Dream Theater
Distance Over Time
Erscheinungsdatum: 22. Februar 2019
Label: Inside Outmusic (Sony Music)
„Distance Over Time“ zeigt Dream Theater in Topform. Auch wenn die Prog-Metal-Band nicht wirklich etwas Innovatives bieten, so ist das neue Album doch absolut genial – mit etlichen Höhepunkten, die das Herz jedes Progrock/Metal/Rock-Fans höher schlagen lassen.
Von Dylan Cem Akalin
Endlich wieder ein neues Dream Theater-Album! Die amerikanische Progressive Metal-Band gehört zu den wenigen, deren Neuerscheinung ich wirklich immer mit allergrößter Spannung entgegensehe. Ich würde mich zwar nicht als Hardcore-DT-Hipster bezeichnen, aber ich liebe die Band seit ihren Anfangsjahren. Und ich gehöre auch nicht zu jenen, die nach dem Verlust von Keyboarder Kevin Moore oder Derek Sherinian vom Ende der Band gesprochen haben. Ein echter Schock war für mich indes schon, als Drummer Mike Portnoy der Band den Rücken kehrte. Ich dachte, er würde nicht nur als Drum-Maschine, sondern auch als Produzent und Songwriter ein riesiges Loch hinterlassen. Und zunächst hatte ich auch den Eindruck, dass dem so sei – bis ich Mike Mangini (und die Band) das erste Mal live sah. Ein Hammerdrummer! Und die Musiker schienen auf gewisse Weise aufzuleben.
Dennoch: Die Band hatte es die letzten Jahre nicht leicht. Vor allem das Doppel-Konzeptalbum „The Astonishing“ (2016) war doch äußerst umstritten. Auch wenn ich finde, dass das Album auch seine Höhepunkte hat. Aber unter den Fans wurde es äußerst gespalten aufgenommen. Keine Ahnung, ob das der Grund war, dass DT dann mit altem Programm auf Tour ging!
„Distance Over Time“
Dennoch: Ich finde, auch Mut gehört honoriert. Ich finde es bemerkenswert, dass die Band sich auch mal von den ausgetretenen Pfaden abwendet. Das neue Album ist vielleicht als Geschenk an die Fans zu sehen, es ist in gewisser Hinsicht ein „Back to Basics“: Das fünfzehnte Studio trägt den vielsagenden Titel „Distance Over Time“… angeblich ein Hinweis auf den Fortschritt und die Langlebigkeit der Band.
Das Album ist eine einzige Referenz an sie eigenen Wurzeln, wobei die Band ihre einzigartige Fähigkeit beweist, einprägsame Melodien zu schreiben, die mit einzigartigen Songstrukturen und erstaunlicher Virtuosität unterlegt. Dream Theater steht für meisterhafte, brillante Instrumentenbeherrschung, für emotionale Melodien, hymnische Momente, ausgefallene Songstrukturen und die Verknüpfung von harten Metal-Riffs, träumerischen Pianosounds, akrobatischen Keyboard/Gitarrenläufen, beachtlichem Sound und dazu die nicht zu schlagenden Vocals von James LaBrie. Das alles hält die Band auch diesmal wieder hervorragend ein.
Wer die Truppe mal live gesehen hat, glaubt ihnen sofort, dass es um die Chemie unter den Musikern geht, die diese Musik erst möglich macht. „Die Bindungen unterschiedlicher Elemente führen zu Reibung, Energie und schüren letztendlich die Schöpfung. Es passiert während des ganzen Daseins – besonders in der Musik. Die Musik von Dream Theater beruht auf dem Zusammenspiel und der Brüderlichkeit der Musiker ebenso wie auf der Harmonie der Instrumente“, sagen sie.
Wenn die Gänsehaut auf der Haut gefriert
Ich habe große Freude daran, wie etwa Jordan Rudess, mit Fantasie und Virtuosität in den melodischen Gesang von LaBrie einsetzt, John Petrucci mit halsbrecherischen Läufen die Keyboards kreuzt und dann hymnisch wie ein Streichquartett eine Melodie aus den verqueren Harmonien schält, während John Myung mit Mangini die Solisten vor sich hertreibt. „S2N“? Wie kann man nur solch einen Sound haben?! Ein Stück, das so abgeht, dass einem die Gänsehaut auf der Haut gefriert.
„Untethered Angel“
Der Opener „Untethered Angel“ ist schon DT pur. Strukturell und atmosphärisch könnte der Song auch auf „Train of Thought“ oder „Systematic Chaos“ erschienen sein. „Paralyzed“ kommt mit einem einfachen, anschaulichen Riff, als Drums, Keys und Bass und die Vocals einsetzen, beginnt der Song an zu einer erkennbaren Form zu schmelzen – auch dank der schönen Akkordarbeit von Petrucci. Und LaBries Vocals hat immer noch die Kraft und den Umfang, wie in den 90ern, vielleicht singt ber heute sogar geschmeidiger und mit mehr Abwechslung.
„Fall Into The Light“
„Fall Into The Light“ startet mit einer aggressiven Metal-Gitarre , die ein wenig an Iron Maiden erinnert. Später erweckt Patrucci an seiner Gitarre wunderschöne melodische Leads zum Leben, die was von Metallicas „Orion“ haben, bevor Maginis Snare zu Jordan Rudess“ verrückten Keyboards überleitet. „Barstool Warrior“ hat was von der Stimmung von „Metropolis Pt. 2: Scenes from a Memory“ (1999), inklusiver schöner Pianoarbeit und vielleicht eines der besten Petrucci-Solos auf dem Album. Sagenhaft, wie dieser Kerl die Schwingen öffnet und davonsegelt!
„Room 137“
„Room 137“ beginnt dafür wieder wuchtiger: hat was von „Awake“ (1994), aber mit herausfordernden Vocals, die etwas von einem Albtraum-Soundtrack haben, vor allem im Vocoderteil entfernt an „Strawberry Fields“ von den Beatles erinnert. Cool ist wieder mal die Gitarre von Petrucci, mit Ausflügen ins Psychedelic beeinflusste Blues-Rock-Genre. Es ist übrigens der erste Song, zu dem Mangini die Lyrics schrieb.
Und dann also „S2N“, das mit einem elektrifizierenden Bass-Intro startet. Das Stück lebt vom wilden instrumentalen Zusammenspiel zwischen Petrucci, Rudess, Myung und Mangini. Man kann sich dieses Stück als Highlight bei einem Konzert vorstellen. Eine Herausforderung an alle Beteiligten. Dann dieses verwirrend, stets präsente Schlagzeug, das alle wie ein Tornado vor sich herzutreiben scheint. Ein Hummelflug mitten durch einen gnadenlosen Hurricane! Der Höhepunkt sind die Soli im Mittelteil, während Manginis Drums wie auf einem Voodoo-Tanz ausflippen. Dann die Breaks mit dem kurzen „Wow!“ in der Pause…
„At Wit´s End“
„At Wit´s End“ ist sowas wie die Essenz von DT, von der atemberaubenden Piano-Akkord-Ballade bis hin zu technischen Attacken. In dem Epos geht es über die Missbrauchsgeschichte einer Frau und einen Mann, der ihr beisteht, um mit ihr alles durchzustehen und ihr Trauma der Vergangenheit zu überwinden. Ein paar Minuten vor dem Ende scheint der Song durch Ausblenden zu enden, aber dann kommt dich eine geisterhafte Version des Outro wieder in den Fokus, bevor sie dann gänzlich verschwindet. „Wenn Frauen verletzt worden sind, leiden sie unter PTBS“, sagt der Sänger. „Sie können sich nie wirklich als die gleichen Menschen sehen, die sie einst waren – denn sie sind es in jeder Hinsicht nicht. Und solche Erfahrungen schaffen eine Menge Spaltung in Beziehungen. Es kann für Paare unmöglich sein, sie zu überwinden. In vielen Fällen schaffen sie es nicht, und sie brechen auseinander. In dem Lied ist die Frau am Ende ihres Verstandes, und der Mann versichert ihr, dass sie es durchstehen können. „
„Out Of Reach“ ist wieder so eine Ballade, die James LaBrie wie auf den Leib geschrieben ist. Das epische „Pale Blue Dot“ ist inspiriert von den Reflexionen des amerikanischen Astronomen Carl Sagans über die flüchtige Natur der Menschheit und unsere Verantwortung für den Planeten.
Der fast zehnminütige Song beginnt mit einem Funkgeräusch und Sounds wie von der Sauerstoffflasche, was Assoziationen an ein Raumschiff wecken soll, von dem aus man auf die Erde schaut. Aber es dauert nicht lang, und DT ziehen alle Register, um eine instrumentale Salve nach der anderen abzufeuern.
Als Bonus-Track gibt es noch „Viper King“, so eine Art Fortführung von „A Change of Seasons“, das auch wie eine Hommage an Deep Purple wirkt: energiereiche Metal-Grooves mit bösen Hammond B3-Ausbrüchen. Ein großer Spaß als Zusatzbonbon.
Zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten lebten, schrieben und nahmen die Bandkollegen zusammen in den abgelegenen, fünf Hektar großen Yonderbarn-Studios in Monticello, New York, über einen Zeitraum von vier Monaten zusammen. Sie zogen alle in das Landhaus des Anwesens, in dem sie Erinnerungen austauschten, grillten und ihre lebenslange Freundschaften stärkten. Die Musik fand den ganzen Sommer über organisch und spontan in der wunderschön umgebauten Scheune statt.
Natürlich haben wir viele Platten zusammen gemacht, aber normalerweise ziehen wir in ein Studio, um die Platte zu produzieren, und während dieser Zeit pendelt jeder entweder oder bleibt in einem Hotel“, sagt Petrucci. „Dieses Mal haben wir die Dinge anders angegangen; In Yonderbarn gab es keine Ablenkungen. Daher konnten wir uns auf das kreative Arbeiten konzentrieren und verbrachten zwölf bis vierzehn Stunden am Tag mit Arbeit, während wir zwischen den Schreibsitzungen auch Spaß hatten. Wir haben abwechselnd gekocht, wie Brüder in einem Feuerhaus, und da es Sommer war, war das Wetter in New York herrlich.“
„Es war, als würde man ins Sommerlager zurückkehren“, sagt LaBrie. „Die ganze Zeit zusammen zu sein, war eine tiefgreifende Erfahrung. Ich denke, die Songs spiegeln die Energie wider. Es hat großen Spaß gemacht.“ Das hört man!