Visuelles und musikalisches Spektakel: Deichkind im Hofgarten Bonn

Deichkind auf der Hofgartenwiese in in Bonn FOTO: Peter "Beppo" Szymanski

„Wir wollen keine Party/Was fällt euch eigentlich ein?…“ Wer mit so einer Ansage sein Konzert startet, muss keine Scheu haben, dass die Fans das auch wirklich wörtlich nehmen. Im Gegenteil. Die Hamburger HipHop- und Elektropunk-Formation Deichkind ist zu Besuch auf dem Hofgarten Bonn, und rund 5000 Fans feiern bei einem gewohnt ungewöhnlichen visuellen wie musikalischen Spektakel.

Von Dylan Akalin

DamDamDam. Die Donner kommen unvermutet. Die Bühne bleibt verhüllt. Dann nochmal. Dam! Pause. Es dauert noch gut zwei Minuten, bis das weiße Transparent fällt und sechs Figuren, bekleidet mit einer Kombi aus Fechtanzug und weißem Ninja-Trainingsoutfit mit blauem Spontananstrich, auf der Bühne zu sehen sind. „Wir haben euch vermisst! Wo seid ihr alle?“, ruft Sänger Philipp Maria Grütering nach dem zweiten Song, und die Menge tobt noch mehr.

Was für Outfits! Schon für die ganzen Kostüme, die die teilweise gesichtslose Truppe immer wieder wechselt, braucht Deichkind wahrscheinlich schon einen ganzen Sattelschlepper. Merkwürdige Fantasiekleidung, die mal wie aus der digitalen Welt, mal wie aus einem Sciencefiction-Film entliehen scheint, begleitet jeden Song. Da hätte so mancher Modedesign-Studienkurs sicher auch Spaß, sich mal auszutoben. Bei „Richtig geiles Zeug“ sieht Grütering aus wie Jedediah  aus dem Film Mad Max, nur noch verrückter, und trägt einen Rucksack, so groß wie ein Grizzly. Dabei singt er von „Matrix“, Glööckler-Strass und vom KDW. Schräge Digitalsounds dröhnen aus den Lautsprechern. Spacig geht’s bei „So’ne Musik“ weiter. Die Typen, entsprungen aus der Computerwelt, auf der Bühne haben Köpfe aus leuchtenden Tetraedern, Spiegel reflektieren das Licht. Die Musik ist eine Mischung aus Techno und Corroboree. Verzerrte Didgeridoo-artige Klänge zu urbanem Dröhnen.

Deichkind auf der Hofgartenwiese in in Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Zu den stampfenden Rhythmen gesellen sich bei „Dinge“ entfernt orientalische Moods, während sechs Gestalten in pink-weißem Outfit ihre Choreographie zeigen. Im Hintergrund tauchen wie flüchtig hingeworfene rote Spritzer auf. Zu „Cliffhänger“ mischt sich ein Sample von Madonna. „Die Welt ist fertig“ könnte auch eine Vorstellung des Planeten am Ende der Klimakatastrophe beschreiben, während Sounds, so scharf und klar wie Eiskristalle, über den Platz brechen.

Die gewaltigen Synthies bei „In der Natur“ könnten von den Progrockgiganten Genesis sein. Der Song ist eine Vorstellung, wie das Album „Neues vom Dauerzustand“ klingen wird, das erst am 17. Februar 2023 erscheint. Luftschlangen schießen aus den Kanonen bei „Illegale Fans“, begleitet von Polizeisirenen. Das Stück könnte glatt von DAM (Deutsch-Amerikanische Freundschaft) sein. Ein Luftballon in Pferdegestalt schwebt leise in die Dunkelheit, als „Ich bin ein Geist“ startet. Auf der Bühne sieht man verknüllte silberne Haufen, aus denen das Trio wächst.

Der Tertraeder ist Markenzeichen geworden: Deichkind auf der Hofgartenwiese in in Bonn FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Es ist schon merkwürdig, wie das Konzept funktioniert. Kritische Themen mit guter Stimmungsmusik und viel Humor zu verbinden. Da geht es um Konsumterror, wenn im Video Möbel aus dem Fenster fliegen, die Klimakatastrophe, Alkoholismus („1000 Jahre Bier“), um die Verbreitung von schrägen Meinungen in sozialen Medien („Wer sagt denn das“), um Populismus, Freiheit und viele andere Themen. Die HipHop-Gruppe legt in Bonn jedenfalls eine irre Bühnenshow hin, dass man sich manchmal fragt, ob das eigentlich nicht sehr viel mehr Kunstperformance ist als Stimmungsmusik und Live-Event. Die verrückten Kostüme, die fast bei jedem Song wechseln, das Lichtspektakel und bunte Bühnenbild sind faszinierend. Die Fans feiern die Hip Hopper, grölen die Songs wie „Leider geil“ und „Bück dich hoch“ mit. Mit „Remmidemmi“, der Zugabe und letzten Nummer des Abends, steigt die Stimmung sogar noch etwas. Es gibt tobenden Beifall.