Wir wollen Euch jeden Tag ein Adventstürchen öffnen, mit der Hoffnung, Euch die eine oder andere Eingebung zu geben, was ihr verschenken oder was ihr Euch selbst zum Geschenk machen könnt. Unter unseren Empfehlungen sind brandneue Veröffentlichungen, aber auch einige, die etwas zurückliegen, aber es wert sind, nochmal ins Gedächtnis geholt zu werden. Wir geben Tipps für Konzerte, Bücher, Platten – alles rund um Musik. Hinter unserem 14. Adventstürchen steckt:
Springsteen on Broadway
ab 16.12 auf Netflix
ab 14.12. als 4-fach LP und Doppel-CD
Von Dylan Cem Akalin
Die Stimme. Dieser leicht angeraute, intensive Gesang. „On Broadway“ ist Bruce Springsteen pur. Ein durchdringendes Ereignis. Man wird fast ein wenig neidisch, dass man den Boss selbst nicht auch mal in einer solch intimen Clubatmosphäre hat erleben dürfen. Der Mann, der sonst in Stadions vor vielen zehntausend Menschen spielt, trat 14 Monate lang an fünf Abenden pro Woche in einem kleinen Musikclub auf. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht fünf Tage die Woche gearbeitet“, witzelt er im Film. Der Live-Mitschnitt „Springsteen On Broadway“ ist nun auf Vinyl und CD sowie als Film auf Netflix zusehen. Und es ist fantastisch, wie ausgelassen, voller nachdrücklicher Lebensfreude Bruce Springsteen da ist. „Springsteen on Broadway“ ist nicht nur für Fans ein Muss.
236 Auftritte im „Walter Kerr Theatre“ in New York
Das Schöne ist, dass es nicht einfach eine Aneinanderreihung seiner schönsten Songs als unplugged-Versionen sind, sondern sie sind eingebettet in Geschichten aus seinem Leben. Wer seine Autobiografie gelesen hat, wird vieles wiederentdecken, wer das von ihm selbst gelesene Audible-Hörbuch gehört hat, wird sich fühlen, alshätte ihm Springsteen noch eine persönliche Show geschenkt.
236 Auftritte hat er im „Walter Kerr Theatre“ in New York absolviert. Die Alben enthalten die kompletten Audio-Aufnahmen des am 16. Dezember 2018 auf Netflix anlaufenden Mitschnitts. „Springsteen On Broadway“ wird als vier LPs, zwei CDs und Download erhältlich sein sowie auf allen Streaming-Plattformen zur Verfügung stehen.
„Born To Run“
Basierend auf seiner Autobiografie „Born To Run“ ist der Broadway-Auftritt ein einzigartiger Abend mit Bruce, seiner Gitarre, einem Klavier und seinen ganz persönlichen Geschichten. Die Audioaufnahmen wurden von Bob Clearmountain gemischt und von Bob Ludwig gemastert. Die Regie bei „Springsteen on Broadway“ führte Emmy-Preisträger Thom Zimny („Bruce Springsteen und die E-Street-Band: Live in New York City“, 2001).
„Wir freuen uns sehr, Bruce Springsteen – einen herausragenden Geschichtenerzähler, menschlich und die Stimme des einfachen Mannes – bei Netflix für diese historische Dokumentation gewonnen zu haben. Diese bahnbrechende Erfahrung überschreitet die Grenzen von Theater, Konzerten und Film und gibt unserem globalen Publikum einen intimen Blick auf eine der größten kulturellen Ikonen unserer Zeit.“
Anderes Gefühl der Performance
Die Idee zu den Clubkonzerten sei ihm gekommen, nachdem er im Weißen Haus eine Abschiedsshow für die Mitarbeiter von Barack und Michelle Obama gegeben habe, erzählt der Boss. Kurz zuvor war seine Autobiographie „Born to Run“ erschienen. Springsteen habe diese Leidenschaft für die Musik, die auch in seinem Buch so einen Schwerpunkt einnimmt, in einem Film auf besondere Weise festhalten wollen, erzählte Thom Zimny: „Und ich wollte Bruce‘ Augen auf eine Art und Weise einfangen, die man sonst nicht im Theater bekommt“, sagte er. „Es ist ein anderes Gefühl der Intimität, ein anderes Gefühl der Performance.“
Jon Landau, Manager von Springsteen: „Wir wollten diese unglaubliche Intimität von Bruce einfangen — unverfälscht und vollständig.“ Das ist ihnen auf jeden Fall gelungen. Da sind Momente, die so subtil sind, dass man sie wohl selbst als Live-Zuschauer verpassen könnte. Dieser Ausdruck auf Springsteens Gesicht, in seiner Stimme, als er Klavier spielt, beim liebevollen Gedenken, und von seinem verstorbenen Bandmitglied Clarence Clemons erzählt („The biggest Sound I Heard in My Life“). Wenn er von seinem Vater („my Hero“) erzählt, von seiner Mutter, diese winzigen Pausen, der Ausdruck in dem glattrasierten Gesicht des 69-Jährigen, die hingebungsvollen Gesänge, die persönlichen Erzählungen – das alles macht „On Broadway“ einzigartig.
Ticketpreise zu 500 Dollar
Die Premiere war am 3. Oktober 2017. Eigentlich wollte er die Show nur acht Wochen lang machen, doch sie musste dreimal verlängert werden und endete schließlich am 15. Dezember. Jeden Abend durften 939 Fans dieses besondere Konzert erleben – bei einem Ticketpreis von durchschnittlich 500 Dollar. Springsteen brachte die Broadway-Show am Ende 113 Millionen Dollar – nachdem er im Jahr zuvor schon mit seiner Band bei seiner Welttournee 268 Millionen Dollar einspielte.
Die Alben sind das eine, der Film das andere. Denn die Kamera ist praktisch die ganzen drei Stunden voll auf sein Gesicht gerichtet. Glücklicherweise hat Springsteen ein Gesicht, das man mögen kann. Und wenn man erst mal die ersten Gefühle von fast klaustrophobischer Nähe überwunden hat, kann man diese Monologe und Lieder voll genießen.
„True rock’n’roll will never die“
Beeindruckend ist eben diese Verbindungen zwischen seinen Geschichten aus dem wirklichen Leben und den 16 Hits. Der deprimierte, seinen Kummer mit Bier ertrinkende Vater inspirierte ihn zu „My Father´s House“, von der rund um die Uhr lebende Mutter hat er seine überschäumende Seite, wie er in „The Wish“ beschreibt.
Und wenn er von der Entschuldigung seines Vaters erzählt oder vom Besuch seiner Mutter, die an Alzheimer leidet, oder erzählt, wie er nach Hause kommt und entdeckt, dass der hoch aufragende Baum, in dem er einen Großteil seiner Kinderjahre verbracht hatte, gefällt wurde, dann kommen einem die Tränen. So wie auch bei seiner abschließenden Reflexion über Geschichte und Sterblichkeit. Aber es geht auch humorvoll, oft selbstironisch zu: “I’m Mr Born to Run … New Jersey is a death-trap, listen to my lyrics … I currently live 10 minutes from my home town.” Wir erleben einen Mann, der den Rock’n’Roll lebt, der tatsächlich alles so meint, wie er es ausruft: “Bands come in search of lightning and thunder … a communion of souls … true rock’n’roll will never die.” Aber im Gegensatz zu vielen anderen Darstellern, die einen Charakter geschaffen haben, der auf der Bühne lebt, ist Springsteen auch ein von Selbstzweifeln stark verkrüppelter Mann: “Before me, there was no Jersey Shore. Jersey almighty, I fuckin’ invented it.”
„Born in the USA“
„Born in the USA“ ist vielleicht der missverstandeste Song von Bruce Springsteen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum er er vor dem Song relativ lange über die Entstehungsgeschichte erzählt. Der Song beginnt mit einer manchmal fast indisch anmutendem Gitarre, weit ausholend, verzweifelt, geht über in einen Blues, der an Bon Jovis „Wanted Dead Or Alive“ erinnert und dann als bedrückender A Cappella-Blues gesungen wird. Unglaublich, und für mich der Höhepunkt auf dem Album!
„Born in the USA“ geht eine Geschichte voraus, die er auch in seinem Buch ausführlich beschreibt, ein Song als Erinnerung an einen seiner Freunde aus der frühen Musikszene in seiner Heimatstadt, der in Vietnam getötet wurde. Wenig überraschend, dass die Performance, die folgt, wütend, bitter und eindringlicher ist als jede seiner Fullband-Versionen.
„Tougher Than The Rest“
Der Baumepilog ist eines der Episoden, die man ja aus seinem Buch „Born to Run“ kennt. Es ist schon in dem Buch berührend, aber die Art, wie Springsteen ihn auf der Bühne bringt, wie er seine Geschichte erzählt, ist einfach unglaublich.
Es ist eine One-Man-Show. Bis auf zwei Songs („Tougher Than The Rest“, „Brilliant Disguise“). Die singt er mit seiner Frau Patti Scialfa Springsteen im Duett. Als sie herauskommt, spricht er nicht viel über ihre Beziehung, sondern geht in eine geradezu evangelistische Rede ein über die Wichtigkeit, kluge Entscheidungen in der Liebe zu treffen. Dann harmonieren sie mit „Brilliant Disguise“, dieser großartigen Ballade über Unzuverlässigkeit, und schauen sich in die Augen, als würden sie ihre eigene Seele in einem verzeihenden Spiegel suchen.