Wenn man Licht in einem abgedunkelten Raum auf einen schmalen Doppelspalt ablenkt, dann kann man auf einem Schirm hinter dem Doppelspalt einige helle und dunkle Streifen beobachten. Diese sogenannten Interferenzstreifen entstehen, wenn sich das von den beiden Spalten ausgehende Licht überlagert. Ein simpler Versuch aus dem Physikunterricht, wenn man erklären will, was Interferenzmuster, also die Überlagerung mehrerer Wellen, sind. Als Peter Hammill am Donnerstagabend in der Kantine Köln „Interference Patterns“ anstimmt, hat er einen recht amüsierten Gesichtsausdruck. Und es ist ja auch irgendwie komisch und verrückt, Interferenzmustern einen Song zu widmen. „Alles, was wir sehen, ist illusorisch, jede Annahme basiert allein auf blindem Glauben“, singt er. So kennen wir Van der Graaf Generator. Musikalisch wie textlich herausfordernd, Grenzen sprengend, unterhaltsam wie experimentell, irgendwo zwischen Theater, Rock, Oper, Lyrikseminar, Progrock, Jazz, Avantgarde – einfach genial.
Von Dylan Cem Akalin
Peter Hammill (Gesang, Gitarre, Keyboard), Hugh Banton (Orgel, Bass) und Guy Evans (Schlagzeug, Percussion) sind die drei übriggebliebenen Mitglieder der 1968 gegründeten Originalgruppe. Und sie haben auch mit ihren 70-plus Jahren immer noch die Lust am Ausprobieren und vor allem am Live-Spiel. Sie gehören zu den wenigen Bands, die fast bei jedem Konzert eine andere Setlist spielen. Kein Wunder also, dass sie eine treue Fangemeinde haben, die, so zeigen die Autokennzeichen auf dem Parkplatz der Kantine, von allen möglichen Ecken bis aus Frankreich und Belgien kommen, um ihre musikalischen Helden (wieder) zu sehen.
„Nutter Alert“
Der Opener, der, mit einer schrägen Orgel begleitet, erst so unterhaltsam begann, entwickelt sich im Laufe des Songs immer mehr zu einem düsteren Abgesang, und die Zeilen, die Hammill 2008 schrieb, sind zeitlos: „Nur ein Narr würde glauben, dass wir bereit sind, all dem, worauf unsere Zukunft zusteuert, mit Gewissheit ins Auge zu sehen/ Näher und näher, es wird klarer, wir sind nur hier für ein Augenzwinkern, einen übersinnlichen Trick.“
Mit einem Schrei läutet Hamill „Nutter Alert“ ein. Der Song kommt irgendwie hymnischer als im Original rüber, und als gegen Ende die Kirchenorgeln einsetzen, wiegt sich Hammill wie ein zufriedener Asket hinter seinem Roland Piano RD-2000, um das Stück dann in einer Kakophonie der Instrumente enden zu lassen. „(In The) Black Room“ aus Hammills zweiter Soloplatte „Chameleon in the Shadow of the Night“ ist eine theatralische Abhandlung über das Innenleben und die eigene Denkweise, ein etwas verstörendes Stück von stolpernd-schrägem Rhythmus, merkwürdigen Breaks mit einem Instrumentalteil, der an avantgardistische frühe Genesis erinnert. Am Ende schält sich dann doch sowas wie eine rockige Hookline heraus. Der Text verlangt sowohl dem Sänger als auch dem Publikum einiges ab. Hammill dreht und wendet sich, brüllt, presst, haucht die Wörter, die sich wie aus einer Schraubzwinge aus seinem Kopf zu winden scheinen: „Was ich sein werde, ist, was ich bin/ Ich versuche einfach, nicht zu heucheln oder zu fälschen/ Nutze das Sehen als Sinn und nicht als Krücke!“, fleht er. Es sind Sätze wie aus einem modernen Macbeth:
„In cloud-scud moonlight glow
The Tower reels
And I, the blind man
Feeling for a path I know…
Don’t you know that I’m only feeling for how to feel?“
„La Rossa“
Ab dem vierten Stück „La Rossa“ schnallt sich Hammill endlich die E-Gitarre um, um fantastische, verzerrte Sounds rauszuhauen. Der Song schwankt zwischen zornigen Ausbrüchen Hammills und Bentons offenen, positiven Orgelfiguren. „All That Before“ startet etwas sperriger als ich es auf dem Album in Erinnerung habe, der lange rockige Instrumentalteil ist umwerfend und so dynamisch, wie ich es von dem Trio gar nicht erwartet hätte. Überhaupt fehlt mir tatsächlich nichts an den Arrangements, die teilweise ja für größere Instrumentalbesetzungen geschrieben waren. Dass sich dann der Song bei der Zeile „I can’t find myself, what I’m looking for, and I’ve lost the thread of what I said before“ ins Psychedelische verliert, ist klar. Für mich ein ganz starker Auftritt.
An diesem Abend wird wieder einmal deutlich, warum Hammill für viele Musiker und Bands als wichtiger Einfluss genannt wird, zuletzt wieder von Tim Bowness und Steven Wilson in ihrem Podcast „The Album Years“. Der Mann, diese Band bilden einfach eine solch autarke musikalische Energie, die verblüffend und beeindruckend ist.
„Alfa Berlina“
Mit Polizeisirenen und Motorengeräuschen beginnt „Alfa Berlina“, dann setzt erst nur der stockende Sprechgesang und die Gitarre ein, bevor eine wunderschöne Orgel den Song auf eine neue Höhe hebt. Der Song ist so organisch wie ein im Zeitraffer wachsender Baum. Und wie ein Gewächs entfaltet er so unterschiedliche Stränge zwischen erhaben Schön über elektrische Störrfeuer bis zu psychedelischen Auswüchsen.
Fette Gitarrenakkorde und -linien voller Sustain bestimmen das wunderbare „Masks“ – passt auch bei der FFP-2-Maskenpflicht im Saal. Mit einer an Procol Harum erinnernden Orgel beginnt die Ballade „Your Time Starts Now“. Stellenweise assoziiere ich Joe Jackson bei „Room 1210“, wobei es später im Instrumentalteil wiederum an sehr frühe Genesis klingt – so wie auch „Scorched Earth“. Zur Zugabe gibt es das irgendwie zu Tränen rührende und brüchig gesungene „Still Life“. Der Song über Leben, Liebe und Tod entwickelt sich nach dieser sanften Einführung zu einem Rockepos, ein Stück voller unglaublicher Sätze: „Now, all history is reduced to the syllables of our name/nothing can ever be the same now the Immortals are here.“
Gut anderthalb Stunden haben Van der Graaf Generator ihr Publikum ziemlich durch die Mangel gezogen. Das ist kein Konzert, aus dem man beschwingt herausgeht, es hängt einem im Ohr, im Kopf und in der Brust – für Tage. Sagenhaft.