Wir wollen Euch jeden Tag ein Adventstürchen öffnen, mit der Hoffnung, Euch die eine oder andere Eingebung zu geben, was ihr verschenken oder was ihr Euch selbst zum Geschenk machen könnt. Unter unseren Empfehlungen sind brandneue Veröffentlichungen, aber auch einige, die etwas zurückliegen, aber es wert sind, nochmal ins Gedächtnis geholt zu werden. Wir geben Tipps für Konzerte, Bücher, Platten – alles rund um Musik. Hinter unserem zweiten Adventstürchen steckt:
Nick Cave
von Reinhard Kleist
Verlag: Carlsen; Auflage: 1 (29. August 2017)
ISBN-10: 9783551764669
ISBN-13: 978-3551764669
24,99 € (Amazon)
Von Dylan Cem Akalin
Reinhard Kleists grafische Biografie von Nick Cave ist ein wunderbares Werk voller visueller Freuden. Nein, diese Graphic Biografie interessiert sich nicht für den Nick Cave als Person. Es ist vielmehr an dem verrückten Outlaw interessiert, der schreit: „Hands up who wants to die!“ („Hände hoch, wer sterben will!“) Cave ist auf dem Cover mit Mikrofonständer und Zigarette zu sehen – und schaut ziemlich skeptisch drein.
Dabei hat Cave selbst das Buch ausdrücklich unterstützt und stellt selbst auf dem Buchrücken fest, dass es aus „historischen Halbwahrheiten und herrlichen Hirngespinsten“ zusammengewebt sei, ist von der Vison aber begeistert. Das Buch sei „näher an der Wahrheit als jede Biografie, so viel steht fest! Aber, nur um das noch mal klarzustellen: Ich habe Elisa Day nicht getötet.“
Echte Punks!
Ein typisches Beispiel für die Freiheiten, die sich Kleist nimmt, ist die Szene, in der Tracy Pew, der Bassist von Caves Anfang der 1980er Jahre gegründeten Birthday Party, zuerst seinen unverkennbaren Cowboy-Hut trägt. In Wahrheit wurde es ihm von einem Freund gegeben, der sie in einem Musikvideo tragen sollte. In Kleists Version stiehlt Pew es aus einem Spirituosengeschäft, als er und Cave in einen Laden einbrechen und allerhand Zerstörung anrichten. Sie waren halt echte Punks!
Das Buch ist was für Fans, für die Cave-ianer, die den ungewöhnlichen Musiker verehren als charismatische (Kunst)Figur in der Rockszene. Denn das Buch bewegt sich zwischen Realität und Phantasmagorie. Als Cave als einsamer Astronaut seiner Freundin auf der Erde einen Liebesbrief aus Papierflugzeug zukommen lässt, ist es irgendwie ein wenig blöde, aber auch berührend.
„Ich dachte, es wäre anders!“
Dann sind wir wieder zurück in der Historie des ehrgeizigen Australiers, der eine Band gründet, das Publikum in Melbourne erobert und nach London zieht, wo er feststellt, dass die Veranstalter abweisend sind und Punk längst passé ist. In diesen Szenen kann der Dialog nur eine kurze Beschreibung sein. „Dafür bin ich nicht nach England gekommen“, klagt Gitarrist Rowland Howard an einer Stelle. „Ich dachte, es wäre anders!“
„Es gibt die Angst, stillzustehen, der ungebremste Zwang, neue Wege zu gehen“, sagt er, als Cave die Birthday Party auflöst und die Bad Seeds gründet. „Das Alte in Stücke reißen. Um das zu töten, was sich festhält. Und etwas Neues in die Asche pflanzt.“
Die erlösende Kraft der Musik
Kleistfokusiert sich auf die großen Themen: Schicksal, Selbstzerstörung und die erlösende Kraft der Musik. Caves echter Lebenslauf ging ja irgendwann mehr in Richtung Ernüchterung, Meditation und Häuslichkeit, aber Kleist umschifft diese „unpassende Lebensphase“, indem er einen erzählerischen Rahmen hinzufügt, in dem die Figuren aus Caves vergangenen Werken auftauchen – der gelynchte Euchrid Eucrow aus seinem Roman „And the Ass Saw the Angel“, die ermordete Elisa Day aus seinem Duett mit Kylie Minogue („Where the Wild Roses Grow „) – sie kehren zurück, um ihn wegen der Misshandlungen zu beschimpfen. „Ich bin bloß dein eigensinniges Abbild, und dann bestraft du mich dafür, indem du mich tötest, wie es dir gefällt!“. erklärt der gefolterte Gefangene aus „The Mercy Seat“.
Die wahre Stärke von „Mercy on Me“ ist das Artwork. Caves Körper Körper hat oft was von einer spinnenartigen Figur, und Kleist genießt die Zeichnungen der schlaksigen Pose. Außerdem ist er von Caves Gesicht fasziniert und fängt seine Physiognomie oft mit dem Ausdruck eines gewissen Wahnsinns ein.
Runzlig und seltsam würdig
Zu den Höhepunkten zählen unter anderem ein ganzseitiges Porträt des jugendlichen Nick, der entschlossen ist, der bürgerlichen Konformität zu entgehen, und eine beeindruckende Erinnerung an das Exil, als er seine Gothic Novel in eine Schreibmaschine hackt, in einer Berliner Mansarde, die gerade groß genug für seinen ausgelaugten Körper, seine Papierstapel, etwas Schnaps und eine Waffe ist. Kleist wird dem älteren Cave gleichermaßen gerecht – dünnhaarig, runzlig und seltsam würdig.
Indes vergeudet Kleist so viel Liebe an seinen Helden, dass für die anderen Mitspieler in dem Buch wenig übrig bleibt von dessen Detailverliebtheit. Caves langjährige Vordenkerin Anita Lane, Lydia Lunch und PJ Harvey sind in dem Comic kaum wiederzuerkennen.