Von Dylan C. Akalin
Wenn bei einem Open-Air-Konzert eine Menge von 4200 Menschen nach einem Solo eines Klarinettisten oder eines Doublebass-Spielers ausflippen, wenn die Menge nach Ende eines Songs einfach weitersingt, wenn sich das Publikum wie wilde Wogen im Meer bewegt, dann muss die Show einfach gut gewesen sein. War sie auch. 4200 Fans kommen zum Konzert von Jamie Cullum auf den KunstRasen Bonn, der zum TanzRasen wird. Eines der Highlights der bisherigen KunstRasen-Saison in Bonn. Jamie Cullum und seine Band beschenkten uns mit einem mehr als zweistündigen, abwechslungsreichen Auftritt. Eine Konzertkritik.
Als Eröffnungsnummer entscheidet sich der 45-Jährige für einen Swingklassiker im Trio: „I Get a Kick Out of You“ in bedächtigem Tempo. Da sitzt er noch im schwarzen Anzug, hellblauen Sneakers und roten Socken am Flügel. Das Sakko fliegt aber schon beim zweiten Stück „Get Your Way“ in die Ecke, als er sich an die Congas begibt, während der Rest der Band auf die Bühne tritt und in den lässigen Rhythmus einsetzt und er über das Liebesspiel mit einer coolen Frau, die nach wildem Jasmin duftet, singt. Die Bläser sind präzise und scharf, als wollten sie die schwüle Luft zerschneiden.
„Mein Name ist Jamie Cullum“
Rhythm and Blues zündelt bei Ray Charles‘ Nummer „What’d I Say“. „Mein Name ist Jamie Cullum“, begrüßt er das Publikum. Da steht er in seinem weißen 800-Euro-T-Shirt von Enfants Riches Déprimés („Reiche depressive Kinder“), einer Marke aus Paris, die sich vom Punkrock inspirieren lässt und schon früh von Leuten wie Courtney Love unterstützt wurde, und bedankt sich für den Applaus auf Deutsch: „Dankeschön, mein Liebchen.“
Der Mann mit der supersympathischen Ausstrahlung ist ein technisch versierter Pianist, ein fantastischer Sänger und Entertainer, der mit einer beneidenswerten Leichtigkeit daherkommt. Alles wirkt federleicht, entspannt, komplexe Läufe, das Spiel mit Akkorden und rhythmischen Muster scheinen ihm mühelos von der Hand zu gehen. Da ist auch immer so eine kindlich unbeschwerte Art, mit der er Stile ineinander verwebt, seine Fähigkeit zur Improvisation ist herausragend, was nicht nur in seinen Jazz-Performances zur Geltung kommt. Natürlich steht er auch irgendwann mal auf dem Flügel und springt runter und über die Bühne. Wie er am Ende, als der Regen einsetzt, spontan eine sanfte, nur vom Klavier begleitete Version von „Singing in the Rain“ perform, aus dem Stehgreif ein Liebeslied auf Bonn anstimmt („Oh Bonn, I Llike your Beer, I like your Food… every single joy in Bonn“), dabei Melodien und Harmonien entwickeln, ist einfach großartig.
„Everybody wants to be a cat“
Cullums Wurzeln liegen eindeutig im Jazz, und das zeigt sich in seinem Spiel. Er verwendet häufig typische Jazz-Elemente wie Swing-Rhythmen, Blue Notes und komplexe Akkordprogressionen. Gelegentlich lässt sich auch ein Einfluss der klassischen Musik in seinem Spiel erkennen, besonders in den feineren, nuancierten Passagen. Über Disneys „Aristocats“ sei er zum Jazz gekommen, erklärt er bevor „Everybody wants to be a cat“ anstimmt, ein herausragender Swing mit einem coolen Tenorsaxofonsolo und einer im Rhythmus verzögerten Trompete, die von einem starken Bass begleitet wird. Am Schluss geht es dann fast ein wenig ins Jazz Manouche.
Vielleicht ist es dieser Zusammenhang mit seinen ersten Jazz-Entdeckungen, dass so manche Arrangements an Disney-Filme erinnern, so wie der flotte Song „You and Me Are Gone“, bei der die Truppe so wild aufschlägt, als wäre sie eine Band aus dem Comic-Cosmos. So abwegig wäre das nicht. Es gab mal eine Vinyl-Reihe unter dem Titel „Jazz Loves Disney“, bei der klassische Jazzstücke aus Disneyfilmen neu aufgenommen wurden. Daran hatte sich Cullum damals auch beteiligt.
Fantastische Band
Die Band, die Cullum begleitet, ist exquisit: Marc Henderson und Aisha Stuart machen nicht nur die Backing Vocals, sondern sorgen auch mit ihren Tanzmoves für Stimmung und einen zusätzlichen Augenschmaus. Die Band besteht zudem aus Tom Richards (Saxophon und Klarinette), Rory Simmons (Trompete), Tom Varrall (Gitarre), Loz Garratt (Bass) und Brad Webb (Drums).
Die Grenzen zu Pop, Rock und Singer/Songwriter verschwimmen bisweilen. So wie bei „These Are the Days“. Diese Ballade mit den sparsam eingestreuten Trompetenakzenten und einem fantastischen Gitarrensolo gegen Schluss kommt mir intensiver als auf dem Album „Twentysomething“ vor und erinnert mich tatsächlich manchmal an Billy Joel, an diesem Abend muss ich manchmal sogar an James Taylor denken. Vielleicht ist es diese Klarheit, die Schwerelosigkeit im Gesang, das präzise Timing, was ich mit den drei Künstlern assoziiere. Während Cullum stark von Jazz beeinflusst ist, ist James Taylor hauptsächlich im Folk- und Soft-Rock-Genre zu Hause, Billy Joel eher im Rock- und Pop verwurzelt. Aber natürlich sind da Verbindungen zu anderen Künstlern wie Harry Connick Jr., Michael Bublé oder John Mayer.
„Everlasting Love“
Den Soul-Klassiker „Everlasting Love“ leitet Cullum mit einer Percussion-Performance am Flügel ein, seine teilweise nur geflüsterten Zeilen begleitet er mit präzisen, schnellen Pianolinien. Ein Genuss!
Ein ziemlich cooles Solo spielt Gitarrist Varrall übrigens auch bei „Love for Sale“. Seine Telecaster klirrt vor Klarheit. Bei „Next Year Baby“, bei dem die Grenzen von Jazz und Singer/Songwriter ziemlich verschwimmen, liefern sich Tom Richards und Rory Simmons ein hübschen Instrumentalduell. Der a cappella-Part am Schluss von „Mankind“ war einfach nur Gänsehaut. Zu „Twentysomething“ fällt mir nur Duke Ellingtons Spruch „It Don’t Mean a Thing (If It Ain’t Got That Swing)“ ein. „Taller“ ist durchzogen vom Gospel, und wie die Truppe da zusammensteht und ihn performt ist wunderbar.
„Sinnerman“
Einer meiner Highlights war „Sinnerman“, dieses traditionelle traditionelles Spiritual, das vermutlich seinen Ursprung in den frühen afroamerikanischen Kirchenliedern hat und das vor allem durch die Interpretation der legendären Jazz- und Blues-Sängerin Nina Simone bekannt wurde. Cullum und seine Band haben den treibenden Beat mit noch mehr Spannung gefüllt und verstärken das Gefühl der Dringlichkeit und des rhythmischen Pulses. Toll.
Zur Zugabe gibt es das hymnische „Mixtape“, gefolgt von dem „Bonn Song“ dem Pharrell Williams Cover „Frontin’“ und dem wunderschönen „All at Sea“. Kurz vor 22 Uhr verlässt die Menge den Platz mit „Singin‘ in the Rain“ im Ohr. Ein ganz großartiger Abend.