Von Dylan C. Akalin
Mikael Åkerfeldt hat seit gut 15 Jahren nicht mehr gegrowlt – und jetzt dieser Start ins Liveprogramm! Opeth hat ihre Fans ja schon immer gerne überrascht. Mit neuen Sounds, mit neuen Wendungen ihrer musikalischen Ausrichtung. Im schon lange ausverkauften FZW in Dortmund wird die schwedische Metal-Band am Dienstagabend geradezu enthusiastisch empfangen. Und die Energie der 1300 Fans wird sich auch bis zum Schluss halten (Gefühlt haben die 1300 mehr Lärm gemacht als die 75.000 Hannoveraner bei AC/DC am Sonntag).
„Seven Bowls“ und „The Grand Conjuration“
Und Åkerfeldt ist auch bekannt für seine Inszenierungen. Es ist sicher kein Zufall, dass das Publikum vor Beginn des Konzertes mit „Seven Bowls“ der griechischen Progressive-Rock-Band Aphrodite’s Child empfangen wird, ein an ein klösterliches Gebet erinnerndes Mahnen an die sieben Plagen, die da drohen. Die sieben Schalen oder Phiolen sind eine Reihe von Plagen, die in Offenbarung 16 erwähnt werden. Sie sind als apokalyptische Ereignisse aufgezeichnet.
Sieben Engeln werden sieben Schalen des Zorns Gottes gegeben, jede bestehend aus Gerichten voller Zorn Gottes. Und dann startet die Band aus dem Dunkel heraus mit der großen Beschwörung. In „The Grand Conjuration“ geht es um Gotteslästerung, um die Augen des Teufels, die auf die Sünder gerichtet sind, um blasse Reiter. Es könnte aus einer dunklen Fantasy-Geschichte von Stephen King entsprungen sein. Und die Death Growls von Åkerfeldt werden von staccatohaften Gitarrensalven begleitet. Gewaltiger kann man ein Konzert kaum eröffnen.
Bühne aus zwei Ebenen
Die Bühne ist in zwei Ebenen aufgebaut. Unten stehen Sänger/Gitarrist/Komponist Mikael Åkerfeldt, flankiert von dem Gitarristen Fredrik Åkesson und dem Bassisten Martín Méndez, oben sehen wir Joakim Svalberg mit seinen Keyboards und Schlagzeuger Waltteri Väyrynen. Die Bühnenplattformen bestehen jeweils aus LED-Screens, über die Bilder und Filmsequenzen laufen.
Die Schweden haben sich in den vergangenen Jahren rar gemacht, in Deutschland und vor allem hier in NRW. Entsprechend war die Vorfreude groß, die Band mal wieder live zu erleben. Kein Wunder also, dass die Fans die Band feiern, als wären sie ausgehungert. Am Wochenende haben sie auf der Bühne in Wacken gestanden und noch ein paar Konzerte vor und danach organisiert, die eigentliche Tour mit dem neuen Album „The Last Will And Testament“ im Gepäck startet im Februar 2025 (alle Daten siehe unten).
Songs aus allen Schaffensphasen
Das Set an diesem Abend ist fantastisch und gibt eine glänzende kleine Werkschau, die eine Band zeigt, die sich weigert, sich in irgendwelche festen Kategorien einordnen zu lassen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1990 haben sie nicht nur die Grenzen des Metal und Progressive Rock neu definiert, sondern auch immer wieder die Emotionen ihrer Hörer bewegt. Ich kann mich noch an die Aufreger ihrer Konzerte vor zehn, 15 Jahren erinnern, als sich Åkerfeldt schlicht weigerte auch nur einen Song mit Growls zu performen. Wem dies nicht gefalle, könne ja gehen, sagte der für seinen Sarkasmus bekannte Mastermind der Banddamals.
Mikael Åkerfeldt steht auf jeden Fall im Zentrum dieser musikalischen Evolution, der charismatische Frontmann, dessen Vision und künstlerische Integrität die Band in unerforschte Gebiete geführt haben und die Bewunderung so mancher Größen in der Musikszene, nicht zuletzt Steven Wilson (Porcupine Tree), hervorrief.
Musikalischer Komplexität und emotionaler Tiefe
Von ihren Anfängen im Death Metal bis zu ihren aktuellen Experimenten mit Progressive Rock und Folk-Elementen hat sich Opeth kontinuierlich weiterentwickelt. Jede Phase ihrer Karriere ist geprägt von musikalischer Komplexität und emotionaler Tiefe, die in Songs wie eben „The Grand Conjuration“ und „A Demon Of The Fall“ zu hören ist. „The Grand Conjuration“ ist ein gewaltiges Epos, das mit seinen bedrohlichen Riffs und der druckvollen Dynamik das düstere Herz der Band offenbart. Es ist eine Beschwörung des Unbekannten, ein Tanz auf der Rasierklinge zwischen Wahnsinn und Kontrolle.
„A Demon Of The Fall“ startet mit bedrohlichen Sounds wie aus der Unterwelt, es nimmt den Hörer auch tatsächlich mit auf eine Reise in die Abgründe der menschlichen Seele. Es ist ein Stück, das von Verzweiflung und Schmerz durchdrungen ist, eine Klanglandschaft, die die dunkle Poesie von Åkerfeldts Texten widerspiegelt. Und weil dies alles nicht nur eine Farbe hat, wechselt die Grundstimmung dann auch mal in einen klaren, unverfälschten Sound – während wir im Hintergrund das Umherirren eines Protagonisten durch ein Waldstück verfolgen.
„Eternal Rains Will Come“
Mit „Eternal Rains Will Come“ zeigt die Band ihre Fähigkeit, atmosphärische Dichte und technische Brillanz zu vereinen. Der Song ist ein Paradebeispiel für Opeths Fähigkeit, komplexe musikalische Strukturen zu erschaffen, die dennoch zugänglich und bewegend sind. Die Gitarrenarbeit ist hier ebenso beeindruckend wie die melancholische Melodie, die ebenso von Crosby Stills & Nash sein könnte. Am Schluss, nach einem orientalisch anmutenden Gitarrenlauf, klingt das Stück dann plötzlich wie ein früher Yes-Song. Einfach fantastisch.
„The Drapery Falls“ ist ein weiteres Meisterwerk, das die duale Natur von Opeths Musik offenbart und das Mikael mit den Worten einführt, er sei ein Biest. Es beginnt mit sanften, akustischen Klängen, die langsam in eine Explosion von verzerrten Gitarren und donnernden Drums übergehen. Die emotionale Intensität dieses Songs ist überwältigend und zeigt, warum Opeth als eine der innovativsten Bands ihrer Generation gilt. Seine Gitarre hat Sustain ohne Ende, der Sound segelt uns nur so um die Ohren und hebt uns in diese wolkenverhangenen Hügel, die über die Leinwand gezeigt wird.
„You Suffer“ der britischen Death Metal-Pioniere Napalm Death
Nach ein paar humorvollen Einlagen und das extrem kurze Anspiel von „You Suffer“ der britischen Death Metal-Pioniere Napalm Death (drei Mal), nimmt uns die
Mit „In My Time Of Need“ nimmt uns die Band in eine ihrer introspektivsten Phasen mit. Es ist ein Lied, das von Verlust und Sehnsucht spricht, getragen von Åkerfeldts einfühlsamem Gesang und einer melancholischen Melodie, die tief unter die Haut geht. Der Moment der Ruhe inmitten der oft stürmischen Klanglandschaften der Band ist wie eine kleine Oase an diesem Abend.
„Face Of Melinda“
Wunderschön geht es mit „Face Of Melinda“ weiter. Die Ballade erzählt die Geschichte einer verlorenen Liebe in einer Weise, die sowohl episch als auch intim ist. Die Mischung aus akustischen und elektrischen Elementen, gepaart mit Åkerfeldts erzählerischem Gesang, macht diesen Song zu einem der Höhepunkte im Katalog der Band.
„Heir Apparent“ und „Ghost Of Perdition“ sind Beispiele für Opeths Fähigkeit, technische Virtuosität und rohe Kraft zu kombinieren. Die komplexen Riffs und wechselnden Taktarten zeigen die Meisterschaft der Band im Umgang mit musikalischen Strukturen, während die düsteren Texte und der kraftvolle Gesang eine fast apokalyptische Atmosphäre schaffen.
„Sorceress“ und „Deliverance“
Mit „Sorceress“ hat die Band einen weiteren Schritt in Richtung Experimentierfreudigkeit gemacht. Der Song verbindet Prog-Rock mit Folk-Elementen. „Sorceress“ ist ein zauberhaftes Stück, das sowohl vertraut als auch überraschend ist. Zur Zugabe gibt es eines meiner Lieblingssongs: „Deliverance“ ist ein Monument der musikalischen und emotionalen Extremität. Es ist ein Song, der die Hörer in seinen Bann zieht und nicht mehr loslässt. Der Titelsong des Albums aus dem Jahr 2002, das damals zu meinem Erstaunen von der Kritik gar nicht gut angenommen wurde, gehört zu den melodischeren und progressiveren Momenten auf dem Album. Es schwankt zwischen Akustik- und Death-Metal-Passagen und scheint damals schon den neuen Kurs der Band anzudeuten. Die epischen Ausmaße und die tiefgründige Lyrik machen den Song jedenfalls zu einem perfekten Abschluss dieses Abends.
Setlist Opeth FZW Dortmund, 6.8.2024
Grand Conjuration
A Demon Of The Fall
Eternal Rains
Drapery Falls
In My Time Of Need
Face Of Melinda
Heir Apparent
Ghost Of Perdition
Sorceress Deliverance
„The Last Will And Testament“ – Europatour 2025
w/ GRAND MAGUS
09.02.2025 FI Helsinki – Helsingin Jäähalli
11.02.2025 SE Stockhom – Cirkus
12.02.2025 NO Oslo – Sentrum Scene
14.02.2025 DK Copenhagen – DR Koncerthuset
15.02.2025 DE Hamburg – Docks
17.02.2025 DE Köln – Palladium
18.02.2025 DE Berlin – Tempodrom
19.02.2025 DE München – Muffathalle
21.02.2025 FR Paris – L’Olympia
22.02.2025 NL Amsterdam – AFAS Live
23.02.2025 BE Brüssel – Ancienne Belgique