Zum 50.: Emerson, Lake & Palmer sind „Out of this World“

Carl Palmer 2019 in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Schwer zu sagen, welche Liveaufnahmen mehr beeindrucken. Der legendäre Auftritt von Emerson Lake & Palmer 1970 auf dem Isle of Wight Festival, wo den 600.000 Musikfreaks die Münder offenstanden ob der Energie und kreativen Kraft der drei Jungs auf der Bühne? Oder die Aufnahmen vom California Jam Festival 1974, wo Pianist Keith Emerson mit seinem Flügel über den Köpfen der Zuschauer schwebte? Oder die Aufnahmen, als ELP mit einem 70-köpfigen Sinfonieorchester tourte? Fakt ist, dass das Trio Progrock-Geschichte geschrieben hat. In einer CD-Box (wahlweise auch auf Vinyl) hat das einzige noch lebende Mitglied des legendären Trios, der Schlagzeuger Carl Palmer, die wichtigsten und größten Shows unter dem Titel „Out of this World“ anlässlich des 50-jährigen Bestehens von ELP herausgebracht.

Von Dylan Cem Akalin

Das Genie an den Keyboards Keith Emerson beging im März 2016 Selbstmord, nachdem er schon Jahre zuvor wegen eines Karpeltunnelsyndroms nur noch drei Finger der rechten Hand bewegen konnte – umso erstaunlicher, was der Mann dennoch alles spielte. Seiner Lebensgefährtin zufolge hatten Hohn und Spott in den sozialen Medien wegen seines Spiels am Ende zu tiefen Depressionen geführt. Bassist und Sänger Greg Lake erlag im Dezember desselben Jahres einer Krebserkrankung. Das übrig gebliebene „P“ des Trios, Carl Palmer, tourt seitdem unermüdlich, um das gemeinsame Werk von Emerson, Lake & Palmer weiter live zu präsentieren. „Für mich zeigt es ELP in ihrer besten Zeit, als sie jahrelang auf Tournee waren und Aufnahmen machten. Das Boxset stellt die Lebensader unserer Musik in unserer Zeit dar“, so Palmer.

ELP stellten sich mit einer Explosion aus übersteuertem Bass und kreischender Orgel am 29. August 1970 auf dem Isle of Wight Festival der Öffentlichkeit vor. Eine Woche zuvor hatten sie in Plymouth ihren ersten Live-Auftritt –praktisch zum Aufwärmen für das große Festival vor 600.000 Fans. Es war der Start einer international erfolgreichen Musikkarriere und das erste Tondokument dieser Supergroup aus dem The-Nice-Keyboarder Keith Emerson, Greg Lake, Bassist und Sänger von King Crimson, sowie Carl Palmer, dem Schlagzeuger von The Crazy World of Arthur Brown und Atomic Rooster. Der bekannte und legendäre britische Musik Moderator John Peel Bewertete den Auftritt zwar als eine komplette Verschwendung von Zeit, Talent und Strom“, die Band wurde dennoch frenetisch gefeiert.

ELP sind „Out of this World“

Die Aufnahme erschien erstmals 1997 als CD und da auch eher in einer bescheidenen Tonqualität. Nun ist sie erstmals auch als Vinyl (in einer 10 LP Box) beziehungsweise in einer 7-CD-Box erhältlich zusammen mit anderen wichtigen Shows. Die Aufnahmen aus den Jahren 1970 bis 1997, aufwändig restauriert, bringt Palmer anlässlich des 50-jährigen Bandbestehens unter dem Titel „Out of this World“ raus.

1970 spielte die Band auch erstmals ihre überarbeitete Version von „Pictures at an Exhibition“ von Modest Mussorgsky, die als eigenständige LP ein Jahr später erscheinen und eines der bekanntesten ELP-Veröffentlichungen werden sollte. Die Live-Version klingt roher und experimenteller als die Studiofassung. Das frühe Synthesizer erinnert hier zeitweise an einen Schwarm wild gewordener elektrischer Wespen, dann wieder an schmatzende Comicfiguren, die sich selbständig gemacht haben, aber auch die erhabene Orgel kommt zum Einsatz. Dass da noch nicht alles ganz rund läuft, insbesondere der Gesang manchmal ein wenig daneben liegt, macht die Aufnahme sehr authentisch.

Früherer Keyboarder von The Nice

Keith Emerson hat vor allem Ende der sechziger bis Mitte der siebziger Jahren Rockmusikgeschichte geschrieben. Mit seiner Band The Nice und dem Nachfolge-Trio Emerson, Lake and Palmer gilt der Rock-Keyboarder als Pionier des Progressive Rock. Als junger Organist von The Nice sorgte er für Aufsehen, weil er erstmals psychedelische und rockige Elemente mit Mitteln des Jazz und der Klassik mischte. Zur selben Zeit (1969) setzte die britische Formation King Crimson um Sänger und Bassist Greg Lake mit der Veröffentlichung des Albums „In The Court Of The Crimson King“ ebenfalls einen Meilenstein des Progrock. Lange, virtuose Instrumentalpassagen, rhythmische und harmonische Komplexität sowie der Einsatz von elektronischen Keyboards wie Synthesizern, Mellotron und etlichen Effektgeräten sind typische Merkmale des frühen Progrock.

Mit „Lucky Man“ errang das Trio seinen ersten und einzigen Radiohit. Der Song ging zudem in die Musikgeschichte als erster erfolgreicher Song mit ausgedehntem Moog-Solo ein. In der CD-Sammlung sind viele wunderschöne Versionen des Klassikers zu hören.

California Jam Festival

Einen Riesenschritt hört man dann auf der zweiten Aufnahme. Vier Jahre und fünf Alben später war die Band zu einer einschüchternden Live-Einheit geworden und hatte sich seine kollektive Kraft veredelt. Am 6. April 1974 war das Trio Headliner beim ersten California Jam Festival, auf dem unter anderem Deep Purple, Black Sabbath und die Eagles auftraten. Lake hatte seine gesanglichen Qualitäten deutlich ausgebaut. Die Band traute sich jetzt auch leise Töne anzuschlagen wie etwa bei „Still … You Turn Me On“ oder dem Hit „Lucky man“. Diese Aufnahmen sind unter Fans wegen der hervorragenden solistischen Leistungen der Musiker bekannt, die Show ging aber vor allem deswegen in die Annalen der Gruppe ein, weil Emerson zeitweise auf einem sich drehenden Flügel spielte, dass 150 Meter über der feiernden Menge schwebte.

Die Soundqualität steigert sich dann auf der dritten Aufnahme. Das Konzert im kanadischen Montreal von 1977 erscheint als Doppel-CD. Die Tour erfolgte nach einer dreijährigen Pause des Trios, in der jeder seinen Soloprojekten nachging. Doch die Band nahm sich auf dieser Tour sowohl künstlerisch als auch logistisch eine ganze Menge vor. Das Trio zog mit einem ganzen Sinfonieorchester durch die USA und Kanada – und erlebte ein finanzielles Desaster.

1977 in Montreal

Die Setlist wird bestimmt sowohl von den Solobemühungen der einzelnen Musiker als auch von dem kollaborativen Geist der Band. Ganz stark: „The Enemy God Dances With The Black Spirits“. Erhaben und eindringlich: „Fanfare For The Common Man“. Einfach hörenswert, wie das Trio Elemente von Bach und Leoš Janáček in das bluesige „Knife Edge“ einbaut.

Und was die Musiker aus mit der Musik von Henry Mancini aus der US-Erfolgsserie „Peter Gunn“ aus den Jahren 1958 bis 1961 machen, ist ein vollkommenes Hörerlebnis. Es sind auch die Balladen von Greg Lake wie zum Beispiel „C’est la vie“, „Watching over you“ und „Closer to Believing“ auf der Setlist, die sich als schöne, ruhige Ankerpunkte in zum Teil zügellosen Klaviereskapaden von Keith Emerson erweisen.

„Black Moon“

In den 80er Jahren arbeiteten die Mitglieder von Emerson, Lake & Palmer mit unterschiedlichem Erfolg – einzeln, wobei Carl Palmer zu den Stadiongiganten Asia und Emerson für Dario Argento als Drehbuchautor wechselte. Sie arbeiteten von Zeit zu Zeit zu Zweit in Bands wie Emerson, Lake & Powell und Three (E und P) und sogar in einem kurzen Line-Up von Asia mit Lake und Palmer zusammen – also in jeder möglichen Kombination. 1991 hatte sich das ursprüngliche Trio für „Black Moon“ wiedervereinigt und begann ihre erste UK-Tour seit den frühen 70er Jahren. Köstlich eingeführt von ihrem legendären Champion Alan „Fluff“ Freeman, wird auf CD 4 ihr triumphales Konzert in der Royal Albert Hall live auf Radio 1 übertragen.

Reifer ist die Musik geworden, manches Mal etwas rauer, Palmers jazzige Schnörkel fallen auf, und Emersons virtuose Technik, die mittlerweile wegen eines Karpeltunnelsyndroms beeinträchtigt ist, macht die Komplexität seines Spiels noch bemerkenswerter.

Der Opener „Karn Evil 9“ mit „1st Impression Part 2“ eröffnet das Konzert in der Londoner Royal Albert Hall von 1992, und der Sound ist eine einzige Expertise für den Veranstaltungsort. Die älteren Tracks sind auf kleine Ausführungen reduziert, die neueren, „kommerzielleren“ Songs stehen im Mittelpunkt – so wie „Paper Blood“, „Black Moon“ das „Romeo und Julia“-Thema von Prokofjew. Abgesehen von den letzten beiden Songs „Pirates“ und „Fanfare For The Common Man / America / Rondo“ sind alle anderen Stücke unter fünf Minuten lang.

1997 in der Union Hall in Phoenix

Das bislang noch nie veröffentlichte Konzert in der Union Hall in Phoenix aus dem Jahr 1997 beginnt ebenfalls mit „Karn Evil 9“, aber etwas zurückgenommener als auf anderen Aufnahmen. Überhaupt sind die Versionen und der Gesamteindruck der letzten Doppel-CD etwasdünn. Auch die Stimme von Greg Lake scheint abgenutzt. Songs wie „From The Beginning“ und „Lucky Man“ fehlt eine gewisse Wärme. „Bitches Crystal“, „Creole Dance“ und „Honky Tonk Train Blues“ rasseln ineinander und demonstrieren indes erneut die Keyboard-Virtuosität von Emerson, die von Lake und Palmer gut unterstützt wird. Das gilt auch für „Tarkus“ auf der zweiten CD. Greg Lakes Gesang fehlt auch im zweiten Teil dieser präsente Ton.

Emerson Lake & Palmer gehören zu den klassischen Progrock-Bands, die die live eine gewisse Maßlosigkeit an den Tag legten, und so manches Pianosolo hätte gerne etwas kürzer ausfallen dürfen. Die harten Fans fanden’s wunderbar. Vieles von dem jetzt veröffentlichten Material wurde bereits früher offiziell veröffentlicht, einige in einem anderen Format, und vieles ist schon lange vergriffen. Die Box ist erstklassig gestaltet. Ein hübsches Booklet mit tollen Fotos gibt es noch dazu. Sie ist auf jeden Fall ihr Geld wert, und Fans dürfen da ein paar Stunden in Erinnerungen schwelgen. Enttäuschend ist allenfalls, dass nicht mehr bisher unveröffentlichte Aufnahmen dabei sind.

Diese ELP-Konzerte sind in der Box

1. Isle Of Wight Festival, Newport, England 29. August 1970

2. California Jam, Kalifornien, USA 1974

3. Works Live Montreal, Montreal, Kanada 1977

4. Royal Albert Hall, London, England, Oktober 1992

5. Union Hall, Phoenix, Arizona, USA, September 1997