Weihnachtstipps 2018 – Nummer 13: The BEATLES (White Album) Jubiläumsedition

FOTOS: Universal

Wir wollen Euch jeden Tag ein Adventstürchen öffnen, mit der Hoffnung, Euch die eine oder andere Eingebung zu geben, was ihr verschenken oder was ihr Euch selbst zum Geschenk machen könnt. Unter unseren Empfehlungen sind brandneue Veröffentlichungen, aber auch einige, die etwas zurückliegen, aber es wert sind, nochmal ins Gedächtnis geholt zu werden. Wir geben Tipps für Konzerte, Bücher, Platten – alles rund um Musik. Hinter unserem dreizehnten Adventstürchen steckt:

The BEATLES (White Album)
Jubiläumsedition
The Beatles („White Album“). Diverse Formate von der Ltd. 7 Disc Super Deluxe Edition bis zur Doppel-CD mit Original-Album und Esher-Sessions. Apple Corps Ltd./Capitol/UMe

Von Dylan Cem Akalin

Das White Album ist nicht nur ein Denkmal ungezügelter Kreativität, sondern auch ein Rock- Archetyp.

Früher war es so: Entweder, du warst Beatles-Fan oder Stones-Fan. Man kann ja zu den Beatles stehen wie man will. Und ob sie die beste Band der Rock’n’Roll-Ära sind oder nicht, spielt eigentlich überhaupt keine Rolle. Fakt ist, sie sind sowas wie die Quintessenz der populären Musik. Alles, was sie getan haben, ist so tief in die DNA des Rock eingebettet, dass sie einfach ein fester Bestandteil der Mythologie der Popmusik sind – und des Jazz auch. Wer hat nicht alles Beatlessongs interpretiert?

Das White Album ist einfach groß

Und wahrscheinlich hat sich keines der Beatles-Alben so stark im kollektiven Unbewussten eingebrannt, wie das White Album der Beatles – nicht einmal Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band. Es ist ja schon sowas wie ein geflügeltes Wort geworden, zu sagen „Das ist wie sein Weißes Album“, wenn man die Bedeutung eines Werkes herausstellen will, etwa Prince‘ „Sign o‘ the Times“ oder  Clash’s „Sandinista!“

Das White Album ist einfach groß, ein weitreichendes Werk, voller Ideen, gefüllt mit einem beeindruckenden Materialmix, und es wurde wohl auch in einer Zeit aufgenommen, in der es schon große Spannungen innerhalb der Band gab, und doch hat genau das zu einem künstlerischen Höhepunkt geführt.

John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr

Das Album entstand vor genau 50 Jahren, nachdem John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr aus Indien zurückgekehrt waren, wo sie sich in Rishikesh von Maharishi Mahesh Yogi inspirieren, vielleicht auch etwas erleuchten, ließen. Bevor die Songs für das Album, das wegen der von Richard Hamilton gestalteten weißen Hülle als „White Album“ berühmt wurde, in den Abbey Studios aufgenommen wurden, trafen sich die Fab Four in Harrisons Haus in Esher, um mehr als 20 Songs einzustudieren.

Die Songs, die alle mit akustischer Gitarrenbegleitung, ausprobiert wurden, sind jetzt auf der Jubiläumsedition des „White Album“ dokumentiert. Die Stimmung während die Esher-Sessions war offenbar ziemlich harmonisch, jedenfalls hört man den Spaß heraus, den Lennon und McCartney bei „Back in the USSR“ haben.

Spektrale, schwebende Stimmung

Die Hintergrundgeschichte von „The Beatles“ ist faszinierend, wenn auch für die Attraktivität des Albums unerheblich. Ja, sie haben das meiste Material in Indien auf der Akustikgitarre geschrieben, als sie auf einer Art Pilgerreise Anfang 1968 den Maharishi Mahesh Yogi trafen. Einige Songs von Lennon, darunter „Sexy Sadie“ und „Dear Prudence“, basieren direkt auf den ernüchternden Erfahrungen der Gruppe. Aber es ist die spektrale, schwebende Stimmung von „Prudence“ und Lennons spielerischem, leicht herablassendem Gesang in „Sadie“, der so prägend im Gedächtnis bleibt.

Und wir wissen ja mittlerweile, dass Lennons neue Liebe, Yoko Ono, während der Sessions regelmäßig anwesend war – sehr zum Leidwesen der Band. McCartney hat behauptet, dass sie manchmal während eines Takes auf seinem Bassverstärker gesessen hätte und er hätte sie deshalb bitten müssen, an den Lautstärkereglern zu drehen, weil er nicht dran gekommen sei. Ihr einziger Einfluss sei die auf die Bandcollage „Revolution 9“ gewesen – ein wirklich tolles Stück avantgardistischer Kunst.

Sammlung von Songs von Solokünstlern

In gewisser Weise wirkt „Revolution 9“ fast wie die Beatles im Mikrokosmos: kühn, sich wiederholend, teilweise trivial, aber auch pulsierend vom Leben. Das Album könnte genauso gut als ein überlanges ineinandergreifendes Stück sein, doch es fließt irgendwie. Die lustigen Witze („Rocky Raccoon“, „The Continuing Story of Bungalow Bill“, „Piggies“) und die Genreübungen wie Lennons aggressives „Yer Blues“ oder McCartneys seltsam rückgewandte, an Lieder der Vorkriegszeit erinnernde Popnummer „Honey Pie“ sind kleine Edelsteine.

Und doch: „The Beatles“ fühlt sich wie eine Sammlung von Songs von Solokünstlern an. Jedenfalls treten Lennon und McCartney nicht mehr als Komponistenpaar, sondern als Einzelkünstler auf. John ist noch komischer als wir ihn kennen, und er wollte wohl nichts anderes als den Beatles-Mythos („Glass Onion“) durchbrechen, aber er beschenkt uns auch mit schmerzhaften autobiografischen Songs („Julia“). Paul wirkt so beschwichtigend weich und ausgelassen, fast ein wenig albern („Ob-La-Di, Ob-La-Da“, „I Will“), während er gleichzeitig die gröbsten, rauesten in seiner Beatles-Laufbahn schreibt („Back in the U.S.S.R.“, „Helter Skelter“). George wirkt irgendwie missmutig und sucht nach einem besseren Weg, um seine neuen, vom Osten beeinflussten spirituellen Anliegen in einen Rock-Kontext zu lenken, während sein Songwriting-Toolkit ständig erweitert wird („While My Guitar Gently Weeps“, „Long Long Long“). Und selbst Ringo Starr, der sich nicht richtig gewertschätzt fühlt,  schreibt einen ordentlichen Song, eine Country and Western-Nummer mit einer ungewöhnlich fetten Produktion („Don’t Pass Me By“).

Aber was diese Platte letztendlich zu einem Ereignis macht, ist, dass die Beatles menschlich klingen. Man hat das Gefühl, sie wirklich kennenzulernen. Ihr erstaunlicher Lauf zwischen Ende 1965 und 1967 ließ sie wie eine Band erscheinen, wie unfehlbare Musikgenies, die immer auf der Suche nach einer anderen Grenze waren, die sie überwinden können. Hier versagen sie irgendwie – und das ziemlich oft. Doch indem sie genau dies zulassen, erreichen sie irgendwie mehr. „Weiße Alben“ entstehen, wenn sich die Künstler der Inspiration hingeben, wenn sie sich verletzlich zeigen.