Von Dylan C. Akalin
Der Auftritt der kalifornischen Nu Metal-Pioniere KORN am Montagabend auf dem KunstRasen in Bonn hat eigentlich nur einen Makel. Er ist mit nicht mal anderthalb Stunden viel zu kurz. Nach einer Stunde ist sogar schon das reguläre Set zu Ende, dann gibt es zur Zugabe noch vier Stücke. Ich schätze, das Konzert dauerte mit Müh‘ und Not 80 Minuten. Aber die verfliegen wie im Sturm.
Die 10.000 überwiegend schwarz gekleideten Fans erleben eine energiegeladene Show, die versetzten Bildschirme schaffen ein irres 3D-Gefühl bei den irren Bildern, die über die Screens fliegen. Direkt über dem Bühnenrand über den Köpfen der Band hängt über die gesamte Bühnenbreite ein Screen, die andere hinter der Band. Wenn rote Flammen auflodern, digitale Wirbel verrückter Formen, Landschaften aus anderen Welten und rätselhafte Figuren auf der Leinwand erscheinen, wenn rasante Kamerafahrten wie durch das menschliche Nervensystem jagen, dann reißen diese Bilder das Publikum mitten hinein in dieses Gesamtwerk aus wahnsinnigen Sounds und ebenso bewegenden Bildern.
Jonathan Davis in grün-schimmerndem Adidas-Turnanzug
„4U“ erklingt zunächst vom Band, die Bühne ist leer, doch das Publikum jubelt schon, und dann startet die Band mit den brachialen Gitarren von „Rotting in Vain“. Jonathan Davis betritt die Bühne in seinem grün-schimmernden Adidas-Turnanzug. Das ist Musik aus dem dunklen Teil des Metal-Universums, da verweben sich Schatten zu Klangteppichen, verzerrte Schreie der Gitarren schneiden die Luft wie die gewaltigen Flügel eines Raubvogels. Korn hat sich früh zu einer Band entwickelt, die Klang und Schmerz zu einem Monument der modernen Existenz zusammenfügen. Sie sind Priester eines düsteren Rituals, in dem Verzweiflung und brachiale Energie sich mit Wahnsinn und Freiheit vereinen.
„Munky“ Shaffer und Brian „Head“ Welch im Dunkel
Die Gitarren von James „Munky“ Shaffer und Brian „Head“ Welch, die beide an den beiden Bühnenrändern ganz in sich versunken stehen und sich oft in die Schatten zurückziehen, erschaffen Sounds, wie geschmiedet im Feuer der eigenen Höllenqualen. Diese Gitarren heulen, sie brüllen, sie winden sich unter der Last der Töne, sie kreischen und schlagen Funken wie Metall an Metall.
Der Riff in „Rotting In Vain“ zieht die Zuhörer in einen Strudel aus Verzweiflung und Stillstand. Der Track ist ein klaustrophobischer Monolog eines inneren Verfalls, die Gitarre schmirgelt am Verstand, wie eine rostige Klinge an einem Knochen – jeder Ton ist wie ein Schnitt in dein Inneres.
Toll: Bassist Ra Diaz (Suicidal Tendencies)
In „Here To Stay“ schafft die Band eine Wand aus Klängen, die unüberwindbar scheint, eine Zementierung der eigenen Wut und Resignation. Die Gitarrenriffs sind gewaltige Maschinen, die alles zermalmen, was sich ihnen in den Weg stellt. Es ist, als würde man gegen eine Barrikade rennen, immer wieder, nur um den eigenen Schmerz zu spüren und ihn damit lebendig zu halten. Und Munky ist tief gebeugt über seiner Gitarre während Bassist Ra Diaz (Suicidal Tendencies), der sich längst zu einem festen Mitglied der Band entwickelt hat, hebt triumphierend seinen fünf-saitigen Bass.
Als die sägenden Gitarren zu „A.D.I.D.A.S“ beginnen, da johlt die Menge schon auf. Der Song schleppt sich mit einer geradezu perversen Leichtigkeit dahin, der Groove trägt eine bittere Süße in sich. Die Gitarren hier sind wie Geißeln, wie Kettenhunde, die sich nicht losreißen können. Es ist eine Satire auf die eigene Vergänglichkeit, wo der Genuss nur die Verwesung des Geistes beschleunigt.
„Start The Healing“
Pinkfarbene Scheinwerfer nehmen die ganze Bühne ein, als die wie aus einem Stahlwerk geschaffenen Gitarren zum rhythmischen Gejaule in „Clown“ einsetzen. Der Gesang von Jonathan Davis zwischen verzweifeltem Schreien und verzagtem Flüstern. Die Bühne wechselt in ein Schwarz-Weiß, während die Gitarren aufheulen als würden sie eine Fratze aufreißen, das alles schwankt zwischen grotesker Komik und abgrundtiefer Verachtung. Der Song ist ein Rausch, in dem Wut und Frustration wie ein Wirbelwind um den Narrenthron tanzen. Jeder Ton ist eine Explosion, eine Entladung, die keinen Raum für Kompromisse lässt, musikalisch bisweilen psychedelischer Rock.
Dunkelblau ist das Bühnenbild bei „Start The Healing“, eine ironische musikalische Einladung, denn die Gitarren klingen hier eher nach einem letzten Aufbäumen, einem Versuch, das Unmögliche zu heilen. Diese Wucht der Staccato-Salven zum relativ melodischen Gesang ist live nochmal beeindruckender als auf dem Album. Hammer. Dieser Wechsel der Gefühle, dazu die Bilder wie Blicke in die neuronalen Bahnen des Gehirns sind ein unglaubliches Erlebnis. Kein Wunder, dass das Publikum am Ende geradezu ausrastet.
Gewalt eines Orkans
Dieses wieder sehr industrielle Beckenspiel im Intro zu „Good God“ ist genial. Die Gitarren knirschen, brechen und toben, als wollten sie die Verkörperung der Gotteslästerung in musikalischer Form vervollkommnen. Sie scheinen am Ende wie Alarmsignale vor dem brennenden Wahnsinn und doch siegt die Lust, gegen die göttliche Ordnung zu rebellieren. Ein irrer Schluss.
Ein Drumsolo führt über in „Blind“, die Riffs haben die Gewalt eines Orkans. Der Moment, wenn der Song beginnt, ist wie das Aufschlagen eines Vorschlaghammers auf eine zerbrechliche Welt – plötzlich ist alles anders, rauer, brutaler. Und dazu die hymnischen Verse.
Mit „Got The Life“ tanzen Korn auf dem Grat zwischen Selbstzerstörung und Triumph. Rote Landschaften entstehen auf den Screens, brennende Planeten erscheinen. Die Gitarren wollen sirenenhaft sowohl verführen als auch ins Verderben führen. Der Song vibriert vor Energie, eine ironische Feier des eigenen Untergangs.
„We Will Rock You“
„Falling Away“ ist das Eintauchen in eine Spirale, die ins Bodenlose führt. Die Gitarren sind wie ein Netz, das den Hörer umschließt und in die Tiefe zieht, jeder Ton eine weitere Schlinge um den Geist. Jonathan Davis hängt erschöpft über seinem berühmten, von Alien-Designer HR Giger entworfenen Mikroständer.
„Coming Undone“ ist ein Song, der den Moment einfängt, in dem der letzte Faden reißt. Die Gitarren sind dabei wie Schüsse, die das zerberstende Glas der Psyche zerschmettern. Es ist eine musikalische Zerreißprobe, in der die Realität in Stücke bricht. Eine schöne Auflockerung: Die Band baut noch Queens „We will rock you“ ein. Toll.
„Y’All Want a Single“
In „Somebody Someone“ sind die Gitarren wie Echos in einem leeren Raum, schwer, geprägt vom unstillbaren Verlangen nach etwas, das niemals kommen wird. „Ya’ll Want a Single“ ist ein Aufschrei gegen die Konformität, die Gitarren sind dabei wie Fäuste gegen eine Mauer schlagen. Ein Song voll roher Energie.
Als Jonathan Davis die Menge auffordert „Fuck you!“ zu rufen, ist schon klar, welcher Song kommen wird: „Y’All Want a Single“. Es ist der letzte Song des regulären Sets.
Vier Songs zur Zugabe
Zur Zugabe schickt die Band zunächst mit „Shoots and Ladders“ Kinderreime durch das Fleischwolf-Riff der Gitarren, die dabei klingen, als würden sie in einem dunklen Märchenbuch blättern, wo jede Seite eine andere Alptraumlandschaft enthüllt. Dazwischen spielen sie noch Metallicas „One“ an. „Twist“ ist wie ein Fiebertraum, die Gitarren sind verzerrte Schmerzensschreie. Nach „Divine“ beendet „Freak on a Leash“ den Abend. Der Song ist vielleicht die Quintessenz des Korn-Sounds. Die Gitarren sind hier wie eine tickende Bombe, bereit, jeden Moment zu explodieren. Sie sind das unkontrollierbare Element, das in uns allen steckt, der Freak, der nur darauf wartet, losgelassen zu werden. Es symbolisiert die dunkle Seite der Menschlichkeit, die unter der Oberfläche lauert, bereit, mit all ihrer zerstörerischen Kraft auszubrechen. Ein sagenhaft starker Auftritt – mit sagenhaft starkem Sound. Korn hat gezeigt, dass Metal weiterhin auf den KunstRasen gehört.
Korn Setlist Bonn
4u – Intro
Rotting In Vain
Here To Stay
A.D.I.D.A.S
Clown
Start The Healing
Good God
Blind
Got The Life
Falling Away
Coming Undone
Somebody Someone
Ya’ll Wanna Single
Encore:
Shoots and Ladders
(with a snippet of Metallica’s „One“)
Twist
Divine
Freak On A Leash