Von Dylan C. Akalin
Wie kann man diesen Angriff auf die Sinne nur aushalten? Kann das irgendjemanden ungerührt lassen – diese aufwühlende Feuerwalze aus optischen und akustischen Eindrücken voller rätselhafter Sounds zwischen brachialen Gitarren, massigen Bässen und geradezu betörendem Gesang, mysteriösen Wesen und Farbenspielen auf der riesigen Leinwand? Die 12.000 Fans in der ausverkauften Lanxess Arena in Köln feiern Tool am Dienstag jedenfalls schon beim ersten Stück.
Es gibt nicht mehr viele Bands, die dieses Eleusinische derart zelebrieren wie diese Progressive Metal Band aus Kalifornien – wobei Tool eigentlich keinem Genre eindeutig zuzuordnen ist. Das intelligente Spiel mit allerlei krummen Metren, die sich gleich mehrmals innerhalb eines Stücks ändern können, mit vieldeutigen, bisweilen auch ironischen und humorvollen Texten, die Lust an experimentellen Momenten, die Suche nach neuen Sounds haben schon früh dazu geführt, dass die Band eine auffallend andächtige Anhängerschaft hat. Was ist das? Metal-Progressive-Jazz-Blues-Art-Rock? Egal. Es ist Musik für Kopf, Herz und Gänsehaut.
Tool liebt die Dunkelheit
Tool liebt die Dunkelheit. Viel ist auf der Bühne nämlich kaum zu erkennen, es sei denn man sitzt mit dem nötigen Kleingeld in den ersten Sitzreihen. Von meinem Platz aus sehen die dunklen Konturen von Sänger Maynard James Keenan, der wie gewohnt immer mal links, mal rechts hinten auf den Plateaus steht, aus wie die von Groot. Näher betrachtet hat er wieder diese verrückte Irokesenfrisur und schwarz bemalte Augen.
Nach dem Stampfen von „Third Eye“ (Ænima) lässt Gitarrist Adam Jones ein Staccato von metallischen Gitarrenwogen über die Halle donnern während über der Bühne der siebenzackige Stern ein fahles Licht von sich gibt. Im Hintergrund wandeln sich rote und blaue in diverse Rorschach-Formen. Was sagt das über die Persönlichkeit der Band? Oder sind wir Zuschauer gefordert, unsere Gedankengänge zu überprüfen?
Wilder psychologischer Drogentrip
Die einführenden röhrenden Sounds zu den hochklingenden Schellen bei „Fear Inoculum“ klingen wie jenes bedrohliche Lärmen der fremden Invasoren bei „Krieg der Welten“, die Gitarre schneidet sich sägend ins eher ruhige Spiel. Ein gleißend-silberner Lichtstrahl bildet einen schmalen, leuchtenden Kegel über den vorderen Sitzreihen, die wie tote Schädel auf hoher See schaukeln.
Das gedehnte sirenenhafte Lärmen aus „Lost Keys“ klingt live wie von einem Cello gespielt. Es bildet das Intro zu „Rosetta Stoned“. Als die Percussions zu knallen beginnen, die Tablas wirbeln, erscheinen Totenschädel auf der Leinwand, sezierte Köpfe wie aus den „Körperwelten“, ein bizarrer Song über einen Typen, der im Krankenhaus dem Arzt von einem wilden psychedelischen Drogentrip erzählt. Dabei geht im Hintergrund eine blutende Sonne auf, die ganze Musik zwischen Metalriffs, und indisch anmutenden Moods lässt einen geradezu in eine Opiumhöhle eintauchen, Bronzefiguren schmelzen in der Feuerbrunst, Trommeln knallen, und dann setzt Jones inmitten dieses irren Tripps zu einem Solo an, das scheinbar rückwärts gespielt ist. Die Zeit scheint aufgehoben, Logik ist nur eine Theorie, Keenans Gesang wird zu einem anfeuernden, rhythmisch unterlegten Aufbrausen.
Aliens beobachten dich
Rätselhafte bleiche Geschöpfe tauchen auf der Leinwand auf, Aliens beobachten dich, die Klangwelt kippt zu einer feiernden Musik einer marokkanischen Berbergemeinschaft, während glubschäugige Wesen auf dich herabblicken. Rauchschwaden kriechen bedrohlich unter der Bühne hervor, bilden geometrische Figuren, während über ihnen neue mystische Welten entstehen. Schräge Rifffolgen donnern wie der Zorn der fremden Wesen über der Halle. Welche Band schafft es, ihr Publikum derart in eine Kunstwelt zu entführen? Gelbe Scheinwerfer treffen deine Linse, lassen dich für einen Bruchteil einer Sekunde erblinden.
Als die bekannten Akkorde von „Pneuma“ erklingen, jubelt das Publikum. Gänsehaut. Tränen in den Augen. Rote Lava kocht auf der Leinwand, silbrige Laserstrahlen zerschneiden die Luft, fächern sich auf, die Musik ein Strudel, in den du dich fallen lässt. Die Nebel des Orion tauchen auf und uns fällt dieses eine berühmte Zitat des Replikanten aus „Blade Runner“ ein: „Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Ich sah C-Beams glitzern, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen.“
„We are born of one breath, one word“
Doch Maynard singt zu den melancholisch fetten Akkorden: „Wir sind Wille und Wunder! Gebunden, uns zu erinnern,/ uns zu erinnern /Wir sind geboren aus einem Atemzug, /einem Wort /Wir sind alle ein Funke, /Sonne wird Kind, /wach auf Kind, /lass das Licht frei /Wach jetzt auf…“
„Intolerance“ erklingt wie das Aufbäumen einer Galaxie in einer alles fressenden Supernova, während Maynard sanft singt, das rote Rippenlogo des Albums „Undertow“ hinter ihm. „Ich will nicht feindselig sein. Ich will nicht trostlos sein. Und ich will nicht in einer apathischen Existenz verrotten. Siehst du, ich will dir glauben…“
Irres Soundgeflecht
Wir sehen Wesen, die nur aus mit spitzen Zähnen bestückten Mäulern bestehen, graue Leiber tanzen träge durch kalte Räume, Ozeane ersticken in Feuer, Sonnen senden Säulen von brennenden Lichtern ins Universum, purpurne Landschaften in undurchdringbarem Dickicht aus beunruhigenden Blüten. Danny Carey erschafft nach der 12-minütigen Pause ein Klangkosmos aus Drums, Percusssions und elektronischen Effekten. Überhaupt ist der Mann eine tragende Säule der Band. Seine diversen Percussioneinsätze, die immer wieder neue Klangbilder aufleben lassen, sind faszinierend. Bassist Justin Chancellor ist zuständig für das Ausfüllen der nötigen Volumina in diesem irren Soundgeflecht. Zu „Flood“ regnet es goldenes Konfetti.
„Invincible“ lässt die Sinne etwas zur Ruhe kommen, bei ruhigen Gitarrenklängen, einem schönen, sanften Gesang und grün-türkisen Farbstrukturen. Zum Abschluss gibt es „Stinkfist“, dieses metallisch-harte Rockstatement aus „Ænima“: Nichts scheint zu befriedigen/Ich sagte, ich will es nicht, ich brauche es einfach/Atmen, fühlen, wissen, dass ich lebe/Knöchel tief in der Borderline/Das kann ein bisschen wehtun,/ aber daran gewöhnst du dich…“ Laut, sehr industrial, unbarmherzig. Tool, das ist Musik für Hippies von heute, für Leute, für die Musik eine Droge ist, ein einziger Trip. So wie dieses Konzert.