Weihnachtstipps 2018 – Nummer 10: „Imagine John Yoko“ von John Lennon und Yoko Ono

Wir wollen Euch jeden Tag ein Adventstürchen öffnen, mit der Hoffnung, Euch die eine oder andere Eingebung zu geben, was ihr verschenken oder was ihr Euch selbst zum Geschenk machen könnt. Unter unseren Empfehlungen sind brandneue Veröffentlichungen, aber auch einige, die etwas zurückliegen, aber es wert sind, nochmal ins Gedächtnis geholt zu werden. Wir geben Tipps für Konzerte, Bücher, Platten – alles rund um Musik. Hinter unserem zehnten Adventstürchen steckt:

Imagine John Yoko
von John Lennon und Yoko Ono

Deutsch: Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Edel Books – Ein Verlag der Edel Germany GmbH
ISBN-10: 3841906370
49,95 Euro Amazon

Originalfassung: Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Grand Central Publishing
ISBN-10: 1538747154
44,99 Euro Amazon

Von Dylan Cem Akalin

Als meine Tochter noch ein richtiger kleiner Knirps war, habe ich ihr mal John Lennons „Imagine“ vorgespielt. Natürlich konnte sie nicht verstehen, was der Mann da sang, doch nach ein paar Takten war sie ganz eingesunken in das Lied und noch ein paar Takte später hatte sie Tränen in den Augen. Sie wollte wissen, worum es in dem Lied ging. Ich erklärte es ihr, und wir sahen uns den Song auf YouTube an. Wie John am weißen Flügel sitzt, und Yoko langsam die Fenster öffnet, um das Sonnenlicht einzulassen. Und wieder weinte sie.

Der Song, das wurde mir spätestens bei diesem Erlebnis, mit meiner Tochter klar, spricht eine universelle Sprache. Er drückt einen Wunsch, einen Traum von Millionen Menschen aus, es ist für mich sowas wie eine Welthymne. Dass Yoko Ono nun ein Buch herausbringt, drei Jahre vor dem 50. Jubiläum des Songs, hat wohl nicht nur mich glücklich gemacht.

Ich glaube, es gibt eine Menge Literatur und Forschungsarbeiten über den Song, das ganze Album, in der alles über seine Entstehung bis zu seiner Bedeutung und seinen Einfluss steht. Aber Yoko Ono legt uns eine Liebeserklärung vor, ein Buch mit dem Titel „Imagine John Yoko“, aufwändig illustriert, gründlich recherchiert mit allen Details, die es nur dazu geben kann, mit etlichen Interviews, mit allen Menschen, die auch nur im entferntesten mit der Geschichte rund um das Album zu tun haben könnten – bis hin zu einem amerikanischen Fan, der auf dem Grundstück des Anwesens in Tittenhurst herumstrolcht, mit dem Lennon schließlich frühstückt und sich mit ihm unterhält. Was diesen Band so besonders macht, ist die Intimität, die Yoko Ono da eingefangen hat. Das Buch gleicht einem prächtigen Bildband, den man für ein Familienmitglied zu dessen besonderen Geburtstag zusammenstellt.

„Imagine: The Ultimate Collection“

Yoko an ihrem weißen
Steinway-‚O‘-Flügel an
ihrem 85. Geburtstag.
Dakota, New York,
18. Februar 2018.
Bild aus dem besprochenen Buch/Credit:
Foto von Ann Terada ©
Yoko Ono Lennon

„Es wurde viel geschrieben über die Entstehung des Songs, des Albums und des Films Imagine, vor allem von Leuten, die nicht dabei waren. Aus diesem Grund bin ich sehr erfreut und dankbar, dass sich jetzt, zum ersten Mal, so viele der Beteiligten freundlicherweise die Zeit für ein ‚gimme some truth‘ in ihren eigene Worten und Bildern genommen haben“, schreibt Yoko Ono Lennon selbst.

Tatsächlich ist „Imagine John Yoko“ Teil einer großen „Imagine“-Welle, die über uns schwabbt. Da ist die gleichzeitige Veröffentlichung von „Imagine: The Ultimate Collection“ (Universal), einem 6-Disc-Set, mit Remixen und Outtakes sowie einer Blu-ray, auf der sowohl der Film „Imagine“ als auch „Gimme Some Truth“ sind, eine Dokumentation, die aus Filmmaterial der Originalproduktion (Eagle Rock) erstellt wurde.

Neue Enthüllungen

Aber das Buch steht für sich alleine und ist doch so viel mehr. Denn es ist sowas wie der Schlüssel zum vollständigen Verständnis dieser anderen Veröffentlichungen – ein wichtiges Dokument, mit dem man erst die Filme in ihrer Gänze erfasst, weil dort unbekannten Personen vorkommen, deren Namen und Hintergrundgeschichten man dadurch erst versteht.

Fast jeder, der an dem Album und dem dazugehörigen Film gearbeitet hat, wird hier vorgestellt. Die Musiker haben das Wort, übrigens darunter auch Mitglieder der damals so populären Band Badfinger mit Tom Evans, aber auch Techniker, Sekretärinnen, Funktionäre der Plattenfirmen. Die meisten der noch lebenden Personen wurden in den letzten zwei Jahren für das Buch befragt. Jene, die schon verstorben sind, darunter eben auch Lennon und George Harrison, kommen über Archivinterviews zu Wort.

Hardcore-Fans werden einige neue Enthüllungen entdecken, Gelegenheitsfans werden das Buch als inspirierend empfinden. Das Buch ist mit hunderten von Fotografien illustriert, von denen viele nie veröffentlicht wurden. Viele originale, handschriftliche Texte geben einen sehr intimen Einblick in Lennons Innenleben zum Zeitpunkt der Aufnahme. Zu lesen, dass Lennon Angst hatte, das Album anderen vorzuspielen, ist zum Beispiel einer dieser wirklich herzerwärmenden und zugleich traurigen Momente, einen solch großen Künstler zu erleben, der immer noch von Unsicherheit und Nervosität gepackt wird.

Die Legende von „Yoko und John“

Lennons eigene Gedanken über das Album zusammenzufassen, war sicherlich nicht schwer, weil er zu seinen Lebzeiten schon ausführliche Interviews dazu gab. Dazu gehört auch, dass er den Titel eigentlich von Yoko Ono hatte, dass ihre Kunst ihn erst zu dem Titel inspiriert hätten. Wir sehen diese Arbeiten, inklusive der Erzählung, wie er und Yoko sich damals kennenlernten. „Yoko hätte eigentlich als zweiter Name in den Credits erscheinen müssen“, sagt er an einer Stelle. Aber er sei eben nicht so mutig gewesen. Das hat er dann später nachgeholt.

Insofern hat sich Yoko nicht streng auf das Projekt „Imagine“ beschränkt. Sie stützt natürlich auch sehr gerne die Legende von „Yoko und John“ — ihr Treffen in der Indica Gallery in London, wo Lennon eine Privatschau ihrer Ausstellung erhielt.

Das Buch ist wie die Landkarte eines Forschungsreisenden, bestückt mit vielen Dokumenten. Da gibt es etwa einen umfassenden Überblick über den 70 Hektar großen Tittenhurst Park, Lennons Anwesen im englischen Sunningdale, jeder Baum ist sorgfältig kartographiert. Natürlich auch das Ascot Sound Studios mit allen technischen Details.

“Imagine no religion”

Lennon hat zu jeden Song einen Kommentar geschrieben. Über die Zeile “Imagine no religion” sagte er zum Beispiel, er befürworte die Freiheit, an eine oder alle Religionen zu glauben (oder nicht). Die Zeile sei vielleicht ein wenig reduziert, aber „Stellt euch keine konfessionellen Spaltungen vor“ singe sich eben nicht so leicht. Lennons Ermahnung, sich eine Welt ohne Länder vorzustellen, wird ähnlich argumentiert, und „Imagine no possessions“ („Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Besitztümer“) käme vielleicht etwas merkwürdig von jemandem, der viel besitze. Aber er bezeichnet es als tief sitzende Unsicherheit, die ihn antreibe, nicht so gierig zu sein.

Die Musiker erzählen von den Sessions so, das sich erst alle Erzählungen zusammengeführt, ein ganzes Bild ergeben. „John hat schnell gearbeitet“, sagt etwa der Schlagzeuger Alan White. „Er wusste immer genau, wann etwas stimmte, und hatte klare Vorstellungen über seine Ideen.“ Andere erklären Lennons Schnelligkeit aber auch mit seiner allgemein bekannten Ungeduld. Phil McDonald, einer der Tontechniker, etwa erzählt, dass „John in Höchstform war, und zwei oder drei Takes eines Liedes aufnahm. Danach neigte er dazu, zu verschwinden. Wenn du also den Song nicht beim Take zwei oder spätestens Take drei im Kasten hattest — Auf Wiedersehen.“

Aufruf an den gesunden Menschenverstand

Selbstverständlich hat „Imagine John Yoko“ eine Botschaft. Viele der Zeitzeugen erklären ja, dass „Imagine“ eine Art Handreichung für den Frieden ist, was heute ebenso bedeutsam ist wie damals 1971. „Imagine“ sei eine komplette Philosophie-Lektion, die auf einer Platte zusammengefasst sei“, sagte Gitarrist Rod Lynton. „Es ist ein Aufruf an den gesunden Menschenverstand.“