Interview: Barbara Dennerlein ist die Königin der Orgel

Barbara Dennerlein. FOTO: PROMO

Schon mit 15 Jahren verblüffte das junge Mädchen mit den hüftlangen Haaren die Jazzszene. Die Kritiker überschlugen sich mit ihrem Lob über den „Orgel-Tornado aus München“. Bei den internationalen Kritikerbewertungen des amerikanischen Jazzfachblatts Downbeat belegte sie mehrmals den ersten Platz, und sogar die Zeitschrift Harper’s Bazar fragte sich: „How did this fraulein get so funky?“ Die heute 48-jährige Organistin, die Unglaubliches aus der legendären Hammond B3 zaubert, kommt am 4. März zu einem Konzert in die Bonner Harmonie – im Duo mit Schlagzeuger Drori Mondlak. Mit Barbara Dennerlein sprach Cem Akalin.

Sie gelten als Queen of the Bass Pedal. Es ist tatsächlich atemberaubend, Sie live zu erleben: Der linke Fuß spielt vertrackte Basslinien, während der rechte das Tonvolumen kontrolliert und die Hände über die zweimanualige Orgel flitzen. Ich kenne niemanden, der das so beherrscht wie Sie.

Dennerlein Das stimmt ein bisschen. (lacht) Die Orgel ist das forderndste Instrument, weil man mit allen Gliedmaßen unabhängig sein muss. Der Schlagzeuger spielt auch unabhängig, aber rhythmisch. Bei der Orgel kommen ja noch die Melodik und das Harmonische hinzu.

Als ob das nicht reichen würde, haben Sie Ihre Hammond-Orgel auch noch mit Synthesizermodulen erweitern lassen. Müssen Sie vierdimensional denken?

Dennerlein Beim Orgelspiel müssen Sie ja auch Register bedienen, um Klangfarben zu ändern. Als Organist werden Sie eins mit dem Instrument und bedienen vieles intuitiv. Wenn man nachdenken müsste, dann ist der entscheidende Moment längst vorbei. Das ist ein organischer Prozess, der von der Empfindung gesteuert wird. Ich vergleiche meine Spieltechnik gerne mit dem Tanz, wo Sie auch nicht über jede Bewegung nachdenken.

Wie kommt eigentlich ein junges Mädchen in den siebziger Jahren auf diese mächtige Hammond – ein Instrument von gut zwei Zentnern Gewicht?

Dennerlein Das war Zufall. Mein Opa meinte, das Kind muss ein Instrument lernen, und da habe ich als Elfjährige eine Orgel zu Weihnachten bekommen. Mein Vater war Orgelfan und total jazzbegeistert. Deswegen ist er sogar vom Konservatorium geflogen.

Ich dachte, Ihr Vater sei Maler?

Dennerlein Das stimmt auch. Mit der Musik hat er aufgehört, als ich immer besser wurde (lacht).

Und wie sind Sie zur B3, diese legendäre Orgel gekommen?

Dennerlein Ich hatte damals einen Lehrer, Paul Greisel, der sie hatte. Das war auch das erste Mal, dass ich Jazz auf solch einem Instrument gehört habe. Er trat in München in einem Ami-Club auf. Das hat mich sofort begeistert.

Logischer wäre es doch gewesen, wenn Sie sich dem Rock zugewendet hätten. Mitte der siebziger Jahre, da spielte Jon Lord bei Deep Purple die Hammond, Rick van der Linden verrockte und verjazzte die Klassik mit Ekseption. Und Sie kamen zum Bebop. Wieso?

Dennerlein Das habe ich damals alles nicht gekannt. Meine Eltern haben zu Hause viel Jazz gehört. Und mein Lehrer hat mich natürlich auch stark geprägt. Als ich nach anderthalb Jahren von ihm weg bin, um mehr zu lernen, habe ich mich immer mehr mit dem Jazz befasst. Zunächst kamen die Swing-Standards, dann habe ich den Bebop und Charlie Parker für mich entdeckt.

Welcher Jazzorganist war denn Ihr Vorbild?

Dennerlein Eigentlich keiner, weil ich immer meine eigenen, sehr genauen Vorstellungen vom Sound hatte.

Sehr viele große Jazzorganisten gab es nicht, Jimmy Smith war und ist einer, der viele beeinflusst hat, Sie aber nicht. Warum?

Dennerlein Ich fand seine Musik total toll, aber ich habe ihn nie kopiert. Viele junge Musiker machen den Fehler, dass sie Stücke Ton für Ton nachspielen. Das birgt aber die Gefahr, sich nicht mehr vom Vorbild lösen zu können und seinen Weg aus dem Blick zu verlieren.

Jimmy Smith hat Generationen von Organisten geprägt.

Dennerlein Ja, unglaublich viele. Und das geht soweit, dass sie ihn dermaßen kopieren, dass man nicht mehr heraushören kann, ob das Jimmy selbst ist, der da spielt.

Die Pedale sind nicht sein Ding.

Dennerlein Und ich bestehe darauf, dass die Orgel aus drei Ebenen besteht. Ich bedauere es, dass ganz viele Organisten diesen alten Stil kopieren: Jimmy Smith hat mit der linken Hand die Bässe gespielt. Die Pedale hat er nur gepickt, um einen gewissen Effekt zu erzielen.

Sie sind bis heute die einzige, die diesen modifizierten Bass spielt.

Dennerlein Ich kenne es eben nicht anders. Ich wollte von diesem klassischen Jazzstil weg. Und ich habe das immer weiter perfektioniert. Im klassischen Organistenbereich, wo ich mich ja heute auch bewege, beherrschen alle das Spiel mit den Pedalen.

Wenn nicht Vorbild, darf man dann vielleicht von einer gewissen Seelenverwandtschaft sprechen? Zum Beispiel zu Larry Young, der ja leider sehr früh gestorben ist.

Dennerlein Larry Young habe ich tatsächlich immer gerne gehört. Er spielte zwar anders, aber ich fand es spannend, weil er auch ganz eigene Dinge gemacht hat.

Swing, Bebop, Blues, Soul, Latin, Funk – es scheint für Sie keine Grenzen zu geben. Und an die Kirchenorgel setzen Sie sich auch – immer öfter.

Dennerlein Ich bin zwar ein Blues-Fan, aber ich will einfach zeigen, wie vielseitig die Orgel sein kann.

Sie haben einen ziemlich großen kreativen Output – ob Solo, im Duo, Trio oder mit Big Band. Sie hatten auch ein paar Projekte mit philharmonischem Orchester.

Dennerlein Ja, mit Friedrich Gulda oder Eberhard Schöner.

Wo liegt Ihre Leidenschaft?

Dennerlein In der Spannung, der Herausforderung, immer wieder mal was anderes zu machen. Spielen, Arrangieren, Komponieren – das sind meine Leidenschaften.

Sie haben Ihr eigenes Label, produzieren selbst, managen sich selbst. Sind Sie ein Kontrollfreak?

Dennerlein (lacht) Ich bin schon sehr perfektionistisch veranlagt. Das kann für Außenstehende manchmal nervig sein. Aber es hat sich so entwickelt. Das Label habe ich schon 1985 gegründet, um meine erste Platte aufzunehmen.

… die dann gleich den Deutschen Schallplattenpreis gewann.

Dennerlein Ja, das war ein Superstart. Ich wurde von einem Vertrieb sehr unterstützt. Ich habe das Label immer behalten, auch als ich von Enja und Verve unterstützt wurde.

Warum?

Dennerlein Weil mir da niemand reinredet. Ich arbeite wahnsinnig gerne alleine und verwirkliche gerne Ideen, die ich habe. Als ich mein Abitur gemacht habe, bin ich gleich auf Tour gegangen und habe alles selbst organisiert. Später hatte ich auch Agenturen, aber da ist immer wieder was schief gelaufen.

Und da haben Sie sich gesagt: Da mach ich’s gleich selber?

Dennerlein Ja, bei mir geht das ratzfatz. Ich bin super zuverlässig. Ich reise mit Computer und bin immer erreichbar.

Und das nicht nur in Deutschland. Sie waren und sind auch in den USA sehr erfolgreich und gefragt. Sie hätten in den Staaten gut Fuß fassen können. Was hält Sie denn in Bayern?

Dennerlein Ja, das stimmt, das hätte ich machen können. Das war eine Entscheidung, die ich damals getroffen habe. Der Punkt ist: Ich bin ein sehr verwurzelter Mensch. Ich liebe meine Umgebung, München, die Natur, meine Familie ist hier. Ich wollte nicht weg von hier. Es hätte sicherlich mehr passieren können, wenn ich in Amerika geblieben wäre. Aber, mein Gott, man muss sich eben mal entscheiden und damit glücklich sein. Und das bin ich. Aber ich bin ja nach wie vor weltweit auf Tournee.

In Europa haben Sie in letzter Zeit viel mit der Pfeifenorgel präsentiert.

Dennerlein Das stimmt. Sie bietet noch mal unglaubliche Möglichkeiten. Ich habe im vergangenen Jahr Konzerte unter anderem in den Philharmonien in Köln, Berlin und Kaliningrad gegeben.

Ihre aktuelle CD „Spiritual Movement No.3“ ist hauptsächlich an der Kirchenorgel entstanden. Sie ist von einer gewissen Atmosphäre geprägt, dass ich dachte: Ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Gitarristen Pat Metheny könnte ich mir gut vorstellen.

Dennerlein Ich auch! Ich bin tatsächlich ein Pat Metheny-Fan der ersten Stunde und habe alle seine CDs. Ich liebe sein Konzept und sein Spiel. Es wäre wirklich mein Traum, mal mit ihm zu spiele