Multikulti in Liège: Das Festival Les Ardentes mit seinen vielen Gesichtern

Ibeyi und Kamasi Washington in Liège. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

Multikulti in Liège. Mitten in Lüttich, entlang der Maas, hat sich in den vergangenen zehn Jahren ein bemerkenswertes Musikfest etabliert. Das Festival Les Ardentes im Parc Astrid de Coronmeuse trafen sich jetzt wieder an fünf Tagen Vertreter unterschiedlicher Musikrichtungen wie Alternative-Rock, Electro, HipHop, House, Techno, Drum’n’bass, Soul, französischer Chanson, Folk, Pop  und Jazz. Wo gibt es sowas schon? 90.000 Zuschauer zog das mit viel Liebe zum Detail organisierte Fest, das gerademal eine Stunde von Köln entfernt liegt. Auf einer Freilichtbühne und in zwei Hallen wurden mehr als 80 Acts präsentiert.

Casseurs Flowters in Liège. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski
Casseurs Flowters in Liège. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Die legendäre französische Band Indochine gab es zu sehen, Pharrell Williams und Charles Bradley, Suede und Flying Lotus, das avantgardistische Sound-Hip-Hop-Projekt von Steven Ellison, dem Großneffen der Jazzpianistin Alice Coltrane, und dann standen natürlich jede Menge französische Künstler auf den Bühnen, die hierzulande zu Unrecht kaum bekannt sind. 19.000 sangen etwa am letzten Tag des Festivals vor der Open-Air-Bühne mit dem französischen Hip-Hop-Duo Casseurs Flowters mit. Im französischsprachigen Raum war ihr Album „Orelsan et Gringe sont les Casseurs Flowters“ ein großer Erfolg. Total angesagt, vor allem bei jungen Leuten, ist der französische Rapper Ken Samaras, der sich Nekfeu nennt. Die Libération hat sich mal ein wenig lustig über den weißen „Hipster-Rapper“ gemacht, der nicht aus den schmuddeligen Vororten von Paris kommt, sondern im zentralen 15. Arrondissement groß geworden ist.

Während der 26-Jährige auf der großen Open-Air-Bühne die Mädchen verrückt machte, klappte Kamasi Washington hinter der Indoor-Bühne am anderen Ende des Festival-Geländes seinen Saxofonkoffer zu. Der Hohepriester des Jazz hatte zuvor ein fulminantes Konzert gegeben. Kamasi Washington gilt zurzeit als der heißeste Jazzer in der Szene.  Die ZEIT schwärmte zu Recht über seine „intergalaktische Energie“. Ein ausführliches Porträt/Interview wird es demnächst über ihn geben.

Kamasi Washington. FOTO: Peter "Beppo" Szymanski
Kamasi Washington. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Nicht so richtig in Tritt kam dagegen der New Yorker Avantgarde-Gitarrist Marc Ribot & The Young Philadelphians, die noch vor einem halben Jahr im Kölner Stadtgarten überzeugt hatten. Schuld an dem etwas stockenden Konzert war sicherlich der schlechte Soundmix. Für ein Festival, wo die Bands wenig Zeit dafür haben, ist solch eine komplexe Band, zu der zwei Violinisten und ein Cellist gehören, vielleicht nicht das Richtige. Dabei zeigte das Ensemble, welch einfallsreiche Kreativität in ihm steckt. Ribot ist ein Künstler, der die Arrangements wie Puzzlespiel zusammenlegt, bei dem sich aber trotz der losen Teile  ein fabelhaftes Ganzes ergibt. Mary Halvorson, Ribots sechssaitige Mitspielerin, gehört sicherlich zu den originellsten Gitarristen der Neuen Improvisationsmusik.

Neun Mitglieder der immer wieder wechselnden Besetzung der Fusion-Band Snarky Puppy aus Brooklyn sorgten für Partystimmung, Jean-Christophe Urbain und Jean-Philippe Nataf nennen sich als gitarrenspielendes Duo Les Innocents und machen französischen Pop, setzen musikalisch aber auf die Tradition des amerikanischen Folk-Rock.

Ibeyi FOTO: Peter "Beppo" Szymanski
Ibeyi FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Ibeyi ist das Wort für Zwillinge auf Yoruba, einem westafrikanischen Dialekt. Das Duo Lisa-Kaindé und Naomi Díaz ist in Frankreich ungemein populär. Die schönen Töchter des vor zehn Jahren verstorbenen kubanischen Perkussionisten Miguel „Angá“ Díaz, der Mitglied im Buena Vista Social Club war, sind ein Phänomen. Dieser sehr experimentelle Mix aus Soul, R&B, Downbeat, Electronic und traditioneller afrikanischer Musik, fast karg arrangiert funktioniert sogar live. Die beiden haben ihre Keyboards und diversen Perkussionsinstrumente auf einer Empore aufgebaut, sie sehen sich fast ständig an, es scheint, als performten sie für sich. Nur hin und wieder treten die 19-jährigen Frauen an den Bühnenrand, wo sie frenetisch gefeiert werden, die Crowd singt alle Lieder textsicher mit. Wunderschöne Schwarz-Weiß-Aufnahmen laufen im Hintergrund auf der Leinwand. Das kubanisch-französische Duo singt in vier Sprachen: Französisch, Englisch, Spanisch und eben Yoruba. Diese Rhythmen, die Naomi fast beiläufig hinhaut, knallen, hallen und treffen ebenso mitten in die Magengrube wie diese hingebungsvollen Gesänge der Beiden, fast wie Zwiegespräche, an denen das Publikum teilnimmt. Lisa-Kaindé spielt klangklare Arpeggien auf dem Piano, erschafft knisternde elektronische Sounds und stockende Beats. Irgendwoher wehen flüsternde Gospelfäden, mysteriöse afrikanische Kultgesänge durch. Das Duo setzt seine Musik aus Fetzen zusammen wie eine Patchwork-Decke, nur dass die Übergänge viel fließender sind, es ist eher ein beschwörendes Gebräu mit Zutaten, dessen endgültige Zusammenstellung letztlich nur das konspirierte Geschwisterpaar kennt.

Black Mountain, die auch am Dienstagabend im Gebäude 9 in Köln spielten, aus dem kanadischen Vancouver gelten als Vertreter des Stoner Rock mit vielen Anklängen an den Psychedelic Rock, irgendwo zwischen Pink Floyd, Led Zeppelin und Siouxsie and the Banshees. Die soundverliebte Truppe liebt ausgedehnte Gitarrensoli zu Klanggebirgen und effektvoller Rhythmusbegleitung. Der Opener „Mothers of The Sun“ setzt auf Riffs wie von Deep Purple, auch wenn es im Instrumentaleinsatz zwischendurch klingt wie die ganz frühen Genesis, sparsame Keyboards und das nachhaltige Zusammenspiel der beiden Stimmen von Amber Webber und Stephen McBean. „Stormy High“ liegt eindeutig im klassischen Hardrock der frühen 1970er Jahre, „Tyrants“ ist schon fast Deep Purple pur, „Space To Bakersfield“ lässt das Herz der Fans der frühen Pink Floyd höher schlagen. Ein ganz großes Erlebnis!