WellBad eröffnen den zweiten Abend des Crossroads Festivals in der Harmonie Bonn – nach Hodja und The Godfathers am Vorabend.
Von Dylan Cem Akalin
Das Ganze hat was von Theater: Ein Trommelwirbel wie wir ihn eigentlich zum Ende einer Show hören würden, dann ein aufgeregter Showmaster, der auf die Bühne eilt: „Guten Abend, machen Sie sich keine Sorgen. Es wird nicht so heiß gegessen wie es gekocht wird. ALLES WIRD GUT.“ Passt zur Ansage von WDR-Moderator Rembert Stiewe, das Robert Koch Institut und das örtliche Ordnungsamt hätten den Veranstalter angewiesen, Listen auszulegen, in die sich die rund 270 Besucher eintragen sollen. Coronavirus. Die Listen werden vier Wochen aufgehoben, anhand der Liste soll im Fall eines Falles rückverfolgt werden, wer mit wem in Kontakt getreten ist.
Dann geht es los mit „Young“, der klingt, als würde Tom Waits einen Song von Soft Cell singen. Also ein eingängiger Electro-Rhythmus und Grundriff und dazu der raue Gesang von Daniel Welbat. „Robbery“ kommt auch eher musicalmäßig rüber.
Mit „Tempted“ geht es dann endlich stärker in die Blues- und Rockrichtung. Heiß, wild, John Lee Hooker im Kopf. Jetzt wird auch klar, warum die Band mal einen Bluespreis gewonnen hat. Sehr theatralisch wie ein Conferencier in einer Hamburger Boxbude stellt Daniel Welbat die Band vor: Stefan Reich (Bass), Arne Vogeler (Gitarre), Joachim Refardt (Keyboards, Trompete), Jonas vom Orde (Schlagzeug), Volker Bruder (Trompete), Oli Poppe (Saxofon) und Matthias Schinkopf (Saxofon, Flöte).
Die Geschichte eines Gesetzlosen
“The soundtrack to a movie that’s never been shot” tituliert Daniel Welbat sein aktuelles Album. Das Drehbuch sei einer wahren Geschichte entnommen: Wellbad erzählen die Geschichte von E.L. Kruger, ein Gesetzesloser, dessen Abgründe des Seins thematisiert werden. 1967: Der Autor und B-Movie-Produzent E.L. Kruger beschließt, einen Überfall zu begehen, um sein Projekt ´Heartbea(s)t´ zu finanzieren. Der Überfall wird zu einem Disaster, der Film nie gedreht. Aus diesem Album entnommen ist etwa das Stück „Bad Day For The Blues“, ein Stück mit viel Feinarbeit, einem dezenten Hornarrangement und einem bluesigen Piano. Den Stil übernimmt „Happy Worst Day“, welbats Stimme klingt hier ganz ganz stark an Tom Waits, tief, sehr tief und rau. Dreckiger Gesang zu einer gedämpften Trompete. Ganz schön geil! Vor allem als es zum Ende ein richtig gutes Bläserarrangement gibt.
„Elephant Man“ ist die Geschichte von John Merrick, ein im Viktorianischen Zeitalter Englands unter schrecklichen Deformationen leidet. Krugers Mutter erzählt dem Kleinen die grausame Geschichte zum Einschlafen und Wellbat präsentiert sie mit einem Downtempo-Groove und dezent eingesetzten Bläsern. „Limited Tears“ geht es wilder zu, auf „Mountain“ beweist Wellbat seine Balladenqualitäten und widmet den Song seiner Großmutter. Höhepunkt des Songs ist das Gitarrensolo von Arne Vogeler, der zunächst beginnt als wäre es ein Soundtrack zu einem Quentin Tarantino Film und sich dann in eine Bluesnummer entwickelt. Die Nummer steigert die Dynamik, die der exzellente ausgelassene Gesang vortrefflich aufgreift. Schöne Nummer!
Aufbrausender Blues
„Brand New Yesterday“ startet mit einer schrägen Akkordfolge, der Gesang eine Mischung aus schnellen Sprechgesangparts und aufbrausendem Blues. Das Stück geht insgesamt stärker in die Jazzrichtung – und begeistert. „Weak God“: Daniel Welbat klagt, grunzt, brüllt, hustet, ziepst, prustet und grölt. So schwarz kann Blues sein. Der Mann hat eine sagenhafte Energie. „The Void“ beginnt mit Cong-Rhythmen und wird mit wunderschön klarer Querflöte begleitet. Mann, hat der Kerl ein Organ! Ich gebe zu. Zu Anfang war ich skeptisch. Doch die Band hat mich längst in ihren Fängen. Die Gitarre säuselt wie Kaa, und dann kommt ein Break. „Wer fürchtet sich? Hände“, ruft der Mann mit dem Hut. Und er meint nicht das Händewaschen, sondern fordert das Publikum auf, zum Voodoo-Part zu klatschen. Das Stück klingt tatsächlich wie der Soundtrack zu einem Albtraum – von E.L. Kruger.
Von wegen „I Don’t Believe in Jazz“. „Jackleen“ hat ‚ne Menge Jazz in seinem heißen Gebräu. Und tanzen lässt sich dazu auch vortrefflich, auch wenn das Keyboards einen beduselten Zwischenpart spielt. Wenn dieser Bartträger von „Coalmine“ und Johnny dem Zuhälter singt, dann klingt die Stimme nicht nach jungen 31 Jahren, sondern nach einem, der mehr als ein Leben gelebt hat. Wie macht der das nur? Jedenfalls peitscht er die Band immer weiter an. Drummer und Gitarrist liefern sich mit fiebriger Unterstützung der Orgel ein irres Gefecht. Das Publikum rastet da zu recht aus und klatscht. Geht niemals zurück in die Kohlenminen. Er schreit, flüstert, predigt – und braucht dann einen ordentlichen Schluck aus der Pulle.
Wenn die Vögel vom Himmel fallen
Wenn er von den Vöglein erzählt, die zwitschern, fürchtet man indes, dass diese vom Himmel fallen. Dennoch startet „Heal A Wound“ mit zarten Pianoklängen. Und wieder tritt Tom Waits im Geiste auf. Die Szene: E.L. atmet schwer, er blutet und liegt auf dem OP-Tisch, neben ihm zwei tote Katzen. Und seine Rosaly beginnt mit dem Eingriff, singt dabei dieses verbitterte Lied. Wellbat gibt alles, er kreischt, kriecht in den Song und lässt alle Emotionen aus der Brust.
Rollende Klavierakkorde eröffnen mit „One Kiss“ das letzte Stück, das nochmal richtig in die Beine schießt, so viel Groove ist da drin. Die Leute wollen natürlich mehr. Und kriegen mit „Skeleton“ einen Song vom aktuellen Album als Zugabe. Keine Ahnung, ob er mit dem Song „The Skeleton Dance“, einen alten Disney-Trickfilm aus dem Jahr 1928 skizziert. Nicht der stärkste Song des Abends. Dennoch insgesamt ein starker Abend.