Jaki Liebezeit – A Tribute: ein grandioser Abend in der Philharmonie Köln

Alle auf der Bühne: Jaki Liebezeit – A Tribute. FOTO: DCA

Wahrscheinlich ist die Erkenntnis, dass auch aus der Ruhe heraus Ausbrüche möglich sind, dass von der Beständigkeit aus durchaus Rauschzustände erreichbar sind, vielleicht ist genau das das eigentliche Vermächtnis des Jaki Liebezeit. Musikalisch gesehen. Menschlich scheint die Schlagzeugerlegende, die Rockgeschichte geschrieben hat, eh eine Persönlichkeit gewesen zu sein, die ein großes Herz hatte. Am Montag, genau ein Jahr nach seinem Tod, feierten Weggefährten und Fans in der ausverkauften Kölner Philharmonie den Mann, der nicht nur mit den Experimentalrockern Can Einfluss auf ganz viele Musiker gehabt hat. Ein wunderbarer, ein zauberhafter Abend voller Musik und zahlreicher kleiner wunderbarer Geschichten um den Musiker aus Leidenschaft.

Von Dylan Cem Akalin

Drums Off Chaos: Jaki Liebezeit – A Tribute. FOTO: DCA

Der Abend sei als „erweiterte Familienfeier“ gedacht“, sagt Manos Tsangaris, der auf wohltuend liebevolle Art durch den Abend führte, ohne auch nur einen Moment Sentimentalität oder  Gefühlsduselei aufkommen zu lassen. Es war tatsächlich wie ein Treffen unter Freunden, die am Jahrestag auf einen der ihren anstoßen.  Viel Improvisation versprach Tsangaris für den Abend – ganz im Sinne Jakis, der ja auch in der Musik „basisdemokratisch gedacht hat. Er wollte niemals Chef sein, und er wollte niemandes Chef sein. Anders hätte Can auch gar nicht funktioniert“, sagt der Komponist, Musiker, Installations- und Performancekünstler und Lyriker, der mit der Gruppe Drums Off Chaos, Jaki Liebezeits Drum Ensemble, den Abend eröffnete. Zusammen mit Reiner Linke  und Maf Retter schuf er ein 15-minütigen Trommelereignis, das geprägt war von der groovenden Beständigkeit, die Jaki so propagierte. Und aus dieser Dauerhaftigkeit des Rhythmus entstanden immer wieder unterschiedliche Atmosphären, die mal archaisch, mal scheppernd industriell mechanisch wirkten.

Irmin Schmidt, der 1968 zusammen mit Holger Czukay, Michael Karoli und Jaki Liebezeit die Band Can gründete, setzt sich wortlos an den Flügel, der offenbar modifiziert wurde mit allerlei Zeug auf den Saiten. Acht Minuten dauert sein „Freier Fall“. Regenrauschen, das immer rhythmischer wird, Flugzeugbrummen, das den Raum einzunehmen scheint. Sein sparsames Spiel an den Tasten erinnert bisweilen an frühe Stücke von Joe Zawinuls Weather Report, die Spannung an Mahavishnu, und man vermisst fast John McLaughlins zornige Einlagen.

Und dann Manfred Schoof (Flügelhorn), Gerd Dudek (Tenossaxofon) und Helmut Zerlett (Flügel)! Was zunächst wie ein beziehungsloses Geplänkel beginnt, schraubt sich in eine leuchtende Brandfackel. Wie gut müssen sich diese Männer verstehen, wenn sie sich wort- und zeichenlos auf Rhythmen einigen, auf Harmonien, wenn sie plötzlich aus einem gerade mühsam geschaffenen Turm aus rasenden und flitzenden und querschießenden Tönen zu einem Grundrhythmus und einer Hookline zueinanderfinden, Melodiephrasen aufnehmen, sie unterlaufen oder wie ein Echo weitertragen. Der stürmische Applaus sagte alles.

Manfred Schoof und Gerd Dudek: Jaki Liebezeit – A Tribute. FOTO: DCA

Dudek sei seinerzeit nach Köln gekommen, um den Mann mit den komplizierten Rhythmen kennenzulernen, erzählt Tsangaris. Und Schoof? Der Mann in dem unscheinbaren grauen Anzug überlegt. „Ich bin wahrscheinlich hier derjenige, der Jaki am längsten gekannt hat.“ Immerhin haben er und Liebezeit schon als Schüler 1956 gemeinsam Musik gemacht. „Die acht Töne“ habe ihre Band geheißen, erzählt Schoof schmunzelnd. Preise hätten sie gewonnen, etwa beim hessischen Schülermusikwettbewerb. 1958 zog es Liebezeit nach Köln zu Kurt Edelhagen und an die Musikhochschule. „Drei Monate später bin ich ihm gefolgt, und wir haben zusammen in der Deutzer Freiheit 107 gewohnt.“

Es gibt Gemeinsamkeiten. Doch ihre Wege waren dennoch unterschiedlich.

Manfred Schoof , Jahrgang 1936 aus Magdeburg, Jaki, Jahrgang 1938 aus Dresden. Beide werden vom Jazz geprägt, wagen den freien Ausdruck. Schoof bleibt beim Jazz und entwickelt ihn weiter, unter anderem mit Künstlern wie Albert Mangelsdorff, Peter Brötzmann, Mal Waldron, Irène Schweizer, Klaus Doldinger, Wolfgang Dauner und Eberhard Weber, bei Bands wie der Kenny Clarke/Francy Boland Big Band, dem Gil Evans Orchester und vielen anderen.

Jaki Liebezeit, der am 22. Januar 2017 im Alter von 78 Jahren an einer Lungenentzündung starb, wagt den radikalen Bruch. 1968 gründete er in Köln mit den Stockhausen-Schülern Irmin Schmidt (Keyboard) und Holger Czukay (Bass) sowie dem Beatgitarristen Michael Karoli Can, um die Stile zu kreuzen. Er nutzt Elemente des Rock, Jazz, der Weltmusikund Elektronik, um einen neuen Ausdruck zu schaffen. Die  endlosen Sessions auf Schloss Nörvenich müssen legendär gewesen sein.

Aus dieser Zeit kennt Pi-Hsien Chen Jaki und die anderen. Die chinesischstammende Pianistin ist Bach-Interpretin, war lange Professorin in Köln, jetzt in Freiburg. Die heute 67-Jährige sei die einzige gewesen, so Tsangaris, die es geschafft habe, dass Jaki in barocke Konzerte ging. Sie spielt zwei Klaviersonaten von Domenico Scarlatti. Doch wie sie es spielt, klingt es keineswegs barock. Die Stücke mit den Ausdrucks- und Tempiwechseln wirken wie aufgeräumt, entstaubt, in die neue Zeit transkribiert. Sagenhaft.

Eben so sagenhaft wie der ganze Abend. Wir hören die hypnotischen Baba Zula mit Murat Ertel am Saz und Rhythmiker Levent Akman, unterstützt von Dominik von Senger (Gitarre, Phantom Band) und Rosko Gee (Bass, Can, Traffic, Phantom Band), die aus Blues, türkischer Bauchtanzfolklore, Rock-Arpeggien und Elektronik einen wahren Musikrausch brauen. Tsangaris: „Jaki fuhr in den letzten Jahren immer öfter nach Istanbul zu den beiden, und immer wenn er zurückkehrte wirkte er ein bisschen erleuchtet.“

Wir erleben den Alternative-Folk-Musiker Robert Coyne (mit Aglaja Camphausen am Cello und Werner Steinhauser an den Percussions) mit dem an Wilco erinnernden „Signature Song“ und dem flotteren „Cockney Mystic“.

Wir erleben einen glänzend aufgelegten Jah Wobble  (P.I.L) am Schlagzeug und am Bass, der erzählt, wie er Jaki in West-London kennenlernte und vor dessen ökonomischer Spielweise geradezu Ehrfurcht gehabt habe.

Jono Podmore & Ian Tregoning : Jaki Liebezeit – A Tribute. FOTO: DCA

Unglaubliche Sounds kreierten Jono Podmore & Ian Tregoning mit allerlei Elektronik, Computern und einem Theremin. Manchmal knallen die Drums wie beim alten Peter Gabriel. Es krächzt, schmatzt und rauscht. Töne wie aus dem Inneren eines tiefen Kraters in einer unbekannten Welt.  Jono Podmore, aka Kumo, arbeitet seit den 80er Jahren als Komponist, Produzent, Toningenieur und String-Arranger mit Künstlern wie Jamiroquai, The Shamen und mit Irmin Schmidt. Ian Tregoning, Musiker, Mixer und Produzent, kennt man als Inky Blackness, Stranger, The Big Bang und vor allem Trigger.

Höhepunkte? So viele. Natürlich war der Auftritt von Ex-Can-Sänger Damo Suzuki (“Why Did I Right, Why Did I Wrong?“) etwas Besonderes. Irre, wie jugendlich seine Stimme immer noch klingt. Er spielt und improvisiert mit Dominik von Senger, Matthias Keul (Piano) und Michael Rother, der 1965 bis 1971 als Gitarrist in der Düsseldorfer Band Spirits of Sound und 1971 bei Kraftwerk spielte. Kult wurde er 1971 bis 1975 mit der Gruppe NEU! mit Klaus Dinger. Vielleicht der Can am nächsten kommende Programmpunkt an diesem Abend, wie sich die Band auf die improvisierten Gesänge einlassen. Sehr psychedelisch, sehr wild, vor allem, als dann auch noch Gerd Dudek auf die Bühne kommt und lustvoll mit seinem Saxophon abgeht.

Gianna Nannini: Jaki Liebezeit – A Tribute. FOTO: DCA

Zum krönenden Schluss dann Gianna Nannini! Als sie die ersten Takte von „Ragazzo dell’Europa“ anstimmt, ist schon eine völlig andere Stimmung im Saal. Vielleicht ja in diesen Tagen eine gewisse Message. Indes: Die Kinder Europas – „Ragazzo dell’Europa“ – besingt Nannini seit 1982. Es ist ja nicht nur diese Reibeisenstimme, die den Saal einnimmt. Sie strömt Lebenslust aus, wie sie auf der Bühne tanzt und hüpft und immer wieder die Faust mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach oben reißt. Ein Dank.

 

 

Übrigens: Alle Mitwirkenden treten ohne Gage auf. Ein eventueller Überschuss der Veranstaltung geht an die Deutsch-Guineische Gesellschaft e.V. für „Eine Schule für Bissau“.