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Mit Theatralik, emotionaler Nacktheit und verstörenden Klangwelten erschaffen Jamie Stewart, Angela Seo und David Kendrick als Xiu Xiu im Gebäude 9 in Köln ein Konzert, das zwischen künstlerischer Performance und brachialen Noise-Attacken oszilliert. Eine Reise durch Albträume, Sehnsucht und Chaos, die fesselt und verstört – begleitet von Kee Avils hypnotisch-düsterer Avantgarde.
Von Dylan C. Akalin
Die Trommeln füllen den ganzen Saal mit der massiven Wucht einer Lawine unterstützt von elektronischen Rhythmen, als sich Jamie Stewart ein aus roten Bommeln besetztes Percussionsteil schnappt, ihn sich wie einen Hahnenkamm auf den Kopf hält und über die Bühne stampft. Mit übertriebener Gestik marschiert er hin und her und brüllt den Text von „It Comes Out as a Joke“ (aus dem Album „Girl With Basket of Fruit“, 2019). Ein ironisch betitelter Song, der textlich um das Missverständnis zwischen Ernst und Sarkasmus kreist. Hinter der scheinbar humorvollen Fassade verbirgt sich eine Erzählung über Entfremdung und die Unfähigkeit, wahre Gefühle zu kommunizieren. Die Mischung aus pulsierendem Rhythmus und verstörenden elektronischen Verzerrungen und die grotesken Bewegungen des Masterminds von Xiu Xiu vermitteln das Gefühl von Ambivalenz perfekt. Es ist erst der vierte Song des experimentellen Trios, doch Stewart ist schon klatschnass geschwitzt.
„13 Frank Beltrame Italian Stiletto with Bison Horn Grips“
Die US-amerikanische Band Xiu Xiu präsentierte im Kölner Gebäude 9 eine tolle Gesamtschau ihrer Werke, wobei das aktuelle Album „13 Frank Beltrame Italian Stiletto with Bison Horn Grips“ im Mittelpunkt stand. Die experimentelle Indie-Rock-Formation aus San José, Kalifornien, ist seit über zwei Jahrzehnten für ihre radikalen Klangexperimente und emotional aufgeladenen Performances bekannt und sie bewegt sich auch heute wieder an der Grenze zwischen Kunstinstallation und musikalischer Performance, die aber durchaus Raum für rockige Ausbrüche und tanzbare Momente lässt. Wenn es etwas an dem Gig zu bemängeln gibt, dann, dass die Pausen zwischen den einzelnen Stücken einfach zu lang sind und die Zuschauer immer wieder rausreißen aus dem Fluss des Erlebnisses.
Das Gebäude 9 mit seiner Fabrikatmosphäre ist als Bühne für alternative und avantgardistische Musik und den intensiven und vielschichtigen Sound der Band einfach ideal.
Mischung aus Post-Punk, Noise und experimentellen Klängen
Schon der Titel des aktuellen Albums, eine Referenz zu einem luxuriösen italienischen Stilettomesser, verweist auf das Spannungsverhältnis zwischen Schönheit und Gefahr, zwischen Eleganz und Gewalt. Und dieses Konzept zieht sich sowohl durch das Album als auch durch die Live-Performance. Die Mischung aus Post-Punk, Noise, experimentellen Klängen und kunstvollen Arrangements wirkt dabei wie der Soundtrack zu einem bizarren, surrealen Film. Die Songs behandeln oft verstörende Themen wie Traumata, Identität, Gewalt und Sehnsucht.
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„The Silver Platter“ ist eine hypnotische Kombination aus dissonanten Synth-Linien und Jamie Stewarts fast geisterhaftem Flüstergesang, der immer wieder Ausbrüche zulässt. Er erinnert mich an eine Mischung aus David Byrne und David Bowie. Der Song thematisiert Machtverhältnisse und Unterwerfung, möglicherweise im Kontext emotionaler Manipulation. Die Metapher der „silbernen Platte“ verweist auf den Widerspruch zwischen dem Anschein von Luxus und der zugrunde liegenden Gewalt. Live wirkte das Stück noch stärker wie ein emotionaler Drahtseilakt zwischen Verzweiflung und stiller Rebellion.
Über Jamie Stewarts Gesang
Jamie Stewarts Gesang ist ein prägendes Element von Xiu Xius musikalischer Identität. Seine Stimme bewegt sich in einem Spektrum, das von fragilen, geflüsterten Passagen bis zu intensiven, fast schmerzhaften Schreien reicht. Dieser expressive Stil macht seinen Gesang zu einer Performance an sich – roh, ehrlich und bisweilen tatsächlich schwer zu ertragen, aber genau deshalb so fesselnd.
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Es gibt diese zerbrechlichen Momente, an denen er an Antony Hegarty von Antony and the Johnsons erinnert, wobei Jamie aber stärker als Hegarty zu Chaos und Kontrollverlust neigt. Und diese Wechsel zwischen flüsterndem Gesang und dramatischem Ausbruch sind wirklich sehr Bowie. Dann wieder höre ich Scott Walker heraus, vor allem in diesen klaustrophobischen und bedrückenden Klanglandschaften, wenn die die Stimme als Medium für Angst, Isolation und kathartische Momente einzusetzen. So wie bei „Sleep Blvd.“, diese so sanft beginnende, melancholische, fast balladenhafte Nummer mit zurückhaltenden elektronischen Elementen, der aber von heftigen Riffs begleitet wird. Der Titel suggeriert eine Straße des Schlafs, was sich im Text als Metapher für Apathie und das Bedürfnis nach Eskapismus entpuppt. Die wiederkehrenden Phrasen im Refrain verstärken das Gefühl des Gefangenseins in einem Kreislauf aus Monotonie und Angst. Live steigerte sich der Song gegen Ende zu einem explosiven Ausbruch von Noise-Elementen. Echt wahnsinn!
Wie ein Polka auf Speed
Was Stewarts Gesang und seine Performance so besonders macht, ist seine emotionale Nacktheit auf der Bühne. Der Mann scheint nichts zurückzuhalten. Seine Stimme transportiert Schmerz, Trauer und Sehnsucht ohne Filter. Xiu Xiu sind ein Konzept, das Kontraste von fast kindlich-unsicheren Flüstertönen zu verzerrtem, lauten Schreien als Momente der Unberechenbarkeit nutzt. Hinzu kommen diese theatralischen Elemente einer verstörenden Performance.
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„Blacks“ gehört zu den aggressivsten und zugleich vielschichtigsten des aktuellen Albums. Thematisch wird Rassismus und die Gewalt der kulturellen Identitätszuweisung behandelt. Die Lyrics bleiben indes fragmentarisch. Jamie Stewart schreit Teile des Textes in Punk-Manier, am Ende entwickelt sich der Song zu einem Polka auf Speed.
Verstörend und faszinierend
Xiu Xiu sind bekannt dafür, Themen wie Trauma, Marginalisierung und persönliche wie gesellschaftliche Abgründe auf poetisch-dystopische Weise zu verarbeiten. Jamie Stewarts Texte oszillieren zwischen brutalem Realismus und surrealen Bildern, wobei häufig Gewalt, sowohl psychisch als auch physisch, als Leitmotiv auftaucht. Hinter der oft provokanten Lyrik steckt jedoch auch eine Sehnsucht nach Schönheit und Heilung, so wie vielleicht bei „Sad Pony Guerrilla Girl“.
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in Köln zeigt Xiu Xiu einmal mehr, dass sie nicht nur Musik machen, sondern eine Kunstform erschaffen, die zugleich verstört und fasziniert. Was für ein Konzert von Stewart, Keyboarderin und Perkussionistin Angela Seo und dem fantastischen Drummer David Kendrick. Das Konzert ist ein fesselndes Erlebnis, auch eine Art Wechselbad der Gefühle zwischen den aggressiven Noise-Attacken, den elektronische Sequenzen von fast chirurgischer Präzision, zwischen Emotionalität und Technizität. Gelegentlich kommt mir der Gedanke, ob uns Xiu Xiu nicht den Spiegel vorhalten, dass wir uns mitten in einem Albtraum befinden. Erklärungen und Ansagen bleiben on der Bühne indes aus. Das Publikum soll sich seine eigenen Gedanken machen – so wie es sich bei verwirrenden Kunstprojekten gehört.
Support: Kee Avil – Avantgarde zwischen Elektro und Experiment
Sehr gut passte Kee Avil als Support von Xiu Xiu, die eine gute Dreiviertelstunde spielte. Es ist das Solo-Projekt der in Montreal lebenden Musikerin und Produzentin Vicky Mettler. Ihre Musik bewegt sich an den Schnittstellen von experimentellem Pop, elektronischer Avantgarde und klanglicher Performance-Kunst. Mit düsteren Texturen, unkonventionellen Songstrukturen und einer oft verstörenden Intimität schafft Kee Avil ein Klangbild, das gleichzeitig hypnotisch und verstörend wirkt. Sie begleitete sich auf der Gitarre und hatte noch einen Drummer/Percussionisten dabei, die fantastischen Rhythmen, aber auch Sounds beisteuerte.
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Ihr Debütalbum „Crease“ (2022) erregte internationale Aufmerksamkeit und wurde von Kritikern für seine klangliche Innovation und subtile Intensität gelobt. Die Kombination aus verzerrten Gitarren, fragmentierten Beats und flüsternden Vocals erschafft eine verstörend schöne Atmosphäre, die an Künstler wie Arca oder Scott Walker erinnert.
Die Musik ist wirklich sehr intensiv, auch die Art wie sie sie präsentiert und immerwieder nah an die Bühne und an ihr entlanggeht und die Zuschauer fest im Blick zu haben scheint. Man muss sich schon auf die komplexen klanglichen Erlebnisse einlassen, was das Kölner Publikum jedenfalls tut und sie stark feiert. Sie präsentierte selbstbewusst ihre kompromisslose künstlerische Vision, die wir gerne noch einmal erleben möchten.
Weitere Fotos von Xiu Xiu und Kee Avil in Köln
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