Was Schönes zum Jahresende: „All Love Everything“ von Aloe Blacc

Aloe Blacc mit neuem Album FOTOS: Amanda Austin

Und dann gibt es diese Alben, die man zugeschickt bekommt, in die man am Ende des Jahres ohne große Erwartungen reinhört – und von der Musik komplett eingefangen wird. Sein aktuelles und viertes Album „All Love Everything“ ist Aloe Blaccs (Hit „Wake Me Up“) erstes Album als Vater, und die Musik erinnert mich daran, wie hoffnungsfroh und positiv ich damals bei der Geburt meiner beiden wunderbaren Töchter war. Genau diese positive Einstellung zieht sich durch alle Titel durch.

Von Dylan Cem Akalin

Und auch die Texte handeln von der Familie, mit der Aloe Blacc aufgewachsen ist, und den Lehren, die er aus seinen Erfahrungen für seine Erziehungsaufgabe nun zieht. Wie der Titel „All Love Everything“ andeutet, handelt es sich um ein aufrichtendes Album. Es ist schwer, Aloe Blaccs Musik nicht zu mögen, wenn die meisten Songs die Gefühle auf solche Art und Weise ansprechen: warme Nostalgie, sanfte, aber geerdete Melodien und massig gute Stimmung.

Der soulige Pop garantiert eine breite Anziehungskraft, auch wenn der Grat zum Pathos nur eine Messerspitze entfernt ist. Was der 41-Jährige aus Laguna Beach, Kalifornien, meisterhaft beherrscht, ist, eine ergreifende Intimität in das musikalische Gefüge schon beim Eröffnungsstücks „Family“ einzuweben. Die spärliche Textur mit einer sehr rohen, trockenen Produktion ermöglicht es jedem Instrument, mit klarer Klarheit zu sprechen, wobei Blaccs Stimme im Mittelpunkt der Erzählung steht. Aloe Blacc erreicht diese Intimität aber auch durch lyrische Bilder, durch Verletzlichkeit in Sätzen wie diesen: “You don’t even know how broken you are, but I can still see the smile in your scars” (Wherever You Go) oder “Give me your finesse with the flaws in it” (Nothing Left But You).

„Hold On Tight“ passt in unser aller Situation, weil es darum geht, schwere Zeiten zu überstehen. „Harvard“ präsentiert Blacc einzig mit Gitarrenbegleitung, als würde er ihn gleich hier und jetzt am Weihnachtsbaum singen: “Everything I know I learnt it on these bitter streets”, eine Art Selbstbekenntnis, dass der Protagonist trotz seines prestigevollen Abschlusses immer noch reich an überakademischem Wissen ist – indes wissen wir, dass Blacc seinen Abschluss nicht in Harvard, sond an der University of Southern California gemacht hat.

„My Way“

Aber am letzten Tag des Jahres 2020 sind wir milde gestimmt. Auch wenn die Zeilen von „My Way“ sicher schon tausendfach in irgendwelchen Songs auftauchten, packt das Lied einen und könnte durchaus ein echter Hit werden. Insgesamt ist „All Love Everything“ kein Album, dass die Musikwelt neu definiert, aber es wärmt das Herz, und wenn Blaccs Stimme nicht so derart smooth und schön wäre, wenn sie nicht auf so überzeugende Weise die Inhalte projizieren würden, würden einem so manche Plattitüde, das Gute anzunehmen und das Schlechte zu überwinden, wohl bitter aufstoßen.

Man kauft es Blacc einfach die ehrliche Absicht ab, so viele Seelen wie möglich zu erreichen und zu trösten. In den Songs verschwimmen die Übergänge zwischen den Genres, selbst wenn Blacc sich von Funk und Hip-Hop zurückzieht und tiefer in Gospel und Country eintaucht und über einen leichten Dancehall-Rhythmus seinen sanft romantisiert. Gerade weil er sich stilistisch ausbreitet, erreicht Aloes Falsett-Gesang ein neues Maß an natürlicher Eleganz, das am eindrucksvollsten im Country-Titelsong und in der Ballade „I Do“ zu hören ist.