Zur Situation der Musikkritik: Erwiderung auf die Erklärung des Musikrats

Musikjournalismus FOTO: Deutscher Musikrat/ wellphoto Shutterstock

Von Dylan C. Akalin

In einem hat der Deutsche Musikrat sicher Recht: „Kultur lebt von der Begegnung, Reflexion und konstruktiven öffentlichen Kritik und trägt ihrerseits ihre grundlegenden Impulse zu großen Teilen auch über die Medienlandschaft in die Gesellschaft hinein. Ein lebendiges Musikland Deutschland braucht daher einen starken und zukunftsfähigen Musik- und Kulturjournalismus.“ Alles andere in der Stellungnahme liest sich indes wie eine Pressemitteilung aus den 1990er Jahren. Es ist zwar einerseits richtig, dass wir in Deutschland einen qualifizierten Musik- und Kulturjournalismus brauchen. Andererseits hat der Musikrat offenbar noch nicht mitbekommen, dass seit den 1990ern, dann verstärkt ab den 2000er Jahren immer mehr Zeitungen/Verlage Redaktionen zusammenlegen und/oder ganz auflösen.

Insofern steht der Journalismus vor ganz anderen Herausforderungen, die Kultur- und Musikbranche vor ganz anderen Problemen, als es der Deutsche Musikrat skizziert. Als Handlungsfelder zählt dieser beispielsweise auf, den Ausbildungsbereich zu stärken. Welchen Ausbildungsbereich? Und wofür? Es ist dooch heute so: Jeder macht alles. Da wird aus „Forever Young“ von Alphaville schon mal ein Bob-Dylan-Cover oder aus einem Peter-Gabriel-Konzert ein Genesis-Best-of-Abend…

Wenn wir von jazzandrock bei Veranstaltungen sind, sind wir entweder die einzigen Medienvertreter oder es sind Fan- und Bloggseiten, wie wir es sind. Viele Tageszeitungen verzichten doch mittlerweile auf qualifizierte Musikkritiken. Und wenn, dann sind es eher die großen Events wie Peter Gabriel, Metallica oder die Rolling Stones, wo man noch Präsenz zeigt.

Was Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrat, sagt

Prof. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates, sagt laut Pressemitteilung: „Die Abwärtsspirale, in der sich die traditionelle Kulturberichterstattung aktuell durch eine geringe Nachwuchsförderung im Bereich Musik- und Kulturjournalismus einerseits und unklare wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven für die Medienlandschaft andererseits befindet, gilt es jetzt gemeinschaftlich zu stoppen.“

Wie? „Durch Förderung der kultur-journalistischen Ausbildung an Schulen und Universitäten.“ Der Musikrat verweist auf die Angebote der Musikhochschule Karlsruhe, der Technischen Universität Dortmund sowie die private Hochschule Macromedia mit dem Studiengang Musikjournalismus sowie den Masterstudiengang Kulturjournalismus an der Hochschule für Musik und Theater in München hin. Und dann plädiert er noch dafür, „die Fachredaktionen für den Musik- und Kulturbereich im Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk aufrechtzuerhalten“.

Lieber Musikrat, das wird nicht reichen.

Schön wäre es, wenn sich Musikrat und die Journalistenvertretungen DJV und DJU in Ver.di mal für die Arbeitsbedingungen von Journalisten in der Kultur- und Musikszene stark machen würden. Diese sind nämlich immer lachhafter. Gerade Bildjournalisten werden in ihrer Arbeit immer mehr massiv behindert. Die sogenannten Verträge, die sie mittlerweile bei einigen Künstler*innen unterschreiben müssen, sind eine Zumutung und angesichts seitenweiser Paragraphen eher etwas für den juristischen Beistand als für die mit Kamera und Linsen ausgestatteten Kolleg*innen. Da werden entweder überhaupt keine Fotografen/Journalisten zugelassen (wie zum Beispiel bei Bob Dylan), oder nur eine handverlesene kleine Gruppe (wie bei Robbie Wilson oder Limp Bizkit) oder aber, man will das Bildmaterial vorher zur Autorisierung (!) sehen und entscheiden, welche Bilder freigegeben werden (wie bei Porcupine Tree in Bonn). Fehlt noch, dass wir auch noch unsere Texte zur Freigabe vorlegen müssen.

Dass die Akkreditierung zu vielen Künstler*innen immer schwieriger wird, ist einerseits angesichts der Masse an Influencern, Bloggern und sonstigen Medien bei den wirklich großen Events nachvollziehbar. Aber eine wirkliche Qualitätsprüfung findet da ja nicht statt. Nach welchen Kriterien man zugelassen wird oder nicht, ist nicht wirklich durchschaubar. Ich habe und schreibe ja auch für andere Medien und erlebe auch mit Blick auf diese langjährigen Erfahrungen eine sehr unverständliche Akkreditierungspolitik.

Von Akkreditierungen und Kapazitätsproblemen

Eines ist klar: Wenn ein Künstler/eine Künstlerin ein neues Album rausbringt, dann dreht die PR-Maschine heiß – und zwar unabhängig davon, wie bekannt der oder die Musiker*in oder Band sind. Erst kommt die Nachricht zum geplanten neuen Werk, dann die Nachricht zum voraussichtlich geplanten Veröffentlichungsdatum, dann eine vorab veröffentlichte Single mit Video, bei einigen auch immer wieder Wasserstandsmeldungen aus dem Studio und so fort. Wenn es dann aber zur Akkreditierung kommt, gibt es „Kapazitätsprobleme“… Äh, ja…

Glücklicherweise ist das oben Beschriebene nicht die Regel. Eine löbliche Ausnahme bilden die vielen lokalen Konzertveranstalter und Clubbetreiber, die sich freuen, dass es noch Musikkritiker gibt, die Leidenschaft und Liebe zur Musik mitbringen und Konzertkritikern schreiben. Und es gibt sie noch, die Künstler*innen, die Wert auf den Kontakt legen, die gerne Interviews geben, die sich freuen, wenn man über ihre Auftritte schreibt. Aber insgesamt ist zu beobachten, dass es immer schwieriger wird. Solch ideale Arbeitsbedingungen wie bei Rock am Ring mit einem großen Medienraum, genügend Arbeitsplätzen, funktionierendem W-Lan und guter Betreuung sind leider eher die Ausnahme.

Natürlich hat sich vieles in den letzten Dekaden verändert. Dass man mal im Medienraum oder abseits der vollen Räume während eines Festivals Musiker trifft und mit ihnen ins Gespräch kommt, ist angesichts der engen Zeitfenster und durchgetakteten Terminkalender der Künstler*innen heute nicht mehr möglich. Beim North Sea Jazz Festival kam schon mal Dizzy Gillespie auf eine Zigarre ins den Medienbereich, oder man traf Michael Brecker beim Frühstück, oder Nnenna Freelon setzte sich neben deine Schreibmaschine und fragte: „Willst du ein Interview?“

„Kultur lebt von der Begegnung, Reflexion und konstruktiven öffentlichen Kritik“, sagt der Musikrat.  Genauso ist es.