Wie hält es Lucia Cadotsch mit zwei so völlig verrückten Typen wie dem Saxofonisten Otis Sandsjö und dem Bassisten Petter Eldh aus? Cadotsch lächelt, die beiden anderen lachen laut. Im Ernst, das Trio setzte am Mittwochabend in der Brotfabrik einen Glanzpunkt des diesjährigen Jazzfest Bonn.
Von Dylan Cem Akalin
Wie sie da steht in ihrer schwarzen weiten Kleidung, das ebene Gesicht dem Licht zugewandt, die Augen geschlossen und singt, während die Hände kleine imaginäre Formen in der Luft bilden, da könnte sie direkt aus einem der frühen Filme von Ingmar Bergman entsprungen sein. Lucia Cadotsch strahlt die Ruhe eines Klosters aus. Sie ist der Gravitationsmittelpunkt, um das sich die beiden Pulsare funkensprühend drehen. Und mit welcher Sicherheit, Gelassenheit und Friedfertigkeit sie ihren klaren Gesang über die schrägen, oft auch völlig atonalen Ausbrüche ihres Saxofonisten Otis Sandsjö und Bassisten Petter Eldh intoniert, ist mehr als beeindruckend. Was muss diese 35 Jahre junge Frau für eine innere Ruhe verspüren?
Die Blütenanlage im Kern
Die junge, in Zürich geborene und mittlerweile in Berlin lebende Sängerin, interpretiert bekannte Songs wie Kurt Weils „Speak Low“, Randy Newmans „I Think It’s Gonna Rain Today“ oder das Traditional „Black Is The Colour Of My True Love’s Hair“, von dem es ja auch eine bekannte Version von Nina Simone gibt. Was Cadotsch aber macht, ist, dass sie die Lieder wie eine Zwiebel so weit schält bis nur noch die Blütenanlage im Kern freigelegt ist. Und dann singt sie sie mit einer Klarheit, Einfachheit und Stringenz, dass es einfach betörend ist. Der Gesang klingt, als hallte er in einem Convent, frei von weltlichen Spielereien, aber mit einer gewissen bittersüßen Note. Diese lineare Form nimmt sogar einem romantischen Song wie „Moon River“ die Sentimentalität.
Was für eine Interpretation von Ahmad Jamals „What’s New“! Oder die tiefenentspannte Version von Brian Enos „By This River“.
Das Trio raut den Glanz der Melodien auf, so dass zwar die Schönheit freiliegt, aber die aufwendige Pracht, die vom Wesentlichen ablenkt, ist weggeschliffen. Und wie Cadotsch es gelingt, dennoch den Geist des Songs geradezu auf Händen zu tragen, wie etwa bei Rickie Lee Jones‘ „So long“, ist meisterhaft. „Was wir tun, ist wie die Sampling-Kultur im Hip-Hop. Wir können ein Detail aus einer alten Aufnahme zitieren, aber das Register und das Tempo ändern und es dann organisch in unser Arrangement einschleifen“, erklärte Cadotsch mal bescheiden.
Wenn die Oktavklappen klappern
Doch dieses Trio macht viel mehr, als aus alten Songs zu „zitieren“. Es ist das Gesamtkonzept mit den ungewöhnlichen Saxophonsounds sowie den scharfen Basslines und perkussiven Strummings auf dem Kontrabass, das den Kompositionen eine neue Wertschätzung gibt. Sandsjö verwendet verschiedene Techniken, um Klangsäulen um die Sängerin zu bauen, gerne lässt er den Ton durch das rasche Bedienen der Oktavklappen flattern, oder er über- und unterbläst sein Instrument, singt und brummt beim hineinblasen und erzeugt eine eigenartige Mehrstimmigkeit. Er schafft, wenn nötig, Loops, die zunehmend windiger und rauer werden, lässt sein Sax knurren und zwitschern und tanzen. Und Cadotsch bleibt bei allen Turbulenzen ruhig wie ein Waldsee in der Abenddämmerung. Die Wertung unheimlich schön ist wörtlich zu nehmen.