Mit einem ungewöhnlichen Konzert startet die Philharmonie Köln ins Jazzjahr 2017: Am Donnerstag, 12.01.2017, 20 Uhr spielt Wadada Leo Smith (75) mit dem Vijay Iyer Trio (mit Vijay Iyer (45) am Piano, Stephan Crump am Bass und Justin Brown am Schlagzeug). Ticket gibt es über die Philharmonie .
Von Dylan Cem Akalin
Am Anfang ist Stille. Wenige Sekunden nur, doch lange genug, um zu irritieren. Was dann folgt, ist ein intimes Zwiegespräch, manchmal nur ein gemurmeltes Bekenntnis, das der Trompeter Wadada Leo Smith und der Pianist Vijay Iyer auf ihrem Duo-Album „a cosmic rhythm with each stroke“ ablegen. Doch das Herzstück dieser unfassbar tief in die Seele gehenden Produktion ist die siebenteilige Suite, gewidmet der indischen Künstlerin Nasreen Mohamedi, deren Bild auch das Cover ziert: eine Trompete wie ein Hilfeschrei im Nichts, tiefe elektronische Chöre, ein in der faszinierend abstrakten Gedankenwelt Iyers versunkenes Klavier.
Ungewöhnliche Duos gab und gibt es im Jazz einige. Iyer/Smith heben sich dennoch ab. Die beiden haben einen grundverschiedenen Ansatz in ihrer improvisierten Musik: Ihr Spiel ist ein dynamisches Kunststück, das harmonische Bewegungen auch mal verletzt, aber Struktur, Abstraktion und Drama im Herzen der Komposition geradezu feiert. Es kommt nicht von ungefähr, dass Wadada Leo Smith sein jüngstes Album amerikanischen Nationalparks widmete – Kompositionen von mysteriös-natürlicher Schönheit, langgestreckte Landschaftsaufnahmen für die Ohren. „Da ist eine magnetische Qualität in seinem Spiel, das einen nicht loslässt“, sagt Vijer, der Smith als „Held, Freund und Lehrer“ bezeichnet. Am 12. Januar 2017 sind die beiden Musiker mit Vijars Band zu Gast in der Kölner Philharmonie.
Smith hat aber einen erweiterten Landschaftsbegriff – sowohl geografisch als auch musikalisch. So betitelte er etwa den Opener auf seinem Album „New Orleans: The National Culture Park USA 1718“. Er habe New Orleans aufgenommen, weil es die erste Gemeinschaft in den USA gewesen sei, wo sich kulturellen Leben entwickelte. „Sie hatten die erste Oper, die ersten Theater, die ersten Gönner der Künste. Warum also sollte man die Stadt nicht als kulturelles Leuchtfeuer sehen, trotz aller Widersprüche, die es auf dem Gebiet der Menschenrechte dort gegeben hat?“, erklärte er in einem Interview mit Downbeat.
Er muss es wissen. Rassismus hat er hautnah erlebt. 1941 in den Sümpfen am Stadtrand von Leland, Mississippi geboren und aufgewachsen, erlebte er die krasseste Form der Rassentrennung. Viele Einrichtungen blieben Smith in seiner Kindheit und Jugend verschlossen. Der Blues war Zuflucht und Rettung. Sein Stiefvater Alex „Little Bill“ Wallace war ein bekannter Gitarrist mit einer eigenen Radioshow. Der Einfluss war enorm. Mit 13 leitete Smith bereits seine eigene Band. Demütigungen waren an der Tagesordnung. Als er in einem Club für Weiße spielte, ermahnte der Wirt den jungen Smith immer wieder, bloß keinen Augenkontakt zu den weißen Gästen zu halten, erinnert sich der 75-Jährige. Schließlich macht er sich auf und geht zur Army, wo er viel rumkommt, zwischendurch auch in Europa stationiert wird. Doch mit seinem ungewöhnlichen musikalischen Ansatz eckt er auch hier an. Irgendwann gibt ihm ein Kamerad die Nummer von Anthony Braxton in Chicago.
1967 zieht nach Chicago, wo er schnell Kontakt zur AACM knüpfte, die Association for the Advancement of Creative Musicians, eine Musikervereinigung im Bereich des Free Jazz, das eine neue, sehr hohe Qualität des Kreativen propagierte. Gemeinsam mit Leroy Jenkins und Anthony Braxton gründete er das Trio Creative Construction Company. Der Kontakt zu Jack DeJohnette, einem der Mitbegründer der AACM, kam erst wesentlich später. Erst 2000 gründeten sie das Golden Quartet. „Leo hatte einen völlig anderen Ansatz beim Komponieren, ganz andere Ideen zu Rhythmus und Sound“, so DeJohnette. „Genau das interessierte mich – der Raum, den er schuf, das Konzept der Suiten.“ In dieses Quartett berief Smith 2005 Vijay Iyer, der schon früh vom experimentellen Ansatz des Trompeters fasziniert war.
Smiths Ansatz der improvisierten Musik hat viel mit seiner Skepsis zu tun, die er gegenüber traditionellen Harmonien hegt, dennoch liebt er Struktur, Dynamik und Intimität. Und wenn er spielt, wenn er mit Iyver gemeinsam die Kraft der musikalischen Geste ausspielt, dann schafft er sich Lichtungen um sich, in denen er offene, volle, melodische Schreie auslöst, körnige, verschwommene, gedrosselte Linien spielt, sich in erkennbarem Rhythmus bewegt, um dann seine Phrasen zu zerbröckeln. Und diese Spielweise kommt dem von Iyver so nahe, dass es atemberaubend ist.
In diesem Jahr soll noch seine Hommage an Thelonious Monk erscheinen. Er sei der Musiker, dem er sich am nahesten fühle, sagt Smith. Im Leben wie in der Musik.