Nach drei Jahren Pause startet an diesem Freitag wieder das „Night of the Prog Festival“ im schönen Ambiente des Loreley Amphitheaters in St. Goarshausen, das Progrock-Fans aus allen Ecken Deutschlands und Europas anzieht. Seit 2006 veranstaltet Winfried Völklein dieses Festival, das pandemiebedingt zwei Jahre pausieren musste. Jetzt findet die 15. Ausgabe des Festivals vom 22. bis 24. Juli statt.
„Wir freuen uns, nach drei Jahren endlich das Festival abhalten zu können. Leider ist es uns nicht gelungen das 2020er Line-up komplett an den Start zu bekommen, was diverseste Gründe hatte. Trotz allem sind wir auf das Programm 2022 stolz, da es eine große Bandbreite des Genres abbildet“, sagt Völklein. „Renaissance zum Beispiel hat ihren einzigen Auftritt in diesem Jahr in Europa. Steve Hackett wird wie das Festival einige andere Hallenshows nachholen und zum letzten Mal die ‚Seconds Out‘-Show komplett spielen. Wie es schon Tradition ist, wird das Publikum mit vielen unbekannten Bands konfrontiert, die danach nicht selten näher ins Scheinwerferlicht der Szene rücken.“
Night of the Prog, Tag 1
Renaissance sind die Headliner am ersten Festivalabend, Freitag, 22. Juli, des Night of the Prog, auch bekannt als NOTP. Von der 1969 aus Mitgliedern der Yardbirds gegründeten britischen experimentellen Rockband ist zwar keiner mehr von der ersten Stunde dabei. Drummer Jim McCarty und Sänger Keith Relf stiegen schon nach zwei Jahren aus. Relf starb 1976 nach einem Stromschlag, den er beim Spielen einer E-Gitarre bekam. Aber Annie Haslam, die seit 1971 am Mikrofon der Band steht und über einen sagenhaften Stimmumfang verfügt, ist nach wie vor aktiv. Sicher soundbestimmend war Gitarrist Michael Dunford, der 2012 kurz nach Fertigstellung des bislang letzten Albums der Band „Grandine il Vento“ starb.
Am Freitag, 22. Juli, startet das Festival um 14 Uhr mit der deutschen Progressive-Metal-Band Soulsplitter. Simon Kramer (Gitarre), Felix Jacobs (Bass), Lewin Krumpschmid (Keyboards), Fenix Gayed (Drums) und Sänger Sami Gayed spielen intelligenten, von Jazzrock durchzogenen Progressive Metal, der von Opeth, Leprous, Haken und Porcupine Tree beeinflusst sein dürfte.
Dann folgen Blank Manuskript. Die Österreicher lassen sich von keinem Tellerrand abhalten, mischen mitunter auch orientalische Moods in ihren Art-Rock, lieben Experimente mit den Elementen des Rock. Die Live-Shows um die Masterminds Dominik Wallner und Alfons Wohlmuth werden auch gerne als Musiktheater beschrieben. Spannend.
Philipp Nespital ist ein faszinierender Künstler mit vielen Talenten. Smalltape ist das Soloprojekt des Sängers, Schlagzeugers und Keyboarders von Mt. Amber. Der Progressive Rock des Sounddesigners ist durchsetzt von entspannten Pop-, Jazz-, und Klassikelementen, fühlt sich bisweilen wie Filmmusik an. Zurücklehnen und genießen!
Chloë Alper ist offenbar immer noch nicht live bei Pure Reason Revolution dabei. So wie in Köln zuletzt wird die Sängerin und Bassistin ersetzt von Annicke Shireen. Auf Facebook verkündet die Band jedenfalls, die Proben zum Auftritt auf der Loreley liefen derzeit mit Mastermind Jon Courtney sowie Gregory Jong (Gitarre, Gesang), Annicke und Drummer Ravi Kesavaram (My Vitriol, Silverkord und Independent).
The Pineapple Thief kündigen ein „volles 90-Minuten-Set“ an. Das die britische Progrock-Band mit dem einzigartigen Gavin Harrison am Schlagzeug von King Crimson und Porcupine Tree, wo Harrison ebenfalls beteiligt ist, beeinflusst ist, dürfte nicht verwundern. Obwohl sie seit ihrer Gründung in den späten 90er Jahren eine sehr produktive Truppe waren, erhielten die Alternative Progressive Rocker erst durch Gavin wirklich starkes Profil. Dies wird vor allem auf dem aktuellen Album „Give It Back“ deutlich, eine Sammlung von Neuaufnahmen früherer Songs, die größtenteils von Harrison mit grünem Licht von Mastermind Bruce Soord neu interpretiert und von der gesamten Band neu aufgenommen wurden.
Betrachtet man eine Reihe von Songs aus früheren Alben im Katalog der Band, darunter etwa „Little Man“ und „Tightly Unwound“, fühlen sich die neu aufgenommenen Versionen solcher Songs wenig überraschend wirkungsvoller an. Das wird sicher ein Hammer Auftritt.
Night of the Prog, Tag 2
Star des zweiten Festivaltags ist der ehemalige Genesis-Gitarrist Steve Hackett mit seinem „Seconds-out“-Programm, bei dem er das komplette Kult-Livealbum von Genesis spielen wird, darunter das Epos „Supper’s Ready“, das Phil Collins und seine Mannen sicher 20 Jahre nicht mehr gespielt haben.
Am Samstag startet das Programm um 13 Uhr mit Sentryturn. „Sentryturn wurde 2015 gegründet und teilt die gleiche Leidenschaft für aggressive Riffs, Ambient-Sounds sowie progressive Rhythmen und Arrangements“, heißt es in der Bandbio. Die Berliner um Dominic Gröger (Vocals, Bass), Siniša Hennig (Guitars), Michael Richter (Guitars), Matthias Schüßler (Guitars) und Max Winkelmann (Drums) suchen den Ausgleich zwischen harten Metal-Riffs und melodischen, gefühlvollen Vocals, erinnern da bisweilen an die letzte Phase von Opethund Subsignal, wenn da nicht immer wieder diese ungewöhnlichen, verstellten Instrumentalparts wären.
Fughu ist eine Progressive-Metal-Band aus Buenos Aires, die zwar schon 1998 gegründet wurde, aber erst 2009 ihr Debütalbum „Absence“ veröffentlichte. Das Album wird in die Nähe von Dream Theater und Symphony X gerückt, insgesamt hat die Band aber einen eigenen Sound, der starke Jazz- und Fusion-Einflüsse in sich trägt.
Traumhaus orientieren sich am Prog der 1970er Jahre. Aktuell besteht die Band aus Alexander Weyland (Gesang, Keyboards), Tobias Hampl (Gitarre), Sebastian Klein (Bass, Basssynth) und Stefan Hopf (Drums) sowie Bernhard Selbach (Livepercussions). Die deutschen Texte wirken beim ersten Hören etwas sperrig, doch die Musik zwischen Arena, Grobschnitt, Mike Oldfield und Genesis packt den Zuhörer sofort.
Dass Jadis bisweilen nach Steve Hackett klingt, hängst sicher damit zusammen, dass der Sänger/Gitarrist der englischen Neo-Prog-Band Gary Chandler ein glühender Hackett-Fan ist. Dennoch geht Jadis mehr Richtung Symphonic Hardrock und erinnert in der Keyboardarbeit an die frühen Genesis-Jahre.
Lazuli gehört zu diesen Bands, die dafür leben, live zu spielen, zu interagieren und einfach eine gute Zeit zu haben. Die Franzosen haben sich seit vielen Jahren einen Namen in der Progressive-Rock-Szene gemacht. Indes, das muss ich hier mal loswerden, selbst in Paris findet sich in den Plattenläden kaum eine Platte oder eine CD der Truppe. Dabei ist das französische Quintett wirklich eine außergewöhnliche Band, deren Einflüsse weit über die Progressive-Rock-Welt hinausreichen, um ihre Inspiration zu finden. Einschließlich der Verwendung ungewöhnlicher Instrumente wie dem Waldhorn und der erstaunlichen, selbst entwickelten Leode; das ist die unwahrscheinliche Mischung aus einer Gitarre, einem Synthesizer und einer melodischen Säge.
Night of the Prog, Tag 3
Für den dritten und letzten Festivaltag hat Völklein praktisch drei Hauptbands eingeplant: die britische Jazzrockformation Colosseum in neuer Besetzung, die deutschen Progrockgiganten RPWL und als letzter Gig des Festivals Premiata Forneria Marconi, kurz PFM, was wirklich eine Attraktion aufgetreten ist.
Von der ursprünglichen Formation ist nur noch Franz Di Cioccio übrig, dem schnell Patrick Djivas beigetreten ist. Die Besetzungswechsel haben indes zu vielen Variationen im Musikstil von PFM geführt. Fast 50 Jahre nach ihrer Gründung wird zurzeit ihr zwanzigsten Album „I Dreamed of Electric Sheep“ (eine Anspielung auf den Roman von Philip K. Dick, der unter dem Titel „Blade Runner“ für das Kino adaptiert wurde) von Kritikern und Fans gefeiert.
Weitere Bands: Der Sonntag beginnt um 12.15 Uhr mit der Symphonic Prog-Band Infringement. Dann spielen Voyager IV um den Bonner Keyboarder Marcus Schinkel, das Prog-Rock / Popart – Projekt aus Berlin und Hamburg Wired Ways, über das sich auch schon Steve Hackett lobend geäußert hat, sowie die italienische Progrock-Band Barock Project bevor dann Colosseum, RPWL und ab 21.30 PFM das Festival beenden.
Weitere Infos:
Es gibt noch Tickets für das Festival. Adresse: Loreley Freilichtbühne, 56346 St. Goarshausen. Camping ist in unmittelbarer Nähe des Festivalgeländes möglich. Für Caravans und Vans gibt es jedoch keinen Strom und Wasseranschluss. Der Veranstalter bietet auch Hotel-Pakete an. Näheres dazu unter www.nightoftheprogfestival.com
Die Buslinie 535 verkehrt ganztägig zwischen Bahnhof, Fähre St. Goarshausen und Loreley. Zusätzlich gibt es einen Festival-Shuttle zwischen Fähre und Loreley.