Wadada Leo Smith und Vijay Iyer mit Trio in der Kölner Philharmonie: ein großartiger Abend.
Von Dylan Cem Akalin
Die innige Umarmung am Schluss ist Sinnbild für ihre Musik. Nach gut einer Stunde des intensiven Austauschs richten die beiden Musiker erst das Wort ans Publikum in der Kölner Philharmonie. „Wir spielen diese Musik, um uns zu befreien. Und wir hoffen dass sich das auf das Publikum überträgt“, sagt Iyer. „Ich glaube so sehr an die Menschlichkeit, darauf dass jeder auf jeden achten sollte“, sagt Wadada Leo Smith (75). Auf der halbdunklen Bühne wagt sich Smith bis an den Bühnenrand. „Ich wage mich an den Abgrund“, sagt Smith lächelnd, und das ist durchaus konzeptionell gemeint. Diese Musik sei wie eine eigenartige Reise, erklärt er. Sie sei wesentlich besser als eine Odyssee durchs Universum. Vijay Iyer, mit 45 Jahren der jüngere der beiden, bleibt respektvoll an seinem Piano stehen. Für ihn sei Wadada Leo Smith der größte lebende Künstler, sagt er.
Den ersten Teil des Abends bestreiten die beiden im ungewöhnlichen Duo. Und für ihn gilt wohl dasselbe, was Iyer zu Beginn des zweiten Sets, bei dem er in erster Linie mit seinem Trio spielen wird, sagte. „Wir werden uns auf eine Entdeckungsreise begeben und versuchen, zueinander zu finden“, führt er an. Es ist Teil seines musikalischen Konzeptes, die Struktur im Unergründlichen zu entdecken. Es ist eine Art der Entwirrung von emotionalen Signalen, von musikalischer Kommunikation, bei der sich die Protagonisten immer am Rande der sprachlichen Konformität bewegen. Und so ist es auch konsequent, sich nicht von Anfang und Ende eines Songs einengen zu lassen.
Im ersten Teil konzentrieren sich Iyer und Wadada auf die siebenteilige Suite „A Cosmic Rhythm with each Stroke“ vom gleichnamigen aktuellen Album. Sie beginnen sehr zögerlich. Iyer produziert an seinen E-Piano und seinen elektronischen Geräten zunächst sowas wie digital verzerrte Regentropfen, und Smith steht ein wenig abseits in seinem abgetragenen grauen Anzug und den ausgelatschten Schuhen. Er krümmt sich bei fast jedem Ton, beugt sich mit der gedämpften Trompete über ein sehr niedrig gestelltes Mikrofon. Er klingt sehr stark nach Miles, Miles Davis aus den sechziger, siebziger Jahren. Klare Töne, klare Ansage. Jeder Ton, jede Sequenz ein Statement, indem Floskeln nichts zu suchen haben.
Die Pianoklänge rollen derweil mit flehentlichem Mahnen immer näher, wie eine sanfte Brandung zunächst, die sich dann aber immer weiter steigern in ein Hämmern, als wären die Ostinati heilige Verse. Sie werden zittrig, unruhiger, einzelne Töne lösen sich gequält heraus aus dem Komplex der Figurfolgen. Smith spielt mittlerweile ohne dämpfendes Ventil, seine Trompete ächzt und krächzt, heult mal verzweifelt, hoffnungslos auf. Smith sieht mit seinen langen Dreadlocks im Halbdunkel aus wie eine Weide, die sich gegen den Sturm stellt. Er scheint auch mit sich selbst zu kämpfen, mit dem Ausdruck seiner Trompete. Wut und Zorn sollen keine Überhand gewinnen. Und dann gewinnt das Versöhnliche tatsächlich wieder die Oberhand, die Akkorde am Klavier werden harmonischer, fast zu schön gegen die stöhnende Trompete, das Hämmern wird leiser, fast zärtlich, wärend die Trompete immer noch verhalten schreit vor Schmerz. Was für eine Eleganz des Unberechenbaren! Und als sich die beiden Musiker in zärtlicher Umarmung drücken, da weiß man, dass sich die beiden in ihrer Musik wieder einmal entdeckt und verstanden haben.
Sicherlich sehr viel eingängiger geht es im zweiten Teil weiter, wobei das Prinzip des Suchens auch hier noch weiter gilt. Vielleicht ist es sogar etwas schwerer, drei Seelen musikalisch zu verbinden. Jedenfalls bei dem Konzept, das diese Musiker verfolgen. Das sind neben Iyer Schlagzeuger Justin Brown und Kontrabassist Stephan Crump. Sie spielen einiges von der aktuellen Platte „Break Stuff“, so etwa das manchmal an Bach erinnernde „Chorale“ oder „Starlings“ mit seinem eindringlichen Vamp, das hier live vom Bass noch stärker geleitet wird. (siehe auch Vijay Iyer Trio in Bonn)
Überhaupt sind Crump und Brown sehr stark an diesem Abend. Und Iyer wechselt mühelos von melodisch getragenem Lyle-Mays-Stil zu rhythmisch verschrobenen Monk‘schen Soli bis zum Post-Free-Jazz, und wie das Trio dem Bandleader folgt, mit welcher Leichtigkeit sie sich eigene Räume öffnen, ist schon sehr großes Kino, etwa wenn Crump den Pianolinien wie ein Echo leicht verschoben antwortet, während Brown die komplexen Rhythmen hält, das ist einfach großartig. Brown hat seine Snare ziemlich trocken eingestellt, und sein filigranes Spiel harmoniert brillant mit dem virtuosen Spiel Iyers.
Am Schluss gesellt sich Wadada Leo Smith erneut zum Trio, und die Band spielt eine Flamencoartige ruhige Nummer. Miles lässt wieder einmal grüßen, aber nur von weitem. Dafür ist Wadada viel zu sehr in seiner eigenen Welt. Ohne Zugaben ließ das Publikum, das indes nach der Pause stark minimiert war, die Truppe nicht von der Bühne. Zu Recht. Ein wunderbarer Abend.