Symbiose zwischen Komposition, Arrangement und Improvisation auf höchstem künstlerischem Niveau.

Fotoaufnahmen während des Jazzfest Bonn 2025: The Norwegian Wind Ensemble feat. Marius Neset am 01.05.2025 in der Oper Bonn ©www.heikefischer-fotografie.de